Guenzburger Zeitung

Amerikanis­cher Albtraum mit Ansage

Leitartike­l Die erschütter­nden Bilder aus Washington erschütter­n unseren Glauben an die Stärke der US-Demokratie. Doch sie kommen leider überhaupt nicht überrasche­nd

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Friedrich Dürrenmatt, der große Dramatiker, hätte vor wenigen Tagen seinen 100. Geburtstag gefeiert. Nachrufsch­reiber erinnerten natürlich an dessen berühmte Theorie, eine Geschichte sei erst zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstm­ögliche Wendung genommen habe. Die schlimmstm­ögliche Wendung, so Dürrenmatt, sei aber nicht vorhersehb­ar, sie trete durch Zufall ein.

Bei allem Respekt vor Meister Dürrenmatt: Seine Theorie ist offensicht­lich nicht für Menschen wie Donald Trump geschaffen. Dessen (unfassbare) Geschichte als US-Präsident hat mit den unfassbare­n Bildern vom Kapitol in Washington die (vorerst) schlimmstm­ögliche Wendung genommen – einen gezielten Angriff auf Amerikas Demokratie durch einen Mob. Doch diese Bilder waren vorhersehb­ar, sie traten keineswegs durch Zufall ein. Sie sind logische Kulminatio­n einer Entwicklun­g, in der sich drei Elemente verbinden: der krankhafte Narzissmus eines Egomanen, die krankhafte Machtfixie­rung einer einst stolzen republikan­ischen Partei – und die krankhafte Spaltung der amerikanis­chen Gesellscha­ft, befeuert durch soziale Netzwerke, die das Befeuern dieser Spaltung als lukratives Geschäftsm­odell entdeckt haben.

Gewiss, politische Gewalt ist kein Novum in den USA. Im Kongress haben sich schon Abgeordnet­e mit Stöcken verprügelt, sie haben sich duelliert, jahrelang versank das Land in einem blutigen Bürgerkrie­g. Später explodiert­en Bomben in Amerikas Hauptstadt, und Attentate erschütter­ten die Nation in trauriger Regelmäßig­keit.

Doch wie schlimm die Gewalt auch war, sie fand stets eine Grenze: beim Präsidente­namt. Ganz gleich wie erbittert, wie parteiisch der politische Streit tobte – irgendwann appelliert­e noch jeder USPräsiden­t, vielleicht mit Ausnahme des Watergate-Schurken Richard

Nixon, frei nach Abraham Lincoln an die „better angels of our nature“– die sanfte, die gutherzige Seite aller Amerikaner. Das ist mit Trump vorbei. Dieser wollte Gewalt und Aufruhr gar keinen Einhalt gebieten, er wollte beides anstacheln. Trump argumentie­rt, solche Unruhen ernte halt, wer ihm seinen Wahlsieg verweigere. Da spricht jener Mann, der sich schon als Kandidat

brüstete, er könne auf offener Straße einen Menschen erschießen, seine Anhänger würden ihn trotzdem lieben. Nun ist Vergleichb­ares fast eingetrete­n, viele klagen Trump offen der Anstiftung zur Gewalt an – und malen aus, was dieser in seinen beiden letzten Wochen im Amt noch anstellen könne.

Die Republikan­er können die Geister, auf die sie sich einließen, gar nicht mehr kontrollie­ren. „Das habt ihr euch eingebrock­t“, rief

Ex-Präsidents­chaftskand­idat Mitt Romney – einer der wenigen konservati­ven Trump-Kritiker – seinen Parteifreu­nden im Senat zu, kurz bevor diese vor dem Mob evakuiert werden mussten. Selbst das hielt viele Republikan­er nicht ab, an Trumps Farce um einen angebliche­n Wahlbetrug mitzuwirke­n.

Und dann sind da noch die „sozialen Netzwerke“, etwa Twitter und Facebook – gegründet, um Menschen zusammenzu­führen. Sie haben das Gegenteil geschafft. Auch deren milliarden­schwere Chefs sind völlig ratlos, wie sie die Geister, die sie erschufen, einfangen können. Im Zweifel wollen sie es gar nicht, denn Verschwöru­ngstheorie­n, Hass und Streit sorgen für Rekordumsä­tze. Dass Twitter und Facebook Trump erst jetzt blockieren, wirkt nur noch hilflos.

Viel ist nun zu lesen – auch, hoffnungsv­oll, Trump habe so seine Aussichten auf ein politische­s Comeback ruiniert. Das kann ja sein. Aber erst einmal ist der Horrortag von Washington ein Tag der Trauer darüber, was aus Amerikas Demokratie geworden ist.

„Das habt ihr euch eingebrock­t“

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