Joe Bidens bitterer Triumph
Die Demokraten des künftigen Präsidenten haben sich den Prognosen zufolge in den Stichwahlen im Bundesstaat Georgia die Kontrolle über den Senat gesichert. Doch zum Feiern ist an diesem irren Tag niemandem zumute
Washington Es ist 22.28 Uhr in der US-Hauptstadt, als Donald Trump offensichtlich ein schlechtes Gefühl bekommt. Draußen vor dem Weißen Haus liefern sich seine Anhänger gerade erste Rangeleien mit der Polizei, die mit der Zeit immer weiter eskalieren – selbst bis ins Kapitol schaffen es einige wütende TrumpFans. Doch beunruhigender ist für den noch amtierenden Präsidenten der Trend, der sich am Abend zuvor bereits im Fernsehen aus Georgia abgezeichnet hat. Zwar liegen die beiden republikanischen Kandidaten bei der Senats-Stichwahl da schon seit geraumer Zeit in Führung. Doch noch ist die Demokraten-Hochburg DeKalb County östlich von Atlanta nicht ausgezählt.
„Es sieht so aus, als wenn sie eine große Stimmen-Müllhalde gegen die republikanischen Kandidaten errichten“, setzt der Präsident die nächste Verschwörungserzählung gerade noch rechtzeitig in die Welt, bevor die Zahlen aus DeKalb eintrudeln und sich die Ergebnisse in Georgia umdrehen: Zunächst zieht der demokratische Bewerber Raphael Warnock an der republikanischen Senatorin Kelly Loeffler vorbei und wird ein paar Stunden später von der Agentur AP zum Sieger ausgerufen. Das zweite Rennen zwischen dem Republikaner David Perdue und dem Demokraten Jon Ossoff ist knapper. Doch auch Ossoff überholt den Senator und gewinnt laut Prognosen der Sender NBC und CBS.
Die Abstimmung in dem traditionell konservativen Südstaat ist historisch zu nennen: Mit Warnock, 51, einem Baptistenpfarrer, der aus einfachen Verhältnissen stammt und an der Kirche von Martin Luther King predigte, wird erstmals ein Afroamerikaner für Georgia nach Washington geschickt. Auch Ossoff, ein 33-jähriger jüdischer Filmemacher, liefert einen Kontrast zum bisherigen Amtsinhaber Perdue, einem Multimillionär, der durch zweifelhafte Insidergeschäfte von sich Reden machte.
Der klare Verlierer der Wahl steht schon fest: Trotz einer beispiellosen PR-Schlacht und der drohenden Aussicht auf den Verlust der Senatsmehrheit konnten die Republikaner offenbar nicht genügend Anhänger zur Stimmabgabe motivieren. Dafür, erklärt Gabriel Sterling, ein führender Mitarbeiter des republikanischen Innenministers von Georgia, am Wahlabend, sei ein Mann verantwortlich: Trump. Mit seinen Attacken auf führende Landespolitiker der eigenen Partei hatte der Präsident nämlich für ein regeldurchaus rechtes Chaos gesorgt. Sowohl Trump als auch sein gewählter Nachfolger Joe Biden hatten die Abstimmung in Georgia eindringlich als „Schicksalswahl“bezeichnet. Tatsächlich hängt von ihrem Ausgang der Kurs der USA in den nächsten Jahren ab. Wichtige gesetzgeberische Initiativen kann Biden nämlich nicht ohne den Senat umsetzen. Dort aber haben bislang die Republikaner eine Mehrheit von zwei Stimmen. Gehen nun beide Senatorenplätze an die Demokraten, kommt es in der zweiten Kammer zu einem Patt und die künftige Vizepräsidentin Harris kann mit ihrem Votum den Ausschlag zugunsten der Demokraten geben. Zu Feiern war dem Team Biden/Harris angesichts der dramatischen Ereignisse rund um das Capitol in Washington dennoch nicht zumute.
Trump wiederum ging es seit Wochen nur um seine eigene Person. Statt ernsthaft für die republikanischen Bewerber zu werben, steigerte er sich immer tiefer in seine Verschwörungslegende einer gefälschten Wahl hinein, die er auch dem republikanischen Gouverneur von Georgia anlastete. Das hat nicht nur zu einem Zerwürfnis innerhalb der republikanischen Partei vor Ort geführt, sondern auch Wähler der Partei vor die Frage gestellt, warum sie erneut ihre Stimme abgeben sollen, wenn die Wahlen nach Aussagen Trumps nicht fair verlaufen. Am Mittwoch allerdings, als sich die Lage in Washington immer weiter zuspitzt, ermahnt er seine Anhänger per Twitter auch: „Bleibt friedlich.“
Angesichts des knappen Ergebnisses könnte die Auszählung der Stimmen in Georgia Tage dauern. Auch eine Neuauszählung ist möglich. In der Zwischenzeit dürfte Trump seine Anwälte in Marsch setzen. Am Mittwoch sprach er in Washington vor tausenden Anhängern und rief dabei seinen Stellvertreter Pence auf, bei der Bestätigung des US-Wahlausgangs im Kongress das Ergebnis noch zu kippen. „Wenn Mike Pence tut, was richtig ist, werden wir die Wahl gewinnen.“Pence aber lehnte das Ansinnen ab. Dann brach der Sturm los.