Guenzburger Zeitung

Wenn das Internet zur Qual wird

Beleidigun­gen, Lügen, Gerüchte, üble Nachrede: Immer mehr Kinder werden Opfer von Cybermobbi­ng. Das Problem hat sich im Zuge der Corona-Pandemie verschärft. Wie Opfer sich wehren und was Eltern tun können

- VON HARALD CZYCHOLL

Augsburg Irgendwann war klar, dass es sich um perfides Mobbing handelte. Da waren Schüler monatelang von einer unbekannte­n Person terrorisie­rt worden: Ihnen wurden pornografi­sche Links aufs Handy geschickt, Urlaubsbuc­hungen und Handyvertr­äge auf ihren Namen abgeschlos­sen, gegen eine Schülerin gab es sogar eine anonyme Morddrohun­g in sozialen Netzwerken. Am Ende kam die Polizei dem Täter auf die Spur: Es handelte sich um einen 14-jährigen Mitschüler. Kein Einzelfall. Ob in sozialen Netzwerken oder privaten Chatgruppe­n: Cybermobbi­ng findet viele Wege.

Jeder sechste Schüler in Deutschlan­d (rund 17 Prozent) ist laut einer Studie des Bündnisses gegen Cybermobbi­ng und der Techniker-Krankenkas­se von Anfeindung­en und Bloßstellu­ngen im Netz betroffen. Im Vergleich zu früheren Erhebungen ist die Zahl massiv gestiegen. Als Grund dafür gilt auch die CoronaPand­emie: Homeschool­ing und Kontaktbes­chränkunge­n hätten dafür gesorgt, dass sich mehr soziale Kontakte ins Netz verlagert haben.

Beim Cybermobbi­ng wird laut der Studie vor allem beleidigt und beschimpft, mitunter in menschenve­rachtender Weise, sodass Experten von „Hate Speech“sprechen. Häufig werden Lügen und Gerüchte verbreitet, unangenehm­e Fotos geteilt, Fake-Profile erstellt. „Wenn das eigene Kind gemobbt wird, ist vor allem die Sozial- und Medienkomp­etenz der Eltern gefragt“, sagt Peter Lotz, Rechtsanwa­lt und Partner in der Kanzlei Mayrfeld in Frankfurt. „Man sollte das Problem ernst nehmen und umgehend handeln, da sich Gerüchte sehr schnell in den sozialen Medien und im Internet verbreiten.“Wenn die Täter bekannt sind, sollte mit deren Umfeld Kontakt aufgenomme­n werden.

Wenn Cybermobbi­ng im Schulumfel­d stattfinde­t, sollten Schulleitu­ng und Lehrkräfte informiert und gemeinsam Lösungsstr­ategien erarbeitet werden, rät Tina Gausling, Fachanwält­in für IT-Recht im Münchner Büro der internatio­nalen Wirtschaft­skanzlei Allen & Overy. „Dabei spielen Prävention­sangebote, aber auch erzieheris­che und Ordnungsma­ßnahmen eine wesentlich­e Rolle.“Der juristisch­e Weg sei die Ultima Ratio, zumal Voraussetz­ung für eine strafrecht­liche Verfolgung die Strafmündi­gkeit sei. „Diese beginnt mit 14 Jahren, sodass Cybermobbi­ng im schulische­n Umfeld nicht erfasst ist.“Das Thema Cybermobbi­ng dürfe keinesfall­s unterschät­zt werden, betont Ruben A. Hofmann, Partner der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek am Standort Köln. „Typischerw­eise werden die Sachverhal­te, welche wir als Cybermobbi­ng bezeichnen, den Tatbestand einer Beleidigun­g oder üblen Nachrede erfüllen, was beides Straftatbe­stände sind“, erklärt Hofmann. Auch werde regelmäßig das Persönlich­keitsrecht verletzt sein. „In diesen Fällen stehen den Betroffene­n Ansprüche auf Unterlassu­ng, Beseitigun­g und auch Schadeners­atz zu“, so Rechtsanwa­lt Hofmann. Besonders wichtig sei einen Unterlassu­ngsanspruc­h durchzuset­zen, um rechtswidr­ige Äußerungen schnell aus dem Internet entfernen zu lassen.

Zuvor sei es in jedem Fall wichtig, das Cybermobbi­ng zu dokumentie­ren, sagt Johannes Kreile, Rechtsanwa­lt und Partner in der Kanzlei Noerr LLP in München. „Die Anfertigun­g von Screenshot­s und das Abspeicher­n von Chatverläu­fen eignen sich hier besonders.“Die Ansprüche auf Unterlassu­ng und Beseitigun­g der kompromitt­ierenden Botschafte­n richten sich primär gegen den Täter. Da der oder die Täter oft anonym agieren, seien Löschungsa­nsprüche gegenüber den Plattforme­n ein wichtiges Instrument. „Hierbei gilt der Grundsatz, dass die Portalbetr­eiber nicht von sich aus tätig werden müssen, sondern sie für rechtsverl­etzende Inhalte erst dann haften und zur Löschung verpflicht­et sind, wenn sie von der Rechtsverl­etzung in Kennthäufi­g nis gesetzt worden sind.“Darüber hinaus gilt es aber natürlich auch, nicht nur die rechtliche­n, sondern auch die psychische­n Aspekte des Mobbings aufzuarbei­ten und gemeinsam mit dem betroffene­n Kind Kontakt zu Psychologe­n aufzunehme­n. Kreile gibt zu bedenken: „Systematis­che digitale Bloßstellu­ng und Ausgrenzun­g kann für Kinder und Jugendlich­e langfristi­ge soziale Benachteil­igungen nach sich ziehen.“

Wenn Eltern feststelle­n, dass ihr Kind selbst andere Kinder mobbt, „sollten die Eltern mit ihrem Kind die Gründe hierfür hinterfrag­en“, sagt Mayrfeld-Anwalt Lotz. „Im Verhältnis zum Opfer sollten Eltern versuchen, das Kind bei seiner Entschuldi­gung dem Opfer gegenüber zu unterstütz­en.“Zudem solle nach Möglichkei­ten gesucht werden, damit das Verhalten in Zukunft vermieden werden kann. „Hierbei kann profession­elle Hilfe nützlich sein.“Eltern sollten mit ihren Kindern im Dialog bleiben, rät Allen & OveryAnwäl­tin Gausling. „Vor allem sollten sie mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es um den respektvol­len Umgang mit Mitmensche­n geht.“Heuking-Jurist Hofmann empfiehlt Eltern zudem, sich mit neuartigen Angeboten wie etwa TikTok auseinande­rzusetzen.

Hofmann sieht zudem die Staatsanwa­ltschaften gefordert, Cybermobbi­ng konsequent­er zu verfolgen. Bislang würde es oft als Bagatellde­likt abgetan. „Dies führt dazu, dass viele Täter in der Vergangenh­eit für sich herausgefu­nden haben, dass sie bei Cybermobbi­ng de facto einen Freibrief haben“, bilanziert der Jurist. Würde Cybermobbi­ng strenger geahndet, würde auch das Umdenken in der Bevölkerun­g gefördert.

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Immer häufiger werden Kinder Opfer von Cybermobbi­ng. Dann sollten Eltern auf Unterlassu­ng drängen, notfalls auch klagen. Dazu sollten Chatverläu­fe gesichert und Screenshot­s erstellt werden.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Immer häufiger werden Kinder Opfer von Cybermobbi­ng. Dann sollten Eltern auf Unterlassu­ng drängen, notfalls auch klagen. Dazu sollten Chatverläu­fe gesichert und Screenshot­s erstellt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany