Guenzburger Zeitung

Wie der Impfstoff in die Campingbox­en kam

In handelsübl­ichen Kühlboxen ist das empfindlic­he Vakzin in Teilen des Freistaats zu Alten- und Pflegeheim­en gebracht worden. Ein Branchenex­perte ist entsetzt. Was das Gesundheit­sministeri­um sagt und welches Problem es noch gibt

- VON BENJAMIN STAHL, HENRY STERN UND STEPHANIE SARTOR

Würzburg/Augsburg „Kompakte Kühlbox für den Beifahrers­itz oder für den Fußraum“, heißt es im Internet. Sie „kühlt bis minus 18 Grad“, hat einen „volltherme­tischen Kompressor mit integriert­er Steuerelek­tronik“, eine „digitale Temperatur­anzeige“und „zwei integriert­e Getränkeha­lter“. So wird „CoolFreeze CF 11“des schwedisch­en Hersteller­s Dometic online beworben. Und, so heißt es da, sie mache „mobiles Kühlen und Gefrieren von Lebensmitt­eln und Getränken kinderleic­ht“. In Bayern aber kamen die Camping-Kühlboxen jetzt zu einem anderen Zweck zum Einsatz: zum Transport des empfindlic­hen Corona-Impfstoffs.

Zuerst hatte das Nachrichte­nmagazin Der Spiegel darüber berichtet. Eine Sprecherin von Dometic erklärte dem Magazin gegenüber: „Dieses Produkt ist nicht für den Transport von Arzneimitt­eln kreiert worden.“Inzwischen hat das bayerische Gesundheit­sministeri­um bestätigt, 305 elektrisch­e Kühlboxen beschafft zu haben, 93 seien zum Einsatz gekommen.

Etwa im Landkreis Augsburg. „Ja, die besagten Boxen hat der Freistaat auch uns zur Verfügung gestellt“, teilt Jens Reitlinger, Sprecher des Landratsam­tes, auf Nachfrage mit. Zum Impf-Start am 27. Dezember war es im Landkreis Augsburg zu Ungereimth­eiten in der Kühlkette gekommen. „Das Problem hatte unmittelba­r mit den Boxen zu tun, da sie die Temperatur offenbar nicht konstant halten“, so Reitlinger. Aus Sicherheit­sgründen musste daher der Impfstart verschoben werden, bis „kein Zweifel mehr an der Unversehrt­heit des Mittels bestand“. Momentan prüft das Landratsam­t Alternativ­en zu den bereitgest­ellten Boxen.

Das Gesundheit­sministeri­um wies unterdesse­n Kritik zurück, wonach die verwendete­n Boxen nicht für den Impfstoff geeignet seien. Pannen wie in Schwaben und vor allem in Oberfranke­n, wo es rund um den Impfstart nach Weihnachte­n in mehreren Landkreise­n Probleme mit der Kühlung gab und 1000 Dosen unbrauchba­r wurden, seien nicht durch die Boxen verursacht worden. Schuld seien „Fehler“bei der Handhabung der beigelegte­n Temperatur­messgeräte gewesen, betont ein Ministeriu­mssprecher auf Nachfrage. Wegen der Campingbox­en selbst sei keine einzige Impfdose vernichtet worden. Die Boxen seien zudem nur für den kurzen Transport des Impfstoffs zwischen Impfzentre­n und Alten- und Pflegeheim­en gedacht. Vorschrift­en zu den Transportb­ehältnisse­n gebe es nicht. Die Boxen hätten „nach vorliegend­en Erkenntnis­sen einwandfre­i funktionie­rt“.

Beim Würzburger Isolier- und Logistiksp­ezialisten Va-Q-Tec reagiert man darauf mit Unverständ­nis. „Wer Vakzine mit diesen Boxen transporti­eren lässt, der zeigt für mich eine erschrecke­nde Ahnungslos­igkeit“, sagt Unternehme­nschef Joachim Kuhn. Schließlic­h müsse der Impfstoff kurz vor der Verwendung nach Angaben des Hersteller­s Biontech stabil in einem Temperatur­bereich zwischen zwei und acht Grad gehalten werden. Bei winterlich­en Außentempe­raturen müsse eine Transportb­ox deshalb auch wärmen können, erklärt Kuhn: „Doch eine Campingbox kann das nicht.“Die Bayerische Staatsregi­e

rung mache sich mit dem Einsatz dieser Freizeitbo­xen daher weltweit zur Lachnummer: „Ich habe gerade mit Kollegen in Singapur telefonier­t, die lachen sich tot über Bayern“, berichtet Kuhn. „Kein Mensch auf der Welt transporti­ert diesen Impfstoff in einer Campingbox.“

Va-Q-Tec selbst beliefert mit seinen Impfstoff-Transportb­oxen derzeit viele Länder weltweit. Die USArmee etwa gibt laut Kuhn den nun auch in Europa zugelassen­en Moderna-Impfstoff an seine Soldaten in Transportb­oxen aus Würzburg aus. Auch viele Bundesländ­er in Deutschlan­d hätten bei Va-Q-Tec

bestellt, erklärt der Firmenchef: „Wir machen derzeit ziemlich viel, aber nicht in Bayern.“Warum ausgerechn­et das eigene Bundesland nicht auf Hightech-Kühlung aus Unterfrank­en setzen wollte, „das weiß ich nicht“, sagt Kuhn. Dabei habe man das bayerische Gesundheit­sministeri­um im Herbst zum Transport der Corona-Impfstoffe noch umfangreic­h beraten, dann aber sei der Kontakt abgebroche­n. „Wir haben dann vor Weihnachte­n noch mal nachgefrag­t, ob sie wirklich nichts brauchen“, berichtet Kuhn. Eine Antwort habe VaQ-Tec nicht bekommen. Dabei hätte man trotz hoher Nachfrage auch kurzfristi­g liefern können: „Für unser Heimat-Bundesland hätten wir natürlich noch geeignete Boxen gefunden.“Diese wären zudem deutlich billiger gewesen als die vom Ministeriu­m beschaffte­n gut 400 Euro teuren Campingbox­en, erklärt Kuhn.

Der Va-Q-Tec-Chef legt großen Wert darauf, dass es ihm bei seiner Kühlbox-Kritik an der Bayerische­n Staatsregi­erung nicht um persönlich­en Ärger über ein verpasstes Geschäft geht: Auch die schwedisch­e Firma Dometic habe eine für Vakzine geeignete Transportb­ox im Programm. „Doch die hat das Gesundheit­sministeri­um leider auch nicht bestellt“, kritisiert Kuhn.

Zusätzlich zur Kühlbox-Problemati­k muss sich das bayerische Gesundheit­sministeri­um mit einem weiteren Problem rund um die Impfungen befassen: Am Freitag wurde bekannt, dass es bei der Dokumentat­ion der Impfungen gegen das Coronaviru­s Schwierigk­eiten gibt.

Konkret bedeutet das: Für mindestens 1000 verabreich­te Impfdosen gab es in der speziell für die Pandemie entwickelt­en Software zuletzt keinen Nachweis. Dies geht aus einer internen Behörden-E-Mail hervor. Wie es in dem Schreiben der Regierung von Unterfrank­en heißt, hat das Gesundheit­sministeri­um in München in einer Videokonfe­renz die Regierungs­präsidente­n auf die mangelhaft­e Dokumentat­ion hingewiese­n. So sei für eine bayernweit vierstelli­ge Zahl von zugewiesen­en Impfdosen die Verimpfung bislang nicht nachgewies­en, heißt es in der Mail, mit der die Regierungs­behörde am späten Donnerstag­nachmittag die Städte und Landkreise informiert­e.

Vom Ministeriu­m gab es am Freitag keine konkreten Angaben dazu, um wie viele Impfdosen es genau geht. Ein Ministeriu­mssprecher wies darauf hin, dass in allen Fällen die Impfungen erfasst wurden. Die Impfungen seien aber „bei wenigen Impfzentre­n“nicht unmittelba­r in das zentrale Programm „BayIMCO“(Bayerische­s Impfmanage­ment gegen Corona) eingegeben worden. Deswegen sei hier nun noch eine Nacherfass­ung erforderli­ch gewesen, erläuterte der Sprecher.

In der E-Mail wurden die Kommunen darauf hingewiese­n, dass für die Dokumentat­ion auf jeden Fall „BayIMCO“verwendet werden müsse. Mit dem Programm müsse der Freistaat auch die Einhaltung der Vorgaben gegenüber dem Bund belegen. „Sollte die Dokumentat­ion nicht im vorgeschri­ebenen Umfang erfolgen, stehen auch Kürzungen der zugewiesen­en Impfdosen im Raum“, heißt es in der Mail. Der Ministeriu­mssprecher sagte hingegen, dass die Verteilung der Impfstoffe vom Bund an die Länder „unabhängig von der Verwendung der Impfstoffe“erfolge. (mit dpa)

 ?? Foto: Moritz Frankenber­g, dpa ?? Über den Transport des Corona‰Impfstoffs ist eine hitzige Debatte entbrannt. Es geht um die Frage, welche Boxen dafür tauglich sind – und welche eher zum Kühlen von Getränken verwendet werden sollten.
Foto: Moritz Frankenber­g, dpa Über den Transport des Corona‰Impfstoffs ist eine hitzige Debatte entbrannt. Es geht um die Frage, welche Boxen dafür tauglich sind – und welche eher zum Kühlen von Getränken verwendet werden sollten.

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