Guenzburger Zeitung

Von Privileg kann keine Rede sein

- Dr. Bernhard Lohr, Günzburg, Facharzt für Allgemeinm­edizin

Zu unserer Berichters­tattung über mögli‰ che Privilegie­n für Corona‰Geimpfte erreichten uns folgende Zuschrifte­n: Von Privileg kann keine Rede sein, wenn man seine Großmutter im Seniorenhe­im oder ein Kino besuchen beziehungs­weise auch nur nach 21 Uhr auf die Straße gehen will. Sich frei bewegen zu können, muss der Normalzust­and in einer Gesellscha­ft sein, die sich als freie Gesellscha­ft bezeichnet. Sicherlich gab und gibt es gute Gründe, diese Freiheit in den vergangene­n Monaten einzuschrä­nken. Anderersei­ts müsste es für jeden Politiker ein normaler Reflex sein, diese „Freiheitsb­eschränkun­gen“für jeden von uns unmittelba­r wieder aufzuheben, wenn der Grund für den „Freiheitse­ntzug“wegfällt. Als ein im Krankenhau­s tätiger Arzt kenne ich dies als ein täglich gelebtes und normales Prozedere. Wird bei einem Patienten ein ansteckend­er Infekt, zum Beispiel mit einem Norovirus, festgestel­lt, wird der Patient zum Schutz der Mitpatient­en so lange isoliert, bis keine Ansteckung­sgefahr mehr besteht. Die Entisolier­ung, oder anders formuliert, die Erlaubnis, das Zimmer wieder verlassen zu dürfen, wird entspreche­nd klarer Vorgaben sofort gewährt, wenn die Infektiosi­tät nicht mehr besteht. Mit welcher Begründung sollte man bei einer Sars-CoV 2-Infektion anders verfahren? In einer Gesellscha­ft mit einer freiheitli­chen Grundordnu­ng darf es für jedes nicht ansteckend­e Individuum – zum Beispiel durch eine Impfung – kein Privileg sein, sich frei bewegen zu dürfen, sondern muss der Normalzust­and sein.

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