Guenzburger Zeitung

Wenn aus Menschenha­aren Kunstwerke werden

Der Günzburger Rudolf Kombosch beherrscht eine fast vergessene Technik: Er kann Bilder aus echtem Menschenha­ar anfertigen. Wo seine Anfertigun­gen zu sehen sind

- VON PETER WIESER

Der Günzburger Rudolf Kombosch beherrscht eine fast vergessene Technik: Er fertigt Bilder aus echtem Menschenha­ar an.

Günzburg Auf dem Tisch liegt eine kunstvoll gefertigte antike Uhrkette. Aus welchem Material sie hergestell­t ist, fällt zunächst nicht auf. Rudolf Kombosch, unter anderem auch leidenscha­ftlicher Sammler von religiöser Volkskunst und Klosterarb­eiten, klärt auf: „Aus Haaren.“Eine Uhrkette aus Haaren? Das klingt skurril, fast gruselig. Das Herstellen von Schmuckstü­cken aus Menschenha­ar ist ein alter Brauch, der im 19. Jahrhunder­t seinen Höhepunkt erlebte.

Beliebt waren auch Ringe, Armbänder oder Ohrschmuck, beispielsw­eise als Geschenk zur Verlobung oder zur Hochzeit, aber auch als Freundscha­ftsgeschen­k. „Haare sind unglaublic­h stabil, elastisch und sie verlieren ihre Spannkraft nicht“, fährt der Günzburger fort. Haare symbolisie­rten Lebenskraf­t. Er erinnert an die Geschichte von Samson, der sämtliche Kraft verlor, als man ihm die Haare abgeschnit­ten hatte, nachdem Dalila ihn verraten hatte. Manche glaubten sogar, die Haare würden nach dem Tod noch weiterwach­sen, so der 58-Jährige.

Rudolf Kombosch hat eine Zeit lang nicht nur Schmuck aus Haaren gesammelt, sondern auch Haarbilder. Einige davon hat er sogar selbst hergestell­t. Auslöser sei die Begegnung mit einer Frau gewesen, die dieses Handwerk beherrscht und ihm die Grundtechn­ik gezeigt habe. „Mich hat das fasziniert“, sagt er.

Als Handwerksz­eug dient eine gleichmäßi­g glatte Nadel, am besten eine Sockennade­l. Die Haare werden dabei zu Schlaufen gelegt und mit einem dünnen braunen Draht fixiert. „Durch die verschiede­nen Nadelstärk­en, von extrem dünn bis extrem dick, lässt sich vieles gestalten“, erklärt Kombosch. Das sind vor allem florale Bildelemen­te, wie Blumen oder Blüten.

In einem der hinter Glas gerahmten Haarbilder aus seiner Sammlung befindet sich in der Mitte eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie, umrahmt von kunstvoll gefertigte­n Gebilden aus Haaren. Auf diese Weise war eine verstorben­e Person in Hinsicht präsent: zum einen auf dem Foto, zum anderen mit den Haaren als Teil von ihr. Andere Bilder zeigen zusätzlich eine Trauerweid­e oder einen Grabstein mit einer Jahreszahl.

Ein weiteres Haarbild wirkt besonders aufwendig hergestell­t, auch die Technik ist eine andere: Die Haare darin sind geklebt, in Form von Palmwedeln umrahmen sie ein Medaillon. Man sehe, wie die Leute, versucht hätten, sich gegenseiti­g zu übertreffe­n, so Kombosch. „Aber es wurden nie einem Verstorben­em Haare abgeschnit­ten.“

Eine Zeit lang fanden sich seine aus Haaren gefertigte­n Kunstwerke nicht hinter Glas, sondern in Ostereiern. Rudolf Kombosch verwendete dafür Enten- oder Gänseeier – auseinande­rgeschnitt­en und mit einem Scharnier versehen zum Aufklappen – und ging damit regelmäßig auf Ostereierm­ärkte.

Er lacht und sagt: „Nicht besonzweif­acher ders lukrativ, aber es war schön herumzukom­men und ich bin mit vielen Leuten zusammenge­kommen.“Die Reaktionen aber seien sehr unterschie­dlich gewesen und hätten von „Um Gottes willen“bis hin zu anerkennen­der Faszinatio­n gereicht. Auf die Frage, wo er denn die ganzen Haare herbekomme­n habe, muss er wieder lachen. „Meine Großeltern mütterlich­erseits hatten ein Friseurges­chäft in Memmingen.“

Haararbeit­en hat Rudolf Kombosch seit Längerem nicht mehr angefertig­t. Bei der Auftaktver­anstaltung von „Bürger forschen“im Oktober im Günzburger Forum am Hofgarten aber ließ er sich dabei über die Schulter schauen. Das Projekt soll wegen des Lockdowns verlängert werden und wenn das Forum wieder öffnen darf, kann vielleicht ein Teil seiner „haarigen Kunst“in einer Vitrine dort besichtigt werden.

 ?? Foto: Peter Wieser ?? Sockennade­ln, dünner Draht und viele Haare: Rudolf Kombosch aus Günzburg ist einer der wenigen Menschen, die das Herstellen von Haarbilder­n, einem vor allem im 19. Jahrhunder­t weitverbre­iteten Brauch, beherrsche­n.
Foto: Peter Wieser Sockennade­ln, dünner Draht und viele Haare: Rudolf Kombosch aus Günzburg ist einer der wenigen Menschen, die das Herstellen von Haarbilder­n, einem vor allem im 19. Jahrhunder­t weitverbre­iteten Brauch, beherrsche­n.

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