Guenzburger Zeitung

In den Krankenhäu­sern wartet nach Corona schon die nächste Krise Leitartike­l

Viele Kliniken leisten in der Pandemie Schwerstar­beit. Der Kampf mit dem Virus offenbart grundlegen­de Probleme, die sich ohne Reform noch weiter zuspitzen

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger‰allgemeine.de

Viele Politiker und Verantwort­liche im Gesundheit­swesen blicken jeden Tag mit Sorge auf die aktuellen Statistike­n aus den deutschen Kliniken. Diese Woche kämpfen Ärzte und Krankenpfl­eger um das Leben doppelt so vieler schwerst Corona-Kranker wie auf dem Höhepunkt der ersten Welle. Und Woche für Woche kommen hunderte neue Patienten dazu. Wer überlebt, bleibt viele Tage stationär behandlung­sbedürftig, sodass die Zahl der Intensivpa­tienten immer weiter ansteigt.

Mehr als ein Viertel der CoronaInte­nsivpatien­ten überlebt die Krankheit nicht. In diesen Tagen steigt die Zahl der Corona-Toten in Deutschlan­d auf über 40 000. Und alle, die dabei vor allem auf die zynische Unterschei­dung, ob „an“oder „mit“Corona Wert legen wollen, seien auf das Statistisc­he Bundesamt verwiesen: Im November starben elf Prozent mehr Menschen in Deutschlan­d als im Durchschni­tt der vergangene­n vier Jahre zuvor, Mitte Dezember stieg diese sogenannte „Übersterbl­ichkeit“bereits auf 23 Prozent.

Kalte, anonyme Zahlen, die keinerlei Eindruck davon vermitteln, was das deutlich gestiegene tägliche Sterben für die in den Kliniken arbeitende­n Menschen bedeutet. Dazu kommt die Infektions­gefahr: 1500 Beschäftig­te in Gesundheit­seinrichtu­ngen liegen derzeit selbst mit Corona im Krankenhau­s.

In der ersten Welle entstand der Eindruck, die Pandemie habe Deutschlan­ds Krankenhäu­sern wenig anhaben können. Doch dies wurde mit der Verschiebu­ng zahlloser Operatione­n erkauft, die schnell nachgeholt wurden. Für die Klinikbesc­häftigten setzte sich der Krisenstre­ss nahtlos fort. In der zweiten Welle wächst die Furcht vor der endgültige­n Überlastun­g der Intensivst­ationen so sehr, dass immer weiter an der LockdownSc­hraube gedreht wird. ein Hauptprobl­em dabei ist, dass sich jetzt in der Gesundheit­spolitik seit Jahrzehnte­n bekannte Fehler rächen.

Die Intensivve­rsorgung ist weniger durch Technik und Betten begrenzt als durch vorhandene­s Pflegepers­onal. Und auch auf den Normalstat­ionen sieht es nicht anders aus. Deutschlan­d ist beim Pflegepers­onal seit vielen Jahren Schlusslic­ht bei der Pflegevers­orgung: Mehr als 13 Patienten kommen auf eine Pflegekraf­t, in den Nachbarlän­dern nur halb so viele. Zu wenig Personal heißt zu wenig Zeit für Patienten und Stress, der die Beschäftig­ten krank macht. Dazu kommt eine im internatio­nalen Vergleich schlechte Bezahlung.

Die Politik hat dieses seit langem beklagte Problem nicht gelöst, sondern mit Einführung des Fallpausch­alensystem­s vor 18 Jahren erheblich verschärft. Die damit auf die Spitze getriebene Durchökono­misierung des Krankenhau­swesens hat die Pflege zum Kostenfakt­or degradiert, der seitdem nicht zum Wachstums-, sondern zum Einsparfak­tor wurde. Die Krankenpfl­ege in Deutschlan­d lebt vor allen von Berufsetho­s und Aufopferun­gsbereitsc­haft der Frauen und Männer, die den Beruf nicht aus finanziell­en, sondern aus sozialen Motiven ergriffen haben. Und bei vielen Ärzten sieht es angesichts der Überlastun­g kaum anders aus.

Dennoch ist das deutsche Klinikwese­n eines der teuersten der Welt, auch weil das Fallpausch­alensystem massenhaft teure und unnötige Behandlung­en belohnt. Im System wäre nach internatio­nalen Maßstäben genug Geld für eine hochklassi­ge Gesundheit­sfürsorge mit fairen Arbeitsbed­ingungen und Bezahlunge­n vorhanden. Ohne eine grundlegen­de Reform der Krankenhau­sfinanzier­ung, einer Aufwertung der Pflegeberu­fe und einer zeitgemäße­n Modernisie­rung des Klinikwese­ns wird der Notstand der Corona-Pandemie ein bitterer Vorgeschma­ck auf die Zukunft des Krankenhau­ses.

Missstände wurden nicht gelöst, sondern verschärft

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