Wie der Impfstoff in die Campingboxen kam
In handelsüblichen Kühlboxen ist das empfindliche Vakzin in Teilen des Freistaats zu Alten- und Pflegeheimen gebracht worden. Ein Branchenexperte ist entsetzt. Was das Gesundheitsministerium sagt und welches Problem es noch gibt
Würzburg/Augsburg „Kompakte Kühlbox für den Beifahrersitz oder für den Fußraum“, heißt es im Internet. Sie „kühlt bis minus 18 Grad“, hat einen „vollthermetischen Kompressor mit integrierter Steuerelektronik“, eine „digitale Temperaturanzeige“und „zwei integrierte Getränkehalter“. So wird „CoolFreeze CF 11“des schwedischen Herstellers Dometic online beworben. Und, so heißt es da, sie mache „mobiles Kühlen und Gefrieren von Lebensmitteln und Getränken kinderleicht“. In Bayern aber kamen die Camping-Kühlboxen jetzt zu einem anderen Zweck zum Einsatz: zum Transport des empfindlichen Corona-Impfstoffs.
Zuerst hatte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel darüber berichtet. Eine Sprecherin von Dometic erklärte dem Magazin gegenüber: „Dieses Produkt ist nicht für den Transport von Arzneimitteln kreiert worden.“Inzwischen hat das bayerische Gesundheitsministerium bestätigt, 305 elektrische Kühlboxen beschafft zu haben, 93 seien zum Einsatz gekommen.
Etwa im Landkreis Augsburg. „Ja, die besagten Boxen hat der Freistaat auch uns zur Verfügung gestellt“, teilt Jens Reitlinger, Sprecher des Landratsamtes, auf Nachfrage mit. Zum Impf-Start am 27. Dezember war es im Landkreis Augsburg zu Ungereimtheiten in der Kühlkette gekommen. „Das Problem hatte unmittelbar mit den Boxen zu tun, da sie die Temperatur offenbar nicht konstant halten“, so Reitlinger. Aus Sicherheitsgründen musste daher der Impfstart verschoben werden, bis „kein Zweifel mehr an der Unversehrtheit des Mittels bestand“. Momentan prüft das Landratsamt Alternativen zu den bereitgestellten Boxen.
Das Gesundheitsministerium wies unterdessen Kritik zurück, wonach die verwendeten Boxen nicht für den Impfstoff geeignet seien. Pannen wie in Schwaben und vor allem in Oberfranken, wo es rund um den Impfstart nach Weihnachten in mehreren Landkreisen Probleme mit der Kühlung gab und 1000 Dosen unbrauchbar wurden, seien nicht durch die Boxen verursacht worden. Schuld seien „Fehler“bei der Handhabung der beigelegten Temperaturmessgeräte gewesen, betont ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage. Wegen der Campingboxen selbst sei keine einzige Impfdose vernichtet worden. Die Boxen seien zudem nur für den kurzen Transport des Impfstoffs zwischen Impfzentren und Alten- und Pflegeheimen gedacht. Vorschriften zu den Transportbehältnissen gebe es nicht. Die Boxen hätten „nach vorliegenden Erkenntnissen einwandfrei funktioniert“.
Beim Würzburger Isolier- und Logistikspezialisten Va-Q-Tec reagiert man darauf mit Unverständnis. „Wer Vakzine mit diesen Boxen transportieren lässt, der zeigt für mich eine erschreckende Ahnungslosigkeit“, sagt Unternehmenschef Joachim Kuhn. Schließlich müsse der Impfstoff kurz vor der Verwendung nach Angaben des Herstellers Biontech stabil in einem Temperaturbereich zwischen zwei und acht Grad gehalten werden. Bei winterlichen Außentemperaturen müsse eine Transportbox deshalb auch wärmen können, erklärt Kuhn: „Doch eine Campingbox kann das nicht.“Die Bayerische Staatsregie
rung mache sich mit dem Einsatz dieser Freizeitboxen daher weltweit zur Lachnummer: „Ich habe gerade mit Kollegen in Singapur telefoniert, die lachen sich tot über Bayern“, berichtet Kuhn. „Kein Mensch auf der Welt transportiert diesen Impfstoff in einer Campingbox.“
Va-Q-Tec selbst beliefert mit seinen Impfstoff-Transportboxen derzeit viele Länder weltweit. Die USArmee etwa gibt laut Kuhn den nun auch in Europa zugelassenen Moderna-Impfstoff an seine Soldaten in Transportboxen aus Würzburg aus. Auch viele Bundesländer in Deutschland hätten bei Va-Q-Tec
bestellt, erklärt der Firmenchef: „Wir machen derzeit ziemlich viel, aber nicht in Bayern.“Warum ausgerechnet das eigene Bundesland nicht auf Hightech-Kühlung aus Unterfranken setzen wollte, „das weiß ich nicht“, sagt Kuhn. Dabei habe man das bayerische Gesundheitsministerium im Herbst zum Transport der Corona-Impfstoffe noch umfangreich beraten, dann aber sei der Kontakt abgebrochen. „Wir haben dann vor Weihnachten noch mal nachgefragt, ob sie wirklich nichts brauchen“, berichtet Kuhn. Eine Antwort habe VaQ-Tec nicht bekommen. Dabei hätte man trotz hoher Nachfrage auch kurzfristig liefern können: „Für unser Heimat-Bundesland hätten wir natürlich noch geeignete Boxen gefunden.“Diese wären zudem deutlich billiger gewesen als die vom Ministerium beschafften gut 400 Euro teuren Campingboxen, erklärt Kuhn.
Der Va-Q-Tec-Chef legt großen Wert darauf, dass es ihm bei seiner Kühlbox-Kritik an der Bayerischen Staatsregierung nicht um persönlichen Ärger über ein verpasstes Geschäft geht: Auch die schwedische Firma Dometic habe eine für Vakzine geeignete Transportbox im Programm. „Doch die hat das Gesundheitsministerium leider auch nicht bestellt“, kritisiert Kuhn.
Zusätzlich zur Kühlbox-Problematik muss sich das bayerische Gesundheitsministerium mit einem weiteren Problem rund um die Impfungen befassen: Am Freitag wurde bekannt, dass es bei der Dokumentation der Impfungen gegen das Coronavirus Schwierigkeiten gibt.
Konkret bedeutet das: Für mindestens 1000 verabreichte Impfdosen gab es in der speziell für die Pandemie entwickelten Software zuletzt keinen Nachweis. Dies geht aus einer internen Behörden-E-Mail hervor. Wie es in dem Schreiben der Regierung von Unterfranken heißt, hat das Gesundheitsministerium in München in einer Videokonferenz die Regierungspräsidenten auf die mangelhafte Dokumentation hingewiesen. So sei für eine bayernweit vierstellige Zahl von zugewiesenen Impfdosen die Verimpfung bislang nicht nachgewiesen, heißt es in der Mail, mit der die Regierungsbehörde am späten Donnerstagnachmittag die Städte und Landkreise informierte.
Vom Ministerium gab es am Freitag keine konkreten Angaben dazu, um wie viele Impfdosen es genau geht. Ein Ministeriumssprecher wies darauf hin, dass in allen Fällen die Impfungen erfasst wurden. Die Impfungen seien aber „bei wenigen Impfzentren“nicht unmittelbar in das zentrale Programm „BayIMCO“(Bayerisches Impfmanagement gegen Corona) eingegeben worden. Deswegen sei hier nun noch eine Nacherfassung erforderlich gewesen, erläuterte der Sprecher.
In der E-Mail wurden die Kommunen darauf hingewiesen, dass für die Dokumentation auf jeden Fall „BayIMCO“verwendet werden müsse. Mit dem Programm müsse der Freistaat auch die Einhaltung der Vorgaben gegenüber dem Bund belegen. „Sollte die Dokumentation nicht im vorgeschriebenen Umfang erfolgen, stehen auch Kürzungen der zugewiesenen Impfdosen im Raum“, heißt es in der Mail. Der Ministeriumssprecher sagte hingegen, dass die Verteilung der Impfstoffe vom Bund an die Länder „unabhängig von der Verwendung der Impfstoffe“erfolge. (mit dpa)