Gibt es nur einen WaschbrettAufschwung?
Der Wirtschafts-Experte Bert Rürup rechnet ab dem Frühjahr mit einer stockenden konjunkturellen Aufwärtsentwicklung. Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer zeigt sich hier jedoch zuversichtlicher
Düsseldorf/Frankfurt am Main Das Wort von Bert Rürup hat Gewicht. Der 77-Jährige ist einer der führenden Wirtschaftsexperten Europas. Lange Zeit beriet er deutsche Bundesregierungen, vor allem in Rentenfragen. Zwischen 2005 und 2009 stand der Finanzwissenschaftler an der Spitze der Wirtschaftsweisen.
Der Namensgeber der RürupRente ist seit 2013 Präsident des Handelsblatt Research Institutes (HRI) und lässt jetzt mit einer im Vergleich zu anderen Wissenschaftlern skeptischeren Prognose aufhorchen: Demnach rechnet er damit, dass die deutsche Wirtschaft einen Rückfall erleidet und erneut in eine „technische“Rezession abgleitet. Davon sprechen Ökonomen, wenn das Bruttoinlandsprodukt – kurz BIP – in zwei aufeinander folgenden Quartalen einbricht. Nachdem das BIP nach Berechnungen von Rürup
Wieder droht eine Rezession
bereits in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres geschrumpft ist, geht er von einem weiteren Minus für Januar bis März 2021 aus. Damit wären die Bedingungen für eine zumindest „technische“Rezession erfüllt. Doch der Einbruch wächst sich demnach zumindest nicht – und da ist sich der Experte sicher – zu einer länger anhaltenden richtigen Rezession aus, die über weitere Quartale wütet.
Dennoch bleibt Rürup pessimistischer als viele seiner Kollegen. Denn er rechnet nicht etwa wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer mit einer „spürbaren Erholung“der deutschen Wirtschaft ab April 2021, also einer wie schon im Sommer vergangenen Jahres einsetzenden kräftigen und stetigen konjunkturellen Wiederbelebung. Rürup geht vielmehr davon aus, dass der Aufschwung sich, ehe die Corona-Pandemie nicht wirklich überwunden ist, „eher waschbrettartig“vollzieht: „Wir werden uns auf ein Go-and-stop einstellen müssen.“
Damit greift der KonjunkturSpezialist auf ein Bild aus den 80er Jahren zurück, als sich das Wachstum phasenweise ruckelig vollzogen hat, als ob es dem gewellten Blech eines Waschbretts gleicht. Dabei dürfte die Entwicklung in diesem Jahr immerhin nicht einer derart schwindelerregenden Berg- und Talfahrt wie 2020 gleichen: Nach einem Corona-Tiefschlag von minus 9,8 Prozent im zweiten gegenüber dem ersten Quartal ging es zwischen Juli und September um 8,5 Prozent wieder kraftvoll nach oben.
Dabei lässt sich eine einfache Gleichung aufmachen: Lockdowns und Unsicherheit kosten Wachstum. Wenn sich das Leben wie im vergangenen Sommer wieder normalisiert und die Wirtschaft den nötigen Freiraum bekommt, geht es bergauf. Wachstum braucht Zuversicht und gute Laune, um Fahrt aufzunehmen. Wenn sich deutlich weniger Bürger mit Corona anstecken und die Todeszahlen zurückgehen, hat das natürlich auch einen enormen psychologisch-ökonomischen Effekt. Dann geben die Bürger wieder mehr Geld aus und Unternehmer investieren.
Wie stark hingegen sich Lockdowns – auch in ihrer Light-Version – auswirken, zeigt sich an der negativen Entwicklung zum Jahresende 2020, die sich nach Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute nun fortsetzt. Wie hoch der Einbruch im vierten Quartal 2020 ausgefallen ist, haben die Statistiker noch nicht endgültig ausgerechnet. Rürup geht jedenfalls davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr um 5,6 Prozent geschrumpft ist. Doch auch der Skeptiker glaubt, für 2021 sei insgesamt ein Plus von 3,3 Prozent zu erwarten, während es 2022 zwei Prozent sein sollen.
Doch es gibt auch zahlreiche optimistischere Prognosen für dieses Jahr. Das Münchner Ifo-Institut schätzt, dass Deutschland 2021 voraussichtlich um immerhin 4,2 Prozent wachsen kann, während die Experten zunächst aber noch von 5,1 Prozent ausgegangen sind. In der schwer vorhersehbaren Coronaund insbesondere Impfsituation gleichen Konjunktur-Prognosen mehr als sonst Kaffeesatz-Leserei.
Dabei meint Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände: „Die Steigerung der Impfgeschwindigkeit ist ein zentraler Wettbewerbsvorteil. Je schneller große Teile der Bevölkerung geimpft sind, desto schneller kann sich die Wirtschaft erholen und damit Beschäftigung sichern.“Der Zusammenhang lässt sich auf den einfachen Nenner bringen: schnelles Impfen, schneller Aufschwung.
Sonst droht das Rürup-Waschbrett. Commerzbank-Experte Krämer sieht es hier als entscheidend an, wie er unserer Redaktion sagt, dass die Bevölkerung bis zum Sommer ausreichend immunisiert wird: „Denn nur dann schwindet die Angst vor einer erneuten Corona-Welle im Herbst 2021.“Gelingt es also, nach deutlichen Anlaufschwierigkeiten das Impftempo erheblich zu erhöhen, können Hotels, Gaststätten und große Teile des Einzelhandels wieder in den Normalbetrieb zurückkehren. Impfpolitik ist damit Konjunkturpolitik. Der Wohlstand Deutschlands hängt an der Nadel.
Dabei wirkt es derzeit beruhigend, dass zumindest der Arbeitsmarkt stabil bleibt. Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, sagt: „Die Zahl der arbeitslosen Menschen ist im Dezember gestiegen – aber nicht so stark wie sonst in diesem Monat.“Im Dezember waren im Vergleich zum November 2020 nur 8000 Menschen mehr offiziell erwerbslos.
Die Zahl der Menschen ohne Job liegt demnach bei 2,707 Millionen. Das entspricht einem erheblich geringeren Zuwachs als im Jahr 2019. Damals legte die Zahl der Arbeitslosen von November auf Dezember um 46000 zu. Dass es 2020 besser lief, ist die Konsequenz massenhafter Kurzarbeit. Scheele verfügt hier aber nur über Daten bis Oktober. Demnach wurde in dem Monat für 1,99 Millionen Arbeitnehmer konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt. Die Kurzarbeit hat nach dem Höchststand von knapp sechs Millionen im April schrittweise massiv abgenommen.
Trotz des allseits als segensreich empfundenen Instruments wirkt es auf den ersten Blick rätselhaft, dass die Zahl der Arbeitslosen von November auf Dezember – also in erneuten Lockdown-Zeiten – nur um 8000 gestiegen ist und die Erwerbslosenquote nach wie vor bei 5,9 Prozent liegt. Der Chef der Bundesagentur kann das erklären, verfügt seine Behörde doch lediglich über Angaben bis 10. Dezember. Damit schlagen sich mögliche Folgen des seit 16. Dezember geltenden harten Lockdowns noch nicht in der Arbeitsmarkt-Statistik nieder.
Impfpolitik ist Konjunkturpolitik