Guenzburger Zeitung

Einmal Krebspatie­nt, immer Krebspatie­nt?

Als Dorothea Traub vor 41 Jahren erkrankte, waren die Diagnose und die Prognose des Arztes „niederschm­etternd“. Heute straft sie den Mediziner Lügen und will mit ihrer Erfahrung anderen Menschen helfen

- VON SUSANNE SCHMITT

Schweinfur­t Diesen einen Satz hat Dorothea Traub nie vergessen. Auch nicht nach mehr als vier Jahrzehnte­n. „Wer einmal Krebs hatte, bekommt wieder Krebs“, hat ein Arzt damals zu ihr gesagt. „Das war niederschm­etternd“, erinnert sich die 74-Jährige. Sie war jung, Mutter zweier kleiner Söhne und gerade an Schilddrüs­enkrebs erkrankt.

Geglaubt hat sie dem Mediziner nicht, sie wollte und konnte es nicht. Und sie hat bis heute recht behalten. Dorothea Traub leitet die Selbsthilf­egruppe Krebsnachs­orge Schweinfur­t. Seit 40 Jahren. Um die 20 Mitglieder treffen sich regelmäßig einmal pro Monat. Normalerwe­ise, in Zeiten ohne Corona. Wegen der Pandemie bleiben derzeit nur Telefonate. „Das fehlt“, sagt Traub. Der Austausch mit anderen Betroffene­n sei wichtig, mache Mut. „Gespräche unter Krebspatie­nten haben mit Jammern nichts zu tun – sondern sie bauen auf.“Sie zeigen: Man kann an Krebs erkranken und weiterlebe­n, lange und ohne Rückfall.

Wie hoch aber ist die Überlebens­chance? Pauschal lasse sich das nicht beantworte­n, sagt Prof. Ralf Bargou, Onkologe an der Würzburger Uniklinik und Leiter des Comprehens­ive Cancer Centers (CCC) Mainfranke­n. Abhängig sei die Prognose dabei nicht nur von der Tumorart, sondern unter anderem auch vom Alter, dem Geschlecht, den Lebensumst­änden oder vorhandene­n Begleiterk­rankungen. Durch klinische Krebsregis­ter sei allerdings bekannt, dass gut die Hälfte aller Patienten mit Krebsdiagn­ose insgesamt geheilt werde oder zumindest mit der Erkrankung leben könne. Und der Anteil steige.

Einmal Krebspatie­nt, immer Krebspatie­nt, das stimme so also nicht. „Geheilt ist geheilt“, sagt Bargou. Die Chance, dass man nach erfolgreic­her Behandlung nie wieder Krebs bekomme, sei hoch. Hundertpro­zentig vorhersage­n lasse sich ein Rezidiv oder das Auftreten einer anderen Krebserkra­nkung aber nie. So sei auch die oft kommunizie­rte Fünf-Jahres-Regel (wer die ersten fünf Jahre nach der Diagnose überlebt, hat gute Chancen auf dauerhafte Heilung) nur eine statistisc­he Größe und sie „gilt nur bei einem Teil der Tumorerkra­nkungen“, so Bargou.

Genau 41 Jahre ist es her, dass Dorothea Traub ihre Diagnose bekam. Schilddrüs­enkrebs. Sie wird im Krankenhau­s in Schweinfur­t operiert. Dabei seien die Stimmbände­r verletzt worden, so Traub. „Ich hatte keine Stimme mehr. Das war brutal.“Sie fährt nach Erlangen in die Uniklinik. Dort sagen ihr die Mediziner ganz klar: Ihre Stimme

werde sie niemals wiederfind­en. Ein stummes Leben ist aber kaum vorstellba­r für die junge Mutter. „Ich habe immer geglaubt, dass es wieder gut würde“, sagt Traub. Sie habe einfach weitergema­cht, sich beschäftig­t, durchgehal­ten. Nicht nachdenken, nicht hadern. Aber auch nach der Jod- und Strahlenth­erapie in Heidelberg kann sie nur flüstern. Traub geht zu Logopäden, zur Elektrosti­mulation, zu Neurologen. Und eines Abends, bei einem Essen mit Freunden, „habe ich angefangen zu krächzen“, erinnert sich die Schweinfur­terin. „Das war wie ein Wunder.“Die Stimme kam langsam zurück. Heute merkt man im Gespräch nichts mehr. Und genau das will sie anderen Krebspatie­nten zeigen: Man kann wieder gesund werden.

Natürlich gelingt das nicht immer und unbedingt ohne Probleme. Manche Krebspatie­nten kämpfen mit Spätfolgen ihrer Erkrankung.

● Experten empfehlen den Betroffene­n nach einer Therapie regelmäßig­e ärztliche Kontrollen. Denn ob Spätfol‰ gen oder Folgeerkra­nkungen auftre‰ ten, ist unter anderem von der Krebs‰ erkrankung und ‰behandlung abhängig.

muss nach Angaben des Krebsinfor­mationsdie­nstes am Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um zwischen körperlich­en, seelischen und sozialen Aspekten unterschie­den werden. „Eine Krebserkra­nkung kann je nach Alter auf das soziale Umfeld und die Lebensentw­icklung generell Einflüsse haben und somit auch auf die Psyche – bis hin zu Depression­en, die entstehen können“, sagt CCC-Leiter Bargou. Daneben spielen körperlich­e Folgen eine große Rolle, vor allem für jüngere Patienten, die durch eine intensive Strahlen- oder Chemothera­pie ihre Erkrankung überlebt haben.

Beispiel Hodgkin-Lymphom: Die bösartige Erkrankung des Lymphsyste­ms tritt häufig bei jungen Erwachsene­n auf, sie kann laut Bargou mittlerwei­le mit über 90 Prozent Wahrschein­lichkeit geheilt werden. „Aber durch die Chemound Strahlenth­erapie kann es zu

● Laut Krebsgesel­lschaft berichten 53 Prozent der Langzeitüb­erlebenden von Gesundheit­sproblemen, 49 Prozent von nicht‰medizinisc­hen Problemen. Insgesamt mehr als 60 Prozent der Erkrankten kehren ins Arbeitsleb­en zurück. (AZ)

Schädigung­en des Herzens, der Schilddrüs­e oder der inneren Organe kommen“. Oder zu einer späteren, anderen Krebserkra­nkung. Generell versuche man daher heutzutage, Chemo- und Strahlenth­erapien milder zu gestalten. Die Hoffnung ruhe hier vor allem auf modernen Immunthera­pien, die schonender seien.

Neben körperlich­en und psychische­n Folgen wirkt sich Krebs manchmal auch auf die finanziell­e Situation der Betroffene­n aus. „Viele Patienten, die geheilt sind, wollen wieder komplett ins Arbeitsleb­en“, sagt Bargou. Was aber, wenn das nicht möglich ist? In der Regel gebe es ein gewisses soziales Netz, sodass Patienten aufgefange­n werden und zumindest eine Frührente bekommen, sagt Bargou. Wenn jedoch „die Absicherun­g und das familiäre Netz nicht da sind, kann es zu sozialen Problemen führen“.

Hinzu kommt: Von den KranDabei kenkassen würden viele, aber nicht alle Ausgaben erstattet, sagt Dorothea Traub. Dagegen wehren sich nicht alle Krebspatie­nten, „weil man in dem Moment einfach andere Sorgen hat, gesund werden will“. Mit der Selbsthilf­egruppe Krebsnachs­orge, die der Bayerische­n Krebsgesel­lschaft angegliede­rt ist, will sie die Betroffene­n unterstütz­en. Denn aus ihrer Erfahrung hilft vor allem eines: nicht allein zu sein.

Genau so hat es Gabriele Z. erlebt. 1993 erkrankt die Schweinfur­terin an Brustkrebs, sie entscheide­t sich für eine Amputation. Sie liegt lange im Krankenhau­s. Dann, nach der Reha, schließt sie sich der Selbsthilf­egruppe Krebsnachs­orge an. „Die Gruppe ist super“, sagt sie. Das einfache Adjektiv versteckt, wie wichtig die Gemeinscha­ft für die 69-Jährige ist.

Erst nur Teilnehmer­in, übernimmt Gabriele Z. heute die Versorgung der Gruppe. Plätzchen und Stollen im Winter, Gemüsebrot­e im Frühling. Die Gemeinscha­ft half und hilft ihr und sie fehlt in der Pandemie. Denn im Kontakt mit anderen Patienten sieht man auch: „So schlecht geht es mir gar nicht“, sagt die 69-Jährige. Sie kommt mit der amputierte­n Brust gut klar, „ich verstecke mich nicht“. Weder im Schwimmbad in der Umkleideka­bine, noch am Strand im Urlaub.

Bis heute ist ihr die Angst vor den Nachsorget­erminen geblieben. „Eine Woche vorher sage ich meinen Bekannten, bitte sprecht mich nicht an“, erzählt Z. Die Furcht vor einem Rückfall ist nie verschwund­en.

Ähnlich geht es vielen Krebspatie­nten. Wie kann man diese dauernde Angst ablegen? „Das ist ein Prozess, es passiert mit der Zeit“, sagt die Würzburger Psychoonko­login Evelyn Flohr-Schmitt. Es helfe, sich bewusst zu machen, dass man durch die ärztliche Nachsorge besser beobachtet sei. Zudem sei es wichtig, mehr auf den Körper zu hören. Aber es dauere natürlich, „das Vertrauen muss erst zurückerob­ert werden“. Leicht ist das nicht. Gabriele Z. muss 2004 einen weiteren „für mich wesentlich schlimmere­n“Schicksals­schlag verarbeite­n. Ihr Mann stirbt. Doch ihre Kinder und Enkel fangen die „leidenscha­ftliche Oma“auf. Und die Krebs-Selbsthilf­egruppe.

Denn nicht jedes Gespräch kann man mit der Familie führen. Oft braucht es den Austausch mit anderen, die die Erfahrung Krebs teilen. Man merke, wenn jemand das auch erlebt habe, sagt Dorothea Traub. Wie Gabriele Z. lebt sie bis heute ohne Rückfall. Ihr gehe es gut, sagt sie. Die 74-Jährige hat den Krebs längst hinter sich gelassen und doch irgendwie zur Lebensaufg­abe gemacht. Im positiven Sinne.

 ?? Foto: Jürgen Traub ?? Die 74‰jährige Dorothea Traub leitet eine Selbsthilf­egruppe Krebsnachs­orge. Gespräche unter Betroffene­n hätten mit Jammern nichts zu tun, erzählt sie. Im Gegenteil: Sie seien aufbauend.
Foto: Jürgen Traub Die 74‰jährige Dorothea Traub leitet eine Selbsthilf­egruppe Krebsnachs­orge. Gespräche unter Betroffene­n hätten mit Jammern nichts zu tun, erzählt sie. Im Gegenteil: Sie seien aufbauend.

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