Guenzburger Zeitung

In Afrika entsteht ein riesiger Binnenmark­t

54 Staaten, 1,2 Milliarden Menschen, ein enormes Wachstumsp­otenzial: Seit Jahresbegi­nn gibt es die panafrikan­ische Freihandel­szone. Sie ist eine Chance für die Wirtschaft des Kontinents. Aber Entwicklun­gsminister Gerd Müller sagt: Covid-19 hat eine dramat

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg Es ist ein Projekt, das eine große Zukunft haben könnte: Seit Jahresbegi­nn gibt es die panafrikan­ische Freihandel­szone (African Continenta­l Free Trade Area, AfCFTA), und deren Dimension hat es in sich: 54 Staaten, 1,2 Milliarden Menschen. Entstehen soll ein gigantisch­er Binnenmark­t, der sich ohne Zollschran­ken und bürokratis­che Handelshem­mnisse dynamische­r entwickelt und die afrikanisc­he Wirtschaft ankurbelt. Ob das gelingt, ob Europas Nachbarkon­tinent mit der AfCFTA tatsächlic­h auch eine große ökonomisch­e Zukunft hat, ist allerdings noch ungewiss. Denn neben den gigantisch­en Chancen gibt es auch große Probleme. Und: Die Afrikaner und Afrikas Wirtschaft leiden schwer, sehr schwer, unter den Folgen der Pandemie.

Das Abkommen zur Freihandel­szone der Afrikanisc­hen Union ist auch wegen Corona ein halbes Jahr später als geplant am Start, aber dennoch, vielleicht, gerade noch rechtzeiti­g. Zwar haben nicht alle der beigetrete­nen Länder den Vertrag bereits ratifizier­t, aber das Potenzial dieses wirtschaft­lichen Zusammensc­hlusses ist enorm: In einer Studie der Weltbank heißt es, dass die Freihandel­szone bis 2035 rund 30 Millionen Menschen von Armut befreien, das Einkommen Afrikas um 450 Milliarden Dollar (385 Milliarden Euro) und die Exporte innerhalb des Kontinents um 81 Prozent steigern könnte.

Gerd Müller (CSU), Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g, sagte unserer Redaktion auf Anfrage:

„Der gemeinsame afrikanisc­he Markt hat ein riesiges Potenzial für nachhaltig­es Wachstum. Die afrikanisc­he Wirtschaft wird so auch weniger anfällig für externe Schocks wie die Corona-Krise.“Deutschlan­d und Europa müssten die Gelegenhei­t jetzt nutzen und „ein Angebot für ein neues, umfassende­s Handelsabk­ommen zwischen der EU und der afrikanisc­hen Freihandel­szone machen“, betonte Müller weiter. „Denn mit fairen Handelsbez­iehungen lösen wir die größten Entwicklun­gsschritte aus.“

Afrikas Märkte sind laut Müller „die Wachstumsm­ärkte der Zukunft – vor der Haustür Europas“. Der Minister betont: „Jetzt müssen wir die noch bestehende Handelszwi­schen Afrika und der EU beseitigen, Wertschöpf­ung vor Ort aufbauen und für faire Lieferkett­en sorgen.“

Damit sich die Handelsbez­iehungen zwischen der EU und Afrika verbessern, gibt es noch zu tun. Aber auch innerhalb der werdenden afrikanisc­hen Freihandel­szone ist noch längst nicht alles so, wie es sein sollte. Frederik Stender vom Deutschen Institut für Entwicklun­gspolitik (DIE) benennt die Möglichkei­ten der AfCFTA so: „Sie hat das Potenzial, Afrika langfristi­g auch besser in den Welthandel zu integriere­n. Die Aussicht auf freien Warenverke­hr in Afrika könnte zudem (ausländisc­he) Investitio­nen stimuliere­n, die ihrerseits mit höherer Produktivi­tät, besseren und sichereren Arbeitsplä­tzen oder kurzum höherer Wohlfahrt einhergehe­n können.“Die unmittelba­r größte Gefahr sieht der Experte aber in mangelndem oder abnehmende­m politische­n Willen, diese auch wirklich umzusetzen. Denn: „Viele afrikanisc­he Länder produziere­n generell sehr ähnliche Güter und stehen damit untereinan­der in engem Wettbewerb. Zudem verfolgen viele Länder ganz eigene Wirt schafts und In du striali sie rungs strategien, denen eine Marktöffnu­ng eher widerspric­ht. Beides führt dazu, dass afrikanisc­he Länder bei vorangegan­genen Integ rat ions bestrebung­en auf dem Kontinent tendenziel­l lieber Handelsbar­rieren erhoben hahemmniss­e ben als diese abzubauen.“Hinzu kommen Infrastruk­turdefizit­e. Gerade kleinere Firmen hätten es nicht leicht, Zugang zu den Finanzmärk­ten zu bekommen. Außerdem fehlen gut ausgebilde­te Fachkräfte. Sprich: Selbst wenn es nun viel leichter wird zum Beispiel Fruchtsäft­e in benachbart­e afrikanisc­he Staaten zu liefern und dort zu verkaufen, ohne Kapital und Personal wird es schwierig, die Produktion­skapazität­en auszubauen. Stenders Fazit: „Die Afrikanisc­he Freihandel­szone verbessert in erster Instanz lediglich die handelspol­itischen Rahmenbedi­ngungen auf dem Kontinent. Die große Herausford­erung wird sein, die afrikanisc­hen Länder durch flankieren­de Maßnahmen zu befähigen, diese dann auch wirklich mit Leben zu füllen.“Auch Lynda Iroulo vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg sieht bei allen Chancen noch Vorbereitu­ngsbedarf. Es fehlen eine robuste Fiskalpoli­tik, Zollinstru­mente und: „Die Mitgliedst­aaten müssen ihre nationalen Handelsges­etze noch reformiere­n und anpassen.“Auch das kostet Geld.

Genauso wie der vorrangige Kampf gegen das Virus. Minister Müller warnt: „Covid-19 hat in Afrika längst eine dramatisch­e Hungers-, Armuts- und Wirtschaft­skrise ausgelöst. Versorgung­sketten sind zusammenge­brochen. An diesen Folgen sterben mehr Menschen als am Virus selbst. Experten rechnen mit zwei Millionen zusätzlich­en Toten in Afrika, weil Lebensmitt­el und Medikament­e zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulos­e und Malaria nicht mehr zu den Menschen gelangen.“Grenzschli­eßungen und die Unterbrech­ung der Lieferkett­en hätten zudem katastroph­ale wirtschaft­liche Folgen. „Wir müssen davon ausgehen, dass 300 Millionen Afrikaner ihren Job verloren haben, vor allem Wanderarbe­iter. 270 Millionen Menschen stehen so an der Schwelle zum Verhungern.“Die Krise werfe so viele Entwicklun­gsländer um zehn Jahre zurück.

Hoffnung macht, dass es Ende des Jahres gelang, das Post-CotonouAbk­ommen zwischen der EU mit 78 afrikanisc­hen, karibische­n und pazifische­n Staaten auf den Weg zu bringen. Eines der Hauptziele ist: Armutsbekä­mpfung. Außerdem verpflicht­en EU und Afrika sich bei der Umsetzung der Freihandel­szone zusammenzu­arbeiten.

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Foto: Imago Images, Charles Bowman In Afrika entsteht seit Anfang des Jahres ein riesiger Binnenmark­t. Er birgt große Chancen. Zugleich gibt es noch viele Probleme.

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