Woran es in der Pflege wirklich fehlt
Die Bundestags-CSU will in ihrer Klausur Verbesserungen für die Versorgung erreichen. Unter anderem mit einer Neueinsteiger-Prämie. Doch helfen die Pläne in der Praxis? Fachkräfte und Experten haben daran Zweifel
Augsburg 5000 Euro sollen Pflegekräfte erhalten, die gerade ihre Ausbildung beendet haben, wenn sie weiter im Pflegeberuf arbeiten. Krankenhaus-Kitas mit einer gesicherten Nachtbetreuung sollen gefördert werden und weitere 500 Millionen Euro für die Ausstattung von Krankenhäusern und Pflegeheimen mit Hightech und Robotik bereitgestellt werden. So steht es im Entwurf eines Beschlusspapiers zur Klausur der CSU im Bundestag, die am 6. und 7. Januar in Berlin stattfinden soll. Das Pflegepersonal habe in Corona-Zeiten Großartiges geleistet, jetzt wolle man ihm etwas zurückgeben. Fragt sich nur, ob die Pflegekräfte in der Praxis die geplanten Maßnahmen überhaupt für hilfreich ansehen? Und was fordern eigentlich sie selbst?
Eva-Maria Nieberle ist gelernte Intensivkrankenschwester und Personalratsvorsitzende im Universitätsklinikum Augsburg. Die 54-Jährige hat, wenn sie die Pläne der Bundestags-CSU hört, wieder einmal den Eindruck, dass die Politik Maßnahmen umsetzen will, die am wirklichen Bedarf ihrer Kolleginnen und Kollegen in der Pflege vorbeigehen: „Wenn ich schon höre, dass eine Kita mit Nachtbetreuung kommen soll, dann weiß ich schon, dass nur mit den Arbeitgebern gesprochen wurde, nicht aber mit Pflegekräften.“Natürlich gebe es Einzelfälle, die sich eine Nachtbetreuung wünschen, „aber in der Regel wollen unsere Pflegekräfte ihre Kinder nachts nicht abgeben. Was sie wollen sind Dienstpläne, die es Müttern und Vätern in bestimmten Familienphasen erlaubt, gar keinen Nachtdienst machen zu müssen, ohne dabei einen finanziellen Nachteil zu haben“. Ihr Stellvertreter Michael Wetterich kann dem nur zustimmen. Der dreifache Familienvater ist gelernter Kinderkrankenpfleger und engagiert sich in der Vereinigung der Pflegenden in Bayern. Er weiß, dass seine Kolleginnen und Kollegen vor allem flexible Dienstpläne fordern, Dienstpläne, die ein Familienleben zulassen. „Doch dies scheitert immer am Geld und am Personalmangel“, sagt der 44-Jährige. „Dabei brauchen wir vor allem eines: Wir brauchen mehr Pflegekräfte.“
Ist dann aber vielleicht die sogenannte Neueinsteiger-Prämie richtig? „Nein“, sagen beide. „Klar freuen sich die Betroffenen, aber langfristig führt das nicht zu mehr Pflegekräften.“Was aber dann? „Es müssen endlich die Personalbemessungskriterien, die längst erarbeitet wurden und durch Corona leider wieder verschleppt wurden, umgesetzt werden“, erklärt Nieberle. Das heißt: Auf jeder Station im Krankenhaus, aber auch in jedem anderen Bereich der Pflege müsste eine an dem wirklichen Pflegebedarf angepasste Zahl an Pflegekräften arbeiten. „Das ist alles mit einer Expertenkommission berechnet worden und liegt jetzt unverständlicherweise wieder in einer Schublade“, ärgert sich Nieberle. „Werden diese Personalbemessungskriterien umbedeutet dies aber auch, dass gegebenenfalls nicht so viel Patienten aufgenommen werden können“, sagt Nieberle und ergänzt: „Die von Gesundheitsminister Spahn eingeführten Pflegepersonaluntergrenzen gewährleisten weder eine qualitätsvolle Pflege noch gute Arbeitsbedingungen, sie sind nur ein Minimum, damit nicht alles zusammenbricht.“Außerdem sei es durch Spahns Vorgaben vor allem zu Umverteilungen gekommen, es würden Pflegekräften von anderen Bereichen abgezogen, aber es werden nicht mehr Pflegekräfte, was aber das Wichtigste wäre. „Und diese Untergrenzen wurden jetzt durch Corona auch noch ausgesetzt.“
Wichtig ist für Nieberle und Wetterich: „Die Personalbemessungskriterien müssen gesetzlich festgelegt werden und in allen Krankenhäusern bundesweit verbindlich gelten.“Als Vorbild nennen sie die Schweiz. Nicht ohne Grund gebe es dorthin eine Abwanderung von Pflegekräften und Ärzten.
Aber der Markt für Pflegekräfte sei leer gefegt, heißt es immer. Woher sollen die fehlenden Kräfte also kommen? „Werden die Arbeitsbedingungen wirklich verbessert, bleiben mehr Pflegekräfte und es bewerben sich auch mehr“, ist Nieberle sich sicher. Die Bezahlung ist also nicht zu schlecht? „Jein“, sagt Nieberle. Natürlich sei die Bezahlung gemessen an der großen Verantwortung nur mittelmäßig. Und ihr Kollege Wetterich ergänzt: „Was steigen müsste, sind die Zuschläge für besondere Zeiten, also für Nachtund Wochenenddienste.“
Aber auch die generelle Bezahlung muss sich erhöhen. Das fordert der Präsident des Deutschen Pflegerats, Franz Wagner. „4000 Euro brutto als Einstiegsgehalt für alle Pflegefachpersonen ist eine unserer zentralen Forderungen“, sagt Wagner im Gespräch mit unserer Redakgesetzt, tion. Zu den Vorschlägen der Bundestags-CSU sagt der Pflegeexperte: „Von der Neueinsteiger-Prämie halte ich gar nichts. Die Vorschläge sind leider wieder nur die Fortsetzung einer Politik der Salamitaktik, eine Prämie hier, etwas mehr Geld dort. Das reicht aber nicht. Was nach wie vor fehlt, ist eine langfristige Reform des Pflegeberufs.“Vor allem vermisst Wagner „ein klares Signal in die Berufsgruppe hinein, dass sich die Arbeitsbedingungen dauerhaft verbessern“. Er betont: „Was die Pflegefachpersonen brauchen, ist eine spürbare Entlastung.“Denn nur so könne verhindert werden, dass so viele gelernte Pflegekräfte entkräftet und genervt aus ihrem Beruf aussteigen. „Und nur mit einer spürbaren Entlastung kann es gelingen, dass viele Pflegefachpersonen wieder in ihren Beruf zurückkehren.“
Wagner geht von einer großen Pflegereserve im Land aus. Seinen Schätzungen nach sind es deutlich über 100000 Menschen, die über eine Pflegeausbildung verfügen, aufgrund der zu belastenden Arbeitsbedingungen aber nur in Teilzeit tätig oder ausgeschieden sind. „Diese Pflegereserve muss nun reaktiviert werden“, fordert er. Schon wenn etliche Pflegekräfte ein paar Stunden mehr arbeiten würden, wäre viel geholfen. Denn wie EvaMaria Nieberle und Michael Wetterich ist auch Wagner überzeugt: „Was wir brauchen, sind deutlich mehr Pflegefachpersonen. Es müssen viel mehr Stellen geschaffen werden. Klar, das kostet sehr viel Geld. Aber nur so ist Qualität in der Pflege möglich. Und nur so schaffen wir es, dass Menschen in der Pflege dauerhaft arbeiten können.“Auf mehr Ausbildung zu setzen ist für
Wichtig sind: Dienstpläne, die Familienleben erlauben
Zu viele arbeiten Teilzeit oder steigen ganz aus
ihn zwar richtig. Auch hier fordert Wagner Verbesserungen: „Vor allem der Hochschulweg in die Pflege muss stärker gefördert werden, damit sich auch mehr Gymnasiasten für die Pflege entscheiden.“Doch, wer nur auf die Ausbildung setzt, habe frühestens in drei Jahren mehr Pflegekräfte. „Das ist zu spät. Die Pflegefachpersonen brauchen die Entlastung jetzt.“»Kommentar