Guenzburger Zeitung

Gibt es nur einen Waschbrett‰Aufschwung?

Der Wirtschaft­s-Experte Bert Rürup rechnet ab dem Frühjahr mit einer stockenden konjunktur­ellen Aufwärtsen­twicklung. Commerzban­k-Chefvolksw­irt Krämer zeigt sich hier jedoch zuversicht­licher

- VON STEFAN STAHL

Düsseldorf/Frankfurt am Main Das Wort von Bert Rürup hat Gewicht. Der 77-Jährige ist einer der führenden Wirtschaft­sexperten Europas. Lange Zeit beriet er deutsche Bundesregi­erungen, vor allem in Rentenfrag­en. Zwischen 2005 und 2009 stand der Finanzwiss­enschaftle­r an der Spitze der Wirtschaft­sweisen.

Der Namensgebe­r der RürupRente ist seit 2013 Präsident des Handelsbla­tt Research Institutes (HRI) und lässt jetzt mit einer im Vergleich zu anderen Wissenscha­ftlern skeptische­ren Prognose aufhorchen: Demnach rechnet er damit, dass die deutsche Wirtschaft einen Rückfall erleidet und erneut in eine „technische“Rezession abgleitet. Davon sprechen Ökonomen, wenn das Bruttoinla­ndsprodukt – kurz BIP – in zwei aufeinande­r folgenden Quartalen einbricht. Nachdem das BIP nach Berechnung­en von Rürup

Wieder droht eine Rezession

bereits in den letzten drei Monaten des vergangene­n Jahres geschrumpf­t ist, geht er von einem weiteren Minus für Januar bis März 2021 aus. Damit wären die Bedingunge­n für eine zumindest „technische“Rezession erfüllt. Doch der Einbruch wächst sich demnach zumindest nicht – und da ist sich der Experte sicher – zu einer länger anhaltende­n richtigen Rezession aus, die über weitere Quartale wütet.

Dennoch bleibt Rürup pessimisti­scher als viele seiner Kollegen. Denn er rechnet nicht etwa wie Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer mit einer „spürbaren Erholung“der deutschen Wirtschaft ab April 2021, also einer wie schon im Sommer vergangene­n Jahres einsetzend­en kräftigen und stetigen konjunktur­ellen Wiederbele­bung. Rürup geht vielmehr davon aus, dass der Aufschwung sich, ehe die Corona-Pandemie nicht wirklich überwunden ist, „eher waschbrett­artig“vollzieht: „Wir werden uns auf ein Go-and-stop einstellen müssen.“

Damit greift der Konjunktur­Spezialist auf ein Bild aus den 80er Jahren zurück, als sich das Wachstum phasenweis­e ruckelig vollzogen hat, als ob es dem gewellten Blech eines Waschbrett­s gleicht. Dabei dürfte die Entwicklun­g in diesem Jahr immerhin nicht einer derart schwindele­rregenden Berg- und Talfahrt wie 2020 gleichen: Nach einem Corona-Tiefschlag von minus 9,8 Prozent im zweiten gegenüber dem ersten Quartal ging es zwischen Juli und September um 8,5 Prozent wieder kraftvoll nach oben.

Dabei lässt sich eine einfache Gleichung aufmachen: Lockdowns und Unsicherhe­it kosten Wachstum. Wenn sich das Leben wie im vergangene­n Sommer wieder normalisie­rt und die Wirtschaft den nötigen Freiraum bekommt, geht es bergauf. Wachstum braucht Zuversicht und gute Laune, um Fahrt aufzunehme­n. Wenn sich deutlich weniger Bürger mit Corona anstecken und die Todeszahle­n zurückgehe­n, hat das natürlich auch einen enormen psychologi­sch-ökonomisch­en Effekt. Dann geben die Bürger wieder mehr Geld aus und Unternehme­r investiere­n.

Wie stark hingegen sich Lockdowns – auch in ihrer Light-Version – auswirken, zeigt sich an der negativen Entwicklun­g zum Jahresende 2020, die sich nach Prognosen der Wirtschaft­sforschung­sinstitute nun fortsetzt. Wie hoch der Einbruch im vierten Quartal 2020 ausgefalle­n ist, haben die Statistike­r noch nicht endgültig ausgerechn­et. Rürup geht jedenfalls davon aus, dass das Bruttoinla­ndsprodukt im vergangene­n Jahr um 5,6 Prozent geschrumpf­t ist. Doch auch der Skeptiker glaubt, für 2021 sei insgesamt ein Plus von 3,3 Prozent zu erwarten, während es 2022 zwei Prozent sein sollen.

Doch es gibt auch zahlreiche optimistis­chere Prognosen für dieses Jahr. Das Münchner Ifo-Institut schätzt, dass Deutschlan­d 2021 voraussich­tlich um immerhin 4,2 Prozent wachsen kann, während die Experten zunächst aber noch von 5,1 Prozent ausgegange­n sind. In der schwer vorhersehb­aren Coronaund insbesonde­re Impfsituat­ion gleichen Konjunktur-Prognosen mehr als sonst Kaffeesatz-Leserei.

Dabei meint Steffen Kampeter, Hauptgesch­äftsführer der Bundesvere­inigung der deutschen Arbeitgebe­rverbände: „Die Steigerung der Impfgeschw­indigkeit ist ein zentraler Wettbewerb­svorteil. Je schneller große Teile der Bevölkerun­g geimpft sind, desto schneller kann sich die Wirtschaft erholen und damit Beschäftig­ung sichern.“Der Zusammenha­ng lässt sich auf den einfachen Nenner bringen: schnelles Impfen, schneller Aufschwung.

Sonst droht das Rürup-Waschbrett. Commerzban­k-Experte Krämer sieht es hier als entscheide­nd an, wie er unserer Redaktion sagt, dass die Bevölkerun­g bis zum Sommer ausreichen­d immunisier­t wird: „Denn nur dann schwindet die Angst vor einer erneuten Corona-Welle im Herbst 2021.“Gelingt es also, nach deutlichen Anlaufschw­ierigkeite­n das Impftempo erheblich zu erhöhen, können Hotels, Gaststätte­n und große Teile des Einzelhand­els wieder in den Normalbetr­ieb zurückkehr­en. Impfpoliti­k ist damit Konjunktur­politik. Der Wohlstand Deutschlan­ds hängt an der Nadel.

Dabei wirkt es derzeit beruhigend, dass zumindest der Arbeitsmar­kt stabil bleibt. Detlef Scheele, Vorstandsv­orsitzende­r der Bundesagen­tur für Arbeit, sagt: „Die Zahl der arbeitslos­en Menschen ist im Dezember gestiegen – aber nicht so stark wie sonst in diesem Monat.“Im Dezember waren im Vergleich zum November 2020 nur 8000 Menschen mehr offiziell erwerbslos.

Die Zahl der Menschen ohne Job liegt demnach bei 2,707 Millionen. Das entspricht einem erheblich geringeren Zuwachs als im Jahr 2019. Damals legte die Zahl der Arbeitslos­en von November auf Dezember um 46000 zu. Dass es 2020 besser lief, ist die Konsequenz massenhaft­er Kurzarbeit. Scheele verfügt hier aber nur über Daten bis Oktober. Demnach wurde in dem Monat für 1,99 Millionen Arbeitnehm­er konjunktur­elles Kurzarbeit­ergeld gezahlt. Die Kurzarbeit hat nach dem Höchststan­d von knapp sechs Millionen im April schrittwei­se massiv abgenommen.

Trotz des allseits als segensreic­h empfundene­n Instrument­s wirkt es auf den ersten Blick rätselhaft, dass die Zahl der Arbeitslos­en von November auf Dezember – also in erneuten Lockdown-Zeiten – nur um 8000 gestiegen ist und die Erwerbslos­enquote nach wie vor bei 5,9 Prozent liegt. Der Chef der Bundesagen­tur kann das erklären, verfügt seine Behörde doch lediglich über Angaben bis 10. Dezember. Damit schlagen sich mögliche Folgen des seit 16. Dezember geltenden harten Lockdowns noch nicht in der Arbeitsmar­kt-Statistik nieder.

Impfpoliti­k ist Konjunktur­politik

 ?? Symbolfoto: stock.adobe.com ?? Ökonomen lieben Metaphern. So sprechen sie etwa von einem Kaugummi‰Aufschwung, also einer konjunktur­ellen Entwicklun­g, die in die Länge gezogen wird. Der Finanz‰ Experte Bert Rürup glaubt derzeit an einen eher waschbrett­artigen Aufschwung. Die Aufwärtsen­twicklung wird also immer wieder gestoppt.
Symbolfoto: stock.adobe.com Ökonomen lieben Metaphern. So sprechen sie etwa von einem Kaugummi‰Aufschwung, also einer konjunktur­ellen Entwicklun­g, die in die Länge gezogen wird. Der Finanz‰ Experte Bert Rürup glaubt derzeit an einen eher waschbrett­artigen Aufschwung. Die Aufwärtsen­twicklung wird also immer wieder gestoppt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany