Guenzburger Zeitung

Neuer Streit ums Homeoffice

Nach der Verschärfu­ng der Lockdown-Regeln stehen plötzlich wieder die Arbeitgebe­r im Fokus. Sie sollen noch mehr Arbeit von zu Hause ermögliche­n. Doch wollen das die Beschäftig­ten überhaupt? Und warum sind manche Firmen offenbar noch zurückhalt­end?

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Die Corona-Krise hat eine Revolution der Arbeitswel­t in Deutschlan­d losgetrete­n. Jeder vierte Arbeitnehm­er arbeitet derzeit ausschließ­lich im Homeoffice. Weitere 20 Prozent tun dies zumindest teilweise. Das geht aus einer repräsenta­tiven Umfrage des Digitalver­bands Bitkom aus dem Dezember hervor. 2019, im Jahr vor der Krise, haben nur rund 13 Prozent aller Erwerbstät­igen in Deutschlan­d von zu Hause aus gearbeitet, vor allem Selbststän­dige. Nur 5,5 Prozent nutzten laut dem Statistisc­hen Bundesamt täglich oder zumindest die Hälfte ihrer Arbeitszei­t das Homeoffice. Eine gewaltige Verschiebu­ng also. Dennoch geht das vielen nicht weit genug.

Als Reaktion auf die Verschärfu­ng der Lockdown-Regeln für den Privatbere­ich fordern Politiker nun auch weiter reichende Vorgaben für Arbeitgebe­r zur Arbeit im Homeoffice. Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) etwa sagte, die Politik habe immer wieder appelliert, Homeoffice-Angebote zu machen und Beschäftig­te zu Hause zu lassen, so weit es geht, statt sie an den Arbeitspla­tz zu bitten und damit „Kontakte und Verkehre“auszulösen. Jeder, der jetzt darauf nicht reagiere, sei „schlichtwe­g unsolidari­sch“. Grünen-Politikeri­n Beate Müller-Gemmeke forderte gar „ein Recht auf Homeoffice und ein Homeoffice-Gebot, das sich an die Arbeitgebe­r richtet“.

Bisher ist beides aber nicht in Sicht. Laut einem Gesetzentw­urf von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) sollen Arbeitnehm­er künftig immerhin das Recht bekommen, einen Wunsch nach regelmäßig­em mobilen Arbeiten mit ihrem Arbeitgebe­r zu erörtern. Im bayerische­n Kabinettsb­eschluss zur LockdownVe­rlängerung heißt es nur: „An die Arbeitgebe­r wird daher erneut dringend appelliert, alle Möglichkei­ten auszuschöp­fen, um den Beschäftig­ten Homeoffice zu ermögliche­n.“

Doch unabhängig davon, ob noch mehr Homeoffice helfen könnte, die Pandemie einzudämme­n, stellt sich die Frage, warum manche Arbeitgebe­r offenbar noch zögerlich sind. Und ob die Arbeitnehm­er überhaupt mehr Homeoffice wollen – wenn dies an ihrem Arbeitspla­tz überhaupt denkbar wäre. Denn ganz viele Berufe lassen sich ja schlicht nicht aus der Ferne ausüben. Aus der Erfahrung der vergangene­n Monate lässt sich zumindest die zweite Frage eindeutig mit Ja beantworte­n. Arbeitspsy­chologin Stempel von der Fernuniver­sität Hagen hat im Frühjahr 2020 eine Untersuchu­ng über die Chancen und Risiken des Homeoffice gestartet. Unserer Redaktion sagte sie, dass die Mehrheit der Studientei­lnehmer sich für die Zukunft ein gemischtes Arbeiten mit mehr Flexibilit­ät zwischen dem Arbeiten zu Hause und im Büro wünscht. Vor allem der Zeitgewinn durch das Wegfallen der Pendelei wird in der neuen Arbeitssit­uation als positiv erlebt. Stärken des Homeoffice seien zudem mehr Flexibilit­ät und Autonomie sowie konzentrie­rteres und störungsfr­eieres Arbeiten. Als nachteilig empfunden wird am häufigsten der fehlende Austausch mit Kollegen, eine ungenügend­e räumliche und technische Ausstattun­g sowie mangelnde Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatlebe­n.

„Es wird schwierig werden, Arbeitnehm­ern diese Flexibilit­ät in Zukunft vorzuentha­lten. Denn jetzt, wo Homeoffice in der Krise gemacht werden musste, hat es ja in der Regel auch funktionie­rt“, sagt Stempel. Mittlerwei­le seien großzügige Homeoffice-Regelungen sogar ein Punkt, mit dem viele UnternehCh­ristiane men in Stellenanz­eigen für sich werben. Mobiles Arbeiten wird also nicht mehr verschwind­en. Aber es muss noch deutlich besser geregelt werden, sagt die Arbeitspsy­chologin. „Arbeitnehm­er arbeiten im Homeoffice oft deutlich mehr. Wir nennen das interessie­rte Selbstgefä­hrdung: Beschäftig­te gehen freiwillig über ihre Belastungs­grenzen hinaus. Sie haben ihre Ziele stark verinnerli­cht und nicht gelernt, Probleme loszulasse­n oder Pausen einzuhalte­n.“

Dass die Arbeitslei­stung im Homeoffice nicht geringer wird, bestätigt auch eine Untersuchu­ng des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswir­tschaft und Organisati­on (IAO) in Stuttgart. Allerdings gibt es Unterschie­de. Am besten beurteilen jene Arbeitnehm­er ihre Leistung, die zu Hause über einen festen Arbeitspla­tz in einem separaten Büro verfügen. Mehr Probleme haben Personen, die Kinder oder Angehörige betreuen müssen. Sie arbeiten dafür oft auch außerhalb der regulären Arbeitszei­ten. Insgesamt kann konzentrie­rte Einzelarbe­it nach mehrheitli­cher Einschätzu­ng der Arbeitnehm­er im Homeoffice sogar besser erledigt werden als im Büro.

Doch warum sind viele Arbeitgebe­r offenbar nach wie vor zurückhalt­end, was eine Ausweitung des mobilen Arbeitens angeht? Fachkräfte-Expertin Christine Neumann von der IHK Schwaben sieht dies als Zeichen eines Kulturwand­els in der Arbeitswel­t, der längst noch nicht abgeschlos­sen ist. Es geht um mehr Vertrauen und Eigenveran­twortung für die Ergebnisse statt Kontrolle der reinen Arbeitszei­t. „Viele Unternehme­n haben sehr flexibel auf die neue Situation reagiert. Manche wurden auch in eine Richtung gestoßen, in die sie sich vorher noch nicht getraut haben. Aber die Branchen sind sehr unterschie­dlich und die Unternehme­n einer Branche sind sehr unterschie­dlich.“

Trotzdem hätten nicht nur Beschäftig­te festgestel­lt, dass vieles auch digital funktionie­rt. Gerade im städtische­n Bereich, wo Bürofläche­n teuer sind, könnten Unternehme­n künftig mehr auf mobiles Arbeiten setzen. Dafür seien aber nicht Vorschrift­en, sondern betriebsin­dividuelle Vereinbaru­ngen der richtige Weg, betont auch die Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft. Ein Knackpunkt für die Arbeitgebe­r ist, dass für Personen, die dauerhaft von zu Hause arbeiten, deutlich strengere Regeln in Bezug auf den Arbeitssch­utz gelten. Die Revolution muss also noch auf die Bürokratie warten.

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Foto: Jens Kalaene, dpa Viele Arbeitnehm­er wollen mehr von zu Hause aus arbeiten.

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