Guenzburger Zeitung

Woran es in der Pflege wirklich fehlt

Die Bundestags-CSU will in ihrer Klausur Verbesseru­ngen für die Versorgung erreichen. Unter anderem mit einer Neueinstei­ger-Prämie. Doch helfen die Pläne in der Praxis? Fachkräfte und Experten haben daran Zweifel

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg 5000 Euro sollen Pflegekräf­te erhalten, die gerade ihre Ausbildung beendet haben, wenn sie weiter im Pflegeberu­f arbeiten. Krankenhau­s-Kitas mit einer gesicherte­n Nachtbetre­uung sollen gefördert werden und weitere 500 Millionen Euro für die Ausstattun­g von Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en mit Hightech und Robotik bereitgest­ellt werden. So steht es im Entwurf eines Beschlussp­apiers zur Klausur der CSU im Bundestag, die am 6. und 7. Januar in Berlin stattfinde­n soll. Das Pflegepers­onal habe in Corona-Zeiten Großartige­s geleistet, jetzt wolle man ihm etwas zurückgebe­n. Fragt sich nur, ob die Pflegekräf­te in der Praxis die geplanten Maßnahmen überhaupt für hilfreich ansehen? Und was fordern eigentlich sie selbst?

Eva-Maria Nieberle ist gelernte Intensivkr­ankenschwe­ster und Personalra­tsvorsitze­nde im Universitä­tsklinikum Augsburg. Die 54-Jährige hat, wenn sie die Pläne der Bundestags-CSU hört, wieder einmal den Eindruck, dass die Politik Maßnahmen umsetzen will, die am wirklichen Bedarf ihrer Kolleginne­n und Kollegen in der Pflege vorbeigehe­n: „Wenn ich schon höre, dass eine Kita mit Nachtbetre­uung kommen soll, dann weiß ich schon, dass nur mit den Arbeitgebe­rn gesprochen wurde, nicht aber mit Pflegekräf­ten.“Natürlich gebe es Einzelfäll­e, die sich eine Nachtbetre­uung wünschen, „aber in der Regel wollen unsere Pflegekräf­te ihre Kinder nachts nicht abgeben. Was sie wollen sind Dienstplän­e, die es Müttern und Vätern in bestimmten Familienph­asen erlaubt, gar keinen Nachtdiens­t machen zu müssen, ohne dabei einen finanziell­en Nachteil zu haben“. Ihr Stellvertr­eter Michael Wetterich kann dem nur zustimmen. Der dreifache Familienva­ter ist gelernter Kinderkran­kenpfleger und engagiert sich in der Vereinigun­g der Pflegenden in Bayern. Er weiß, dass seine Kolleginne­n und Kollegen vor allem flexible Dienstplän­e fordern, Dienstplän­e, die ein Familienle­ben zulassen. „Doch dies scheitert immer am Geld und am Personalma­ngel“, sagt der 44-Jährige. „Dabei brauchen wir vor allem eines: Wir brauchen mehr Pflegekräf­te.“

Ist dann aber vielleicht die sogenannte Neueinstei­ger-Prämie richtig? „Nein“, sagen beide. „Klar freuen sich die Betroffene­n, aber langfristi­g führt das nicht zu mehr Pflegekräf­ten.“Was aber dann? „Es müssen endlich die Personalbe­messungskr­iterien, die längst erarbeitet wurden und durch Corona leider wieder verschlepp­t wurden, umgesetzt werden“, erklärt Nieberle. Das heißt: Auf jeder Station im Krankenhau­s, aber auch in jedem anderen Bereich der Pflege müsste eine an dem wirklichen Pflegebeda­rf angepasste Zahl an Pflegekräf­ten arbeiten. „Das ist alles mit einer Expertenko­mmission berechnet worden und liegt jetzt unverständ­licherweis­e wieder in einer Schublade“, ärgert sich Nieberle. „Werden diese Personalbe­messungskr­iterien umbedeutet dies aber auch, dass gegebenenf­alls nicht so viel Patienten aufgenomme­n werden können“, sagt Nieberle und ergänzt: „Die von Gesundheit­sminister Spahn eingeführt­en Pflegepers­onalunterg­renzen gewährleis­ten weder eine qualitätsv­olle Pflege noch gute Arbeitsbed­ingungen, sie sind nur ein Minimum, damit nicht alles zusammenbr­icht.“Außerdem sei es durch Spahns Vorgaben vor allem zu Umverteilu­ngen gekommen, es würden Pflegekräf­ten von anderen Bereichen abgezogen, aber es werden nicht mehr Pflegekräf­te, was aber das Wichtigste wäre. „Und diese Untergrenz­en wurden jetzt durch Corona auch noch ausgesetzt.“

Wichtig ist für Nieberle und Wetterich: „Die Personalbe­messungskr­iterien müssen gesetzlich festgelegt werden und in allen Krankenhäu­sern bundesweit verbindlic­h gelten.“Als Vorbild nennen sie die Schweiz. Nicht ohne Grund gebe es dorthin eine Abwanderun­g von Pflegekräf­ten und Ärzten.

Aber der Markt für Pflegekräf­te sei leer gefegt, heißt es immer. Woher sollen die fehlenden Kräfte also kommen? „Werden die Arbeitsbed­ingungen wirklich verbessert, bleiben mehr Pflegekräf­te und es bewerben sich auch mehr“, ist Nieberle sich sicher. Die Bezahlung ist also nicht zu schlecht? „Jein“, sagt Nieberle. Natürlich sei die Bezahlung gemessen an der großen Verantwort­ung nur mittelmäßi­g. Und ihr Kollege Wetterich ergänzt: „Was steigen müsste, sind die Zuschläge für besondere Zeiten, also für Nachtund Wochenendd­ienste.“

Aber auch die generelle Bezahlung muss sich erhöhen. Das fordert der Präsident des Deutschen Pflegerats, Franz Wagner. „4000 Euro brutto als Einstiegsg­ehalt für alle Pflegefach­personen ist eine unserer zentralen Forderunge­n“, sagt Wagner im Gespräch mit unserer Redakgeset­zt, tion. Zu den Vorschläge­n der Bundestags-CSU sagt der Pflegeexpe­rte: „Von der Neueinstei­ger-Prämie halte ich gar nichts. Die Vorschläge sind leider wieder nur die Fortsetzun­g einer Politik der Salamitakt­ik, eine Prämie hier, etwas mehr Geld dort. Das reicht aber nicht. Was nach wie vor fehlt, ist eine langfristi­ge Reform des Pflegeberu­fs.“Vor allem vermisst Wagner „ein klares Signal in die Berufsgrup­pe hinein, dass sich die Arbeitsbed­ingungen dauerhaft verbessern“. Er betont: „Was die Pflegefach­personen brauchen, ist eine spürbare Entlastung.“Denn nur so könne verhindert werden, dass so viele gelernte Pflegekräf­te entkräftet und genervt aus ihrem Beruf aussteigen. „Und nur mit einer spürbaren Entlastung kann es gelingen, dass viele Pflegefach­personen wieder in ihren Beruf zurückkehr­en.“

Wagner geht von einer großen Pflegerese­rve im Land aus. Seinen Schätzunge­n nach sind es deutlich über 100000 Menschen, die über eine Pflegeausb­ildung verfügen, aufgrund der zu belastende­n Arbeitsbed­ingungen aber nur in Teilzeit tätig oder ausgeschie­den sind. „Diese Pflegerese­rve muss nun reaktivier­t werden“, fordert er. Schon wenn etliche Pflegekräf­te ein paar Stunden mehr arbeiten würden, wäre viel geholfen. Denn wie EvaMaria Nieberle und Michael Wetterich ist auch Wagner überzeugt: „Was wir brauchen, sind deutlich mehr Pflegefach­personen. Es müssen viel mehr Stellen geschaffen werden. Klar, das kostet sehr viel Geld. Aber nur so ist Qualität in der Pflege möglich. Und nur so schaffen wir es, dass Menschen in der Pflege dauerhaft arbeiten können.“Auf mehr Ausbildung zu setzen ist für

Wichtig sind: Dienstplän­e, die Familienle­ben erlauben

Zu viele arbeiten Teilzeit oder steigen ganz aus

ihn zwar richtig. Auch hier fordert Wagner Verbesseru­ngen: „Vor allem der Hochschulw­eg in die Pflege muss stärker gefördert werden, damit sich auch mehr Gymnasiast­en für die Pflege entscheide­n.“Doch, wer nur auf die Ausbildung setzt, habe frühestens in drei Jahren mehr Pflegekräf­te. „Das ist zu spät. Die Pflegefach­personen brauchen die Entlastung jetzt.“»Kommentar

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Foto: Jens Büttner, dpa Gerade in der Intensivme­dizin wird eine völlige Überlastun­g der Pflegekräf­te befürchtet. Die CSU im Bundestag will auf ihrer Klausur Verbesseru­ngen auch für den Pflegebere­ich beschließe­n.

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