So hilflos ist die Politik
Leitartikel In der Corona-Krise stoßen die Regierenden in Bund und Ländern an Grenzen. Nur zugeben wollen sie es nicht – und vertiefen die Gräben damit noch weiter
Es schien vor Weihnachten, als ob die Pandemie einigermaßen unter Kontrolle sei. Ein paar schöne Feiertage, ein ruhiges Silvester, dann wird geimpft und mit den immer länger werdenden Tagen zieht sich das Virus immer weiter zurück – so in etwa sah die Linie aus, die die Politik in Bund und Ländern vorgab. Vielen Menschen schwante da schon, dass es so einfach nicht werden würde, und in der Tat: Die Lage ist weder im Griff noch ist absehbar, wann sie es sein wird. Das Virus mutiert, die Impfstoff-Versorgung schwankt, viele Menschen verlieren die Geduld und riskieren lieber einen Ausflug in den Schnee, als ständig zu Hause zu sitzen. Die Politik ist weitgehend hilflos, wie die Runde der Ministerpräsidenten mit Angela Merkel jetzt gezeigt hat.
Es ist nicht Panik und es ist auch kein Chaos, das in den Regierungsetagen herrscht, sondern eher eine allgemeine Ratlosigkeit, die sich breitmacht. Die 15-Kilometer-Ketten, mit denen die Bewegungsfreiheit vieler Menschen jetzt noch weiter eingeschränkt wird, sind schon sehr kurz. Mehr Druck kann man kaum noch ausüben. Private Treffen beispielsweise sind nur noch mit einer einzigen Person aus einem anderen Haushalt möglich. Aber was kommt, wenn auch das nicht wirkt? Werden dann jegliche privaten Treffen verboten?
Die Rat- und Hilflosigkeit der Politik ist teilweise sogar nachvollziehbar. Obwohl nach einem Jahr Pandemie genug Daten für die Vorausberechnung des Infektionsgeschehens verfügbar sein müssten, schlägt das Virus Volten, die so vermutlich auch kein Experte vorhersagen konnte. Völlig unberechenbar ist dazu der Faktor Mensch. Was hingegen deutlich besser funktionieren müsste, ist jedoch die Kommunikation dessen, was da in den Regierungen von Bund und Ländern beraten und beschlossen wird.
Ein großes Fragezeichen steht dabei hinter dem Verhalten der SPD. Wenn es tatsächlich Schwierigkeiten bei der Impfstoff-Lieferung gibt, dann hat sie die selbst mit zu verantworten. Die Sozialdemokraten sind Teil der Bundesregierung, sie sind in der EU vertreten und haben damit alle Möglichkeiten, sich zu informieren und Einfluss zu nehmen. Der vom WillyBrandt-Haus vorgelegte Fragenkatalog,
mit dem die SPD von der Kanzlerin und der Union Aufklärung im Impf-Dilemma verlangt, ist jedenfalls schlechter Stil und verschärft völlig unnötig den Ton in einer ohnehin angespannten Lage.
Apropos Ton: Zum Umgang mit der Pandemie und zur Herstellung einer höheren Akzeptanz für die Maßnahmen in der Bevölkerung gehört auch, dass die Politik sich ehrlich macht. Wer nach der Runde im Kanzleramt beispielsweise
Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller zuhörte, wähnte sich in einem anderen Film. Man habe in der Vergangenheit stets der Lage angepasst gehandelt und sei damit gut gefahren, erklärte der SPD-Politiker da, als ob es die vielen Infizierten, Toten und überlasteten Helferinnen und Helfer nicht geben würde. Angela Merkel wiederum hatte vor Wochen schon gewarnt, dass die beschlossenen Regeln nicht ausreichten. Man musste ihr dabei nicht folgen. Man könnte sich heute aber eingestehen, dass es besser gewesen wäre, wenn man ihr damals schon gefolgt wäre.
Einen starken Auftritt in dieser Hinsicht hatte vor dem Treffen im Kanzleramt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Der Linken-Politiker gestand ein, die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Solche Eingeständnisse zeugen von einer gewissen Größe und können die Gräben überbrücken, die zwischen Politik und Volk in der Pandemie unzweifelhaft aufgerissen wurden. Es wäre schön, würde es mehrere solcher Momente der Einsicht geben.
Die SPD macht sich einen schlanken Fuß