Guenzburger Zeitung

So hilflos ist die Politik

Leitartike­l In der Corona-Krise stoßen die Regierende­n in Bund und Ländern an Grenzen. Nur zugeben wollen sie es nicht – und vertiefen die Gräben damit noch weiter

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger‰allgemeine.de

Es schien vor Weihnachte­n, als ob die Pandemie einigermaß­en unter Kontrolle sei. Ein paar schöne Feiertage, ein ruhiges Silvester, dann wird geimpft und mit den immer länger werdenden Tagen zieht sich das Virus immer weiter zurück – so in etwa sah die Linie aus, die die Politik in Bund und Ländern vorgab. Vielen Menschen schwante da schon, dass es so einfach nicht werden würde, und in der Tat: Die Lage ist weder im Griff noch ist absehbar, wann sie es sein wird. Das Virus mutiert, die Impfstoff-Versorgung schwankt, viele Menschen verlieren die Geduld und riskieren lieber einen Ausflug in den Schnee, als ständig zu Hause zu sitzen. Die Politik ist weitgehend hilflos, wie die Runde der Ministerpr­äsidenten mit Angela Merkel jetzt gezeigt hat.

Es ist nicht Panik und es ist auch kein Chaos, das in den Regierungs­etagen herrscht, sondern eher eine allgemeine Ratlosigke­it, die sich breitmacht. Die 15-Kilometer-Ketten, mit denen die Bewegungsf­reiheit vieler Menschen jetzt noch weiter eingeschrä­nkt wird, sind schon sehr kurz. Mehr Druck kann man kaum noch ausüben. Private Treffen beispielsw­eise sind nur noch mit einer einzigen Person aus einem anderen Haushalt möglich. Aber was kommt, wenn auch das nicht wirkt? Werden dann jegliche privaten Treffen verboten?

Die Rat- und Hilflosigk­eit der Politik ist teilweise sogar nachvollzi­ehbar. Obwohl nach einem Jahr Pandemie genug Daten für die Vorausbere­chnung des Infektions­geschehens verfügbar sein müssten, schlägt das Virus Volten, die so vermutlich auch kein Experte vorhersage­n konnte. Völlig unberechen­bar ist dazu der Faktor Mensch. Was hingegen deutlich besser funktionie­ren müsste, ist jedoch die Kommunikat­ion dessen, was da in den Regierunge­n von Bund und Ländern beraten und beschlosse­n wird.

Ein großes Fragezeich­en steht dabei hinter dem Verhalten der SPD. Wenn es tatsächlic­h Schwierigk­eiten bei der Impfstoff-Lieferung gibt, dann hat sie die selbst mit zu verantwort­en. Die Sozialdemo­kraten sind Teil der Bundesregi­erung, sie sind in der EU vertreten und haben damit alle Möglichkei­ten, sich zu informiere­n und Einfluss zu nehmen. Der vom WillyBrand­t-Haus vorgelegte Fragenkata­log,

mit dem die SPD von der Kanzlerin und der Union Aufklärung im Impf-Dilemma verlangt, ist jedenfalls schlechter Stil und verschärft völlig unnötig den Ton in einer ohnehin angespannt­en Lage.

Apropos Ton: Zum Umgang mit der Pandemie und zur Herstellun­g einer höheren Akzeptanz für die Maßnahmen in der Bevölkerun­g gehört auch, dass die Politik sich ehrlich macht. Wer nach der Runde im Kanzleramt beispielsw­eise

Berlins Regierende­m Bürgermeis­ter Michael Müller zuhörte, wähnte sich in einem anderen Film. Man habe in der Vergangenh­eit stets der Lage angepasst gehandelt und sei damit gut gefahren, erklärte der SPD-Politiker da, als ob es die vielen Infizierte­n, Toten und überlastet­en Helferinne­n und Helfer nicht geben würde. Angela Merkel wiederum hatte vor Wochen schon gewarnt, dass die beschlosse­nen Regeln nicht ausreichte­n. Man musste ihr dabei nicht folgen. Man könnte sich heute aber eingestehe­n, dass es besser gewesen wäre, wenn man ihr damals schon gefolgt wäre.

Einen starken Auftritt in dieser Hinsicht hatte vor dem Treffen im Kanzleramt Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow. Der Linken-Politiker gestand ein, die Lage falsch eingeschät­zt zu haben. Solche Eingeständ­nisse zeugen von einer gewissen Größe und können die Gräben überbrücke­n, die zwischen Politik und Volk in der Pandemie unzweifelh­aft aufgerisse­n wurden. Es wäre schön, würde es mehrere solcher Momente der Einsicht geben.

Die SPD macht sich einen schlanken Fuß

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