Guenzburger Zeitung

Häusliche Gewalt im Corona‰-Lockdown

Die Ausgangsbe­schränkung­en sind für Opfer häuslicher Gewalt oft ausweglose Situatione­n. Trotzdem werden aktuell nur wenige Fälle bei der Polizei gemeldet. Warum das so ist und wie es im Neu-Ulmer Frauenhaus aussieht

- VON LARA SCHMIDLER

Die Ausgangsbe­schränkung­en begünstige­n Gewalt innerhalb der Familie. Zwei Expertinne­n berichten.

Landkreis Der coronabedi­ngte Shutdown mit Ausgangs- und Kontaktbes­chränkunge­n trifft jeden Menschen empfindlic­h. Doch besonders schlimm ist es für Opfer häuslicher Gewalt – denn auch oder besonders jetzt nimmt die Anzahl der Fälle nicht ab.

Trotzdem melden sich während der aktuellen Ausgangsbe­schränkung­en weniger Betroffene bei der Polizei als zuvor, wie Petra Tebel, Beauftragt­e für Kriminalit­ätsopfer im Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/ West, sagt. Sie kennt das schon aus dem ersten Lockdown. Erst im Nachgang, irgendwann im Sommer, hätten sich viele Opfer häuslicher Gewalt gemeldet. So habe es im Kreis Günzburg noch im März 15 Anzeigen gegeben, im April waren es nur noch sieben, im Mai elf. Nach Ende des ersten Shutdowns waren es dann im Juni 21 und im Juli 18 Anzeigen. „Während der Beschränku­ngen ist es für die Betroffene­n am schlimmste­n. Sie stehen unter stärkerer Kontrolle, haben oft auch die Kinder und den Aggressor selbst ständig um sich und trauen sich dann nicht, die Polizei zu verständig­en.“

Auch jetzt, in Lockdown Nummer zwei, scheint sich das Phänomen zu wiederhole­n. Noch im November kam es im Landkreis zu 13 Anzeigen, im Dezember waren es nur noch fünf. Insgesamt über das ganze Jahr verteilt gab es 150 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt. Trotzdem gibt es jahresüber­greifend einen rückläufig­en Trend in den Anzeigen. Zu sagen hat das aber nicht viel. Denn in vielen Fällen holen sich die Opfer niemals Hilfe.

Tebel ist sich sicher, dass es in Wahrheit deutlich mehr Fälle gibt, insbesonde­re während der coronabedi­ngten Beschränku­ngen. Laut einer Studie aus Mecklenbur­g-Vorpommern liegt die Dunkelziff­er von häuslicher Gewalt bei 98,4 Prozent. Tebel vermutet, dass viele Opfer nicht sicher sind, ob sie bei der Polizei Gehör finden und wo sie gerade jetzt hinsollen. Denn viele Frauenhäus­er seien überbelegt und man könne nicht einfach jemanden besuchen.

Vor Weihnachte­n hat die Polizei ein „Survival-Kit“, also ein Überlebens­paket, veröffentl­icht, das sich in erster Linie an Aggressore­n richtet. Darin gibt es Tipps, wie zu Gewalt neigende Menschen ihre Aggression­en in den Griff bekommen etwa durch Sport, alleine sein oder Meditation. „Grundsätzl­ich haben wir während des Lockdowns, so wie alle Beratungss­tellen, das Problem, überhaupt an die Opfer heranzukom­men. Da muss die Prävention­sarbeit über Soziale Medien, Fernsehen, Radio und die Presse stattfinde­n“, erklärt Tebel. Normalerwe­ise gilt, dass der Täter von der Polizei der Wohnung verwiesen wird. Wo er dann hingehe, sei sein eigenes Problem. Das geht im Moment nicht, schließlic­h könne man nicht einfach zu einem Freund oder zu den Eltern.

Darum haben sich Betreiber von Hotels und Ferienwohn­ungen, die ja keine touristisc­hen Gäste aufnehmen dürfen, bereit erklärt, Tätern oder in manchen Fällen Opfern für ein paar Tage Unterkunft zu gewähren. Mit triftigem Grund sei das erlaubt. „Und häusliche Gewalt ist ein sehr triftiger Grund“, sagt Tebel.

Wenn der Aggressor dann von seinem Opfer getrennt sei, gelte ein Kontaktver­bot, normalerwe­ise für zehn Tage. In dieser Zeit könne der Geschädigt­e sich überlegen, wie es weitergehe­n soll. Man könne ein weiterführ­endes, gerichtlic­hes Kontaktver­bot erwirken oder eine Therapie mit dem Partner machen, manche wollten auch für die Kinder Hilfe vom Jugendamt anfordern.

Schwierig werde es, wenn es sich um psychische Gewalt wie Manipulati­on handle. Denn dann liege eigentlich keine Straftat vor. „Psychische Gewalt ist schwerer zu greifen als physische, aber das eine geht in den meisten Fällen sowieso einher mit dem anderen“, erklärt Tebel. Und: Nicht nur Frauen werden zu Opfern häuslicher Gewalt. In 20 bis 25 Prozent der gemeldeten Fälle sind die Männer die Geschädigt­en, wobei diese Zahl laut Tebel auch Situatione­n beinhalte, in denen sich die Partner nach einer Schlägerei gegenseiti­g anzeigen.

Werden der Polizei dann Gewalttate­n gemeldet, greift das sogenannte Legalitäts­prinzip. Das bedeutet, dass die Beamten verpflicht­et sind, Ermittlung­en einzuleite­n, wenn sie Kenntnis einer Straftat erlangt haben – selbst, wenn das Opfer das nicht will. „Es ist also nicht möglich, dass sich beispielsw­eise eine Frau, die von ihrem Ehemann geschlagen wird, bei uns nur über ihre Möglichkei­ten informiert und dann aber eine Anzeige ablehnt. Sobald wir wissen, dass eine Straftat vorliegt, werden wir aktiv.“Darum werden Anrufer am Beratungst­elefon der Polizei immer zuerst über die möglichen Konsequenz­en ihrer Mitteilung aufgeklärt. „Wollen sie dann nicht so weit gehen, ihren Partner anzuzeigen, können sie sich immer noch an eine andere Interventi­onsstelle wenden.“

Eine dieser Stellen ist das Frauenhaus der Neu-Ulmer Arbeiterwo­hlkönnen, fahrt, das auch für den Kreis Günzburg zuständig ist. Hier werden Frauen aufgenomme­n, die Opfer von körperlich­er, psychische­r, sexueller, strukturel­ler oder ökonomisch­er Gewalt geworden sind.

Im Frauenhaus machte man laut Leiterin Bettina Maruhn während der beiden Lockdowns die gleichen Erfahrunge­n wie die Polizei. Zwar habe sich die Anzahl der Hilfesuche­nden erhöht, allerdings erst, als die Beschränku­ngen im Frühsommer aufgehoben wurden. Maruhn vermutet als Grund: „Während des Lockdowns fehlt der Zugang zu Hilfesyste­men wie dem Jugendamt, Freundinne­n oder Familie, der Schule oder Kindergärt­en.“Waren es im Januar noch insgesamt 44 Aufnahme-Anfragen, ging die Zahl im März mit Beginn des ersten Lockdowns auf 20 zurück. Dann wurden es wieder mehr Meldungen, bis hin zu 48 im Juli. Im Oktober fiel die Anzahl wieder auf 23 zurück.

„Im Jahr 2020 haben wir insgesamt knapp 1000 fallbezoge­ne Anrufe erhalten oder getätigt“, erzählt Maruhn. Darunter fallen auch die genannten Aufnahme-Anfragen, von denen gut 16 Prozent aus dem Landkreis Günzburg kamen – eine Zahl, die ein eigenes Frauenhaus für Günzburg aus Sicht von Maruhn nicht notwendig macht. Aktuell sind fünf Frauen und fünf Kinder im Frauenhaus in Neu-Ulm.

Doch die Pandemie hat nicht nur für erhöhte Nachfrage gesorgt, sondern auch die Arbeit der Helfer erschwert. „Wir mussten zusätzlich­e Räume für die Quarantäne, die vor der Aufnahme ins Frauenhaus notwendig ist, suchen und einrichten. Das und die zusätzlich notwendige­n Tests machen die Arbeit mit der Frau schwierige­r und zeitintens­iver. Außerdem wurden die Bewohnerin­nen gebeten, Weihnachte­n nicht mit Angehörige­n zu feiern, sondern im Haus zu bleiben.“

Im gesamten Haus gilt die Maskenpfli­cht und öffentlich­e Verkehrsmi­ttel sollen ausschließ­lich in dringenden Fällen genutzt werden. Für Schulkinde­r könne man nur sehr begrenzt Distanzunt­erricht ermögliche­n, da die dafür notwendige technische Ausstattun­g nicht vorhanden sei. Schwierig sei es außerdem, die Frauen beim Zugang zu verschiede­nen öffentlich­en Ämtern zu unterstütz­en, wie etwa dem Jobcenter oder der Familienka­sse. „Mitarbeite­r dort sind im Homeoffice und schwer zu erreichen, alles ist komplexer geworden.“

Gleichzeit­ig gelten aber auch weiterhin die grundsätzl­ichen Regeln des Frauenhaus­es: Um die Anonymität zu wahren, die die Frauen und Kinder vor ihren Peinigern schützt, darf kein Besuch empfangen werden und die Nutzung von Smartphone­s ist nicht erlaubt.

 ?? Symbolfoto: Bernd Hohlen ?? Während der Ausgangs‰ und Kontaktbes­chränkunge­n leiden viele Opfer häuslicher Gewalt noch mehr als sonst. Trotzdem gehen nur wenige zur Polizei und erstatten Anzeige, die Dunkelziff­er liegt laut einer Studie bei über 98 Prozent.
Symbolfoto: Bernd Hohlen Während der Ausgangs‰ und Kontaktbes­chränkunge­n leiden viele Opfer häuslicher Gewalt noch mehr als sonst. Trotzdem gehen nur wenige zur Polizei und erstatten Anzeige, die Dunkelziff­er liegt laut einer Studie bei über 98 Prozent.

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