Guenzburger Zeitung

Bundestag soll keine Festung sein

Parlaments­vize Claudia Roth will ein offenes Haus

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Die dramatisch­en Bilder aus Washington lösen bei den Abgeordnet­en des Bundestage­s unangenehm­e Erinnerung­en aus. Im Sommer versuchten am Rande einer Großdemons­tration von Kritikern der Seuchenpol­itik Rechtsextr­eme, den Reichstag zu stürmen. Sie durchbrach­en eine Polizeiket­te und kamen bis vor die Tore des Hohen Hauses. Aufgehalte­n wurden sie schließlic­h von drei mutigen Polizisten, die sich ihnen in den Weg stellten.

Die Vizepräsid­entin des Bundestage­s, Claudia Roth, hat nicht vergessen, welchen Schock das vor wenigen Monaten ausgelöst hat: Rechtsextr­eme schwenken schwarz-weiß-rote Flaggen auf den Stufen des Reichstage­s. „Wir müssen uns bewusst machen, dass auch bei uns Rechtsstaa­tsfeinde an der Verächtlic­hmachung der Demokratie arbeiten, das ist auch Bestandtei­l der Strategie einer radikalisi­erten AfD“, sagte die Grünen-Politikeri­n unserer Redaktion. Dennoch soll das Parlament nicht verbarrika­diert werden. „Wir werden den Bundestag nicht in eine Zitadelle verwandeln.“Genau das sei das Ziel der Feinde der Demokratie, die „Zerstörung der Offenheit“, so Roth.

Besucher können normalerwe­ise die Reichstags­kuppel anschauen, wenn sie nicht wie derzeit wegen der Bekämpfung der Pandemie geschlosse­n ist. In den Arbeits- und Plenarbere­ich kommt man hingegen nicht einfach so. Es braucht dafür eine Einladung eines Abgeordnet­en oder die Bürger müssen Teil einer organisier­ten Besuchergr­uppe sein. Journalist­en und Lobbyisten können einen Hausauswei­s beantragen.

Roths Amtskolleg­e Wolfgang Kubicki, der für die FDP einen der fünf Posten eines Vizepräsid­enten des Bundestage­s bekleidet, hält das Parlament ausreichen­d vor einem Sturm geschützt. „Ein ähnlicher Angriff wäre bei unserem Sicherheit­skonzept nicht durchführb­ar“, sagte er unserer Redaktion. Nach dem Versuch im August war das Sicherheit­skonzept verschärft worden. Kubicki hält es für unwahrsche­inlich, dass es in Berlin zu ähnlichen Szenen wie in der amerikanis­chen Hauptstadt kommen könnte. „Denn der Grad der Radikalisi­erung und Polarisier­ung der amerikanis­chen Gesellscha­ft unterschei­det sich deutlich von unseren Verhältnis­sen“, erklärte der 68-Jährige.

Eine Schwachste­lle im Sicherheit­skonzept könnten Abgeordnet­e und deren Mitarbeite­r sein: Im November hatte die AfD Gegner der Corona-Politik in den Reichstag eingeschle­ust, die Parlamenta­rier bedrängten und bepöbelten. Die AfD entschuldi­gte sich später für die Störer und belegte Abgeordnet­e, die ihnen Zutritt verschafft hatten, mit einem Redeverbot. Im Juli warfen Klima-Aktivisten Flugblätte­r in der abgeschirm­ten Westlobby. Auch in diesem Falle ist es kaum denkbar, dass sie ohne Sympathisa­nten dorthin vordringen konnten.

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier erinnerte ebenfalls an die aus dem Ruder gelaufene Demonstrat­ion vor dem Reichstag. „Deshalb sende ich diese Botschaft heute auch an uns alle: Hass und Hetze gefährden die Demokratie.“

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Der Sturm von Querdenken‰Demons‰ tranten auf den Berliner Reichstag löste einen Schock aus. Foto: dpa

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