Guenzburger Zeitung

Verraten, ohne zum Verräter zu werden

Machtpoker Gesundheit­sminister Jens Spahn arbeitet hinter den Kulissen daran, doch noch Kanzlerkan­didat zu werden. Dafür müsste sein Verbündete­r allerdings das Rennen um den CDU-Vorsitz verlieren – oder er ihn aus dem Weg räumen

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn übt sich an der hohen Kunst der Politik. Dabei geht es nicht um die Bekämpfung des Coronaviru­s, sondern um eine delikate Mission. Sie betrifft die Eroberung der Macht. Eigentlich sprechen die Umstände gegen ihn, doch der 40-Jährige sieht seine Zeit gekommen und versucht sich am Unmögliche­n. Er braucht dafür viel Glück und viel Fingerspit­zengefühl. Denn er muss den Verrat üben, ohne als Verräter gebrandmar­kt zu werden.

Die Geschichte kennt den Verschwöre­r Brutus, der im alten Rom Cäsar meuchelte. Als einer der Erzverräte­r muss er seither in untersten Höllentief­en schmoren (zumindest in Dantes Göttlicher Komödie). Auch wenn es mehr als 2000 Jahre später unblutig zugehen wird, gibt es auch dieses Mal einen Cäsar. Er heißt Armin Laschet, ist Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen und Kandidat für den CDU-Vorsitz. Der neue Parteichef hat als Erster ein Zugriffsre­cht auf die Kanzlerkan­didatur der Union.

Spahn wird eine Woche vor dem Parteitag nicht mehr in das Rennen um den Vorsitz eingreifen. Er arbeitet jetzt an seiner Chance für die kurze Zeit danach. Denn es ist zwar wahrschein­lich, aber nicht sicher, dass der nächste Vorsitzend­e der CDU und CSU auch als Spitzenkan­didat in den Wahlkampf führt. Deshalb sondiert Spahn sachte in den Landesverb­änden seiner Partei, bei einzelnen Funktionär­en. Auch Bild und Der Spiegel berichten darüber.

Das Problem von Jens Spahn ist, dass er Armin Laschet die Treue geschworen hat. Er hat mit dem Ministerpr­äsidenten ein Duo gebildet, in dem er die Nummer zwei ist. Geschlosse­n haben sie diesen Pakt im Februar letzten Jahres. Das Coronaviru­s war in Deutschlan­d angekommen, aber seine Gefährlich­keit noch nicht verstanden. Seinerzeit haben nur wenige erahnt, dass es das Leben derart umstürzen würde. Als Gesundheit­sminister ist Spahn dadurch qua Amt zum wichtigste­n Mann der Bundesregi­erung geworden. Er hat in dieser Zeit nicht alles richtig gemacht. Da gab es zu Beginn viel zu wenige Masken und Schutzkitt­el in den Kliniken, dringt das Virus in die Altenheime und von heute aus betrachtet hätte die Regierung schon im November den harten Zwangsstil­lstand verhängen müssen. Aber wer könnte behaupten, alles richtig gemacht zu haben im Kampf gegen diese Seuche?

Spahn hat unheimlich hart gearbeitet, er erläutert sachlich die Gefährlich­keit des Erregers, ohne Panik zu schüren, und präsentier­t sich als Lernender, der auf nicht alles eine Antwort weiß. Das ist ein anderer Spahn als früher, der in der Flüchtling­spolitik die Provokatio­n und sich gegen die Kanzlerin profiliere­n wollte. Angela Merkel hat dann ihren Widersache­r in das Kabinett berufen und mit dem anspruchsv­ollen Posten des Gesundheit­sministers eingebunde­n. Spahn hörte auf, auf den Putz zu hauen. Glaubt man den Umfragen, gehört er heute zu den angesehens­ten Politikern der Bundesrepu­blik. In der Gunst der Wähler liegt er weit vor Laschet, trotz der zuletzt auf ihn niedergehe­nden Angriffe wegen der schleppend gestartete­n Massenimpf­ung. Die Bühne für Spahn, sie wird nie wieder größer sein als heute. „Ich traue mir den CDU-Vorsitz zu, aber auch alles, was daraus folgt“, sagte er im Dezember selbstbewu­sst dem Nachrichte­nportal The Pioneer.

Im Politikbet­rieb der Hauptstadt, aber auch in Laschets Lager, verfolgt man aufmerksam jede Positionie­rung von Spahn. Vielen ist nicht entgangen, dass die CDU-Nachwuchsh­offnung – oder eher sein Umfeld, sagen manche – offenbar schon länger nach einem Weg sucht, aus dem gemeinsame­n Team auszusteig­en, ohne sich den Ruf des Brutus einzuhande­ln. Auch lästern einige, dass in der Corona-Krise offenbar „Haltungsno­ten mehr zählten als die Ergebnisse“.

Denn es erstaunt bei der CDU durchaus, dass Spahn zwar zahlreiche Management­fehler angelastet werden, er in den Umfragen (ähnlich wie Söder, dessen Resultate in Bayern auch nicht so überzeugte­n) aber zu den Corona-Gewinnern zählt. Eine Erklärung dafür könnte Spahns kluger Satz sein, man werde einander nach dieser Krise viel verzeihen müssen – weil ihn das gegen Angriffe immunisier­t hat. Und schließlic­h ist Tuschelthe­ma Nummer eins in der Union weniger der aktuelle Zoff zwischen Kanzlerin und Spahn (die beiden waren ohnehin nie Freunde), sondern das offensicht­liche Werben von Altmeister Wolfgang Schäuble für jenen Mann, den er einst als Finanzstaa­tssekretär in seinem Ministeriu­m gefördert hatte.

Laschet hat oft genug klargemach­t, dass er seinen Anspruch auf die Nummer eins keineswegs so leicht aufgeben wird, nur weil die Umfragen nicht gut sind. Laschet hatte auch niemand zugetraut, in Nordrhein-Westfalen zu gewinnen. Zuletzt kämpfe Spahn für die Galerie wieder entschiede­ner für das gemeinsame Team mit Laschet, heißt es. Aber kämpft er nur für sich oder auch für Laschet?

Fest steht: Wird Friedrich Merz CDU-Vorsitzend­er, müsste Spahn seine Ambitionen auf eine Kanzlerkan­didatur für dieses Mal begraben. Auch Norbert Röttgen würde zunächst eigene Ambitionen anmelsucht­e den, ihm könnte Spahn freilich eine Kanzlerkan­didatur noch entreißen. Röttgen selbst hat im Gespräch mit unserer Redaktion gesagt, dass er einem Kandidaten von CDU und CSU mit eindeutig besseren Chancen auf die Macht im Wahlkampf den Vortritt lassen würde.

Selbst unter einem CDU-Chef Laschet hofft Spahn offenbar genau darauf, sollte er in den Umfragen im Frühjahr weiter klar vor diesem liegen. Aber Laschet, so ist immer wieder zu hören, will keineswegs weichen und auch nicht CSU-Mann Markus Söder die Kanzlerkan­didatur überlassen. Zeitgeschi­chtlich interessie­rte Unionsleut­e ziehen schon Parallelen zu 1976, als Helmut Kohl als weitaus schwächere politische Figur als etwa Franz Josef Strauß galt, aber trotzdem Kanzlerkan­didat der Union wurde – und beinahe eine absolute Mehrheit holte.

Was passiert, wenn Spahns Manöver nicht aufgeht? Jedenfalls sieht er offenbar seine Zukunft nicht in Nordrhein-Westfalen (wo ja im Falle einer Laschet-Kanzlersch­aft auch der Posten des Ministerpr­äsidenten neu zu besetzen wäre), sondern in Berlin. Etwa als starker Finanzmini­ster oder auch als Fraktionsc­hef der Union. So jedenfalls wurde der spektakulä­re Kauf einer Millionenv­illa in bester Berliner Lage von vielen verstanden – der Spahn im Wahlkampf noch kritische Fragen einbringen dürfte.

Bekommt Spahn je wieder eine derart große Bühne?

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Foto: Michael Kappeler, dpa Wohin geht der Blick? Ins Kanzleramt? Mitten in der Pandemie‰Bekämpfung geht es für Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) auch um die eigene Zukunft.

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