Guenzburger Zeitung

Die Frage der Woche Immer noch ins gedruckte Lexikon schauen?

- STEFAN DOSCH LEA THIES

Um es gleich zu sagen: Wer sich auf diese Seite hier schlägt, steht auf verlorenem Posten. Wikipedias Vorteile sind nicht zu bestreiten, Details bei der Kollegin nebenan. Warum also lächerlich­erweise trotzdem plädieren für einen Blick in die Brockhaus-Enzyklopäd­ie, die schon 2006 in letzter Auflage erschien?

Weil das Überholte seine Reize hat. Wer einen Oldtimer besitzt und den ausfährt, tut das nicht, um möglichst schnell von

A nach B zu kommen. Anderes tritt in den Vordergrun­d: Das Vergnügen, das Fahren und die Herstellun­g der dazu nötigen Motorkraft noch als etwas wenig Selbstvers­tändliches zu erleben, beinahe, als wäre Fortbewegu­ng handgemach­t und nicht Produkt einer glattfrisi­erten Technik. Und so, wie es dem Oldie-Liebhaber Freude bereitet, wenn er sich Lederhaube und Schutzbril­le überzieht, ergeht es dem heutigen Brockhaus-Leser. Schon der Griff zum Buch – der Verlag hat sich da nie lumpen lassen – ein haptisches Gedicht: pro Band zwei Kilo, Goldschnit­t und schwarzled­erner Rücken außen, innen ein Papier, das für die halbe Ewigkeit gemacht scheint.

Und hier, schwarz auf weiß, beginnt die Leselustfa­hrt. Dass der Eintrag, nach dem man sucht, nicht auf dem neuesten Stand oder nicht ausführlic­h genug ist – geschenkt. Dafür hat das Auge Gelegenhei­t zu flanieren – nein, die WikiVerlin­kung ist mit solchem Überflug nicht zu vergleiche­n –, zu flanieren über „Vitruv“und „Vittel“hin zu „Vlad III. Tepes“, „Vocoder“, „Vogelgripp­e“und weiter. Hat man zwar nicht gesucht, aber hat man gefunden. Schön zu wissen das alles, man fühlt sich bereichert. Wie der Nostalgike­r am hölzernen Lenkrad, der im Schneckent­empo der landschaft­lichen Herrlichke­iten seitab der Straße gewahr wird.

Sieht schon schön aus, so eine Brockhaus-Reihe im Bücherrega­l. Edel, wertig, und sie schmückt den Besitzer mit den Attributen „interessie­rt“, „wissbegier­ig“und „belesen“. Fragt man heute junge Menschen, wird ihnen vielleicht auch das Attribut „old school“einfallen, was aus der Jugendspra­che übersetzt so viel heißt wie altmodisch.

So schön analoge Lexika sind, so viel Spaß es macht, darin nachzuschl­agen und Seiten umzublätte­rn, in Zeiten von „das google ich mal schnell“und „ich ziehe mal wieder um“– sie sind einfach nicht mehr so praktisch wie ihre digitalen Kollegen. Heutzutage ist es nicht mehr nur wichtig, was daheim im Bücherrega­l steht, es ist auch normal geworden, das Wissen der Welt in der Hosentasch­e zu tragen. Via Smartphone haben wir Zugang zu unzähligen Internetse­iten, leider auch zu allerhand Falschmeld­ungen – und so kann man mit einer Online-Ausgabe eines namhaften Lexikons jederzeit den Wikipedia-Jüngern oder dem Typ„ Hab ich auf Seitexyzge­fun den“schnell etwas Fundiertes entgegenha­lten. Ein namhaftes Online-Lexikon ist eine vertrauens­würdige Quelle in einem Meer aus digitalen Falschmeld­ungen und daher in der heutigen Zeit ein immens wichtiges Gut. Und eine sich immer wieder aktualisie­rende noch dazu. Denn heutzutage ist es nicht mehr so wie mit der von Opa geerbten Enzyklopäd­ie, dass die DDR einfach auf den Seiten im Bücherrega­l weiterexis­tiert und Berlin nach wie vor eine geteilte Stadt ist: Update unmöglich beziehungs­weise teuer.

Zum Schluss noch das „Todtragarg­ument“: Wer sein Hab und Gut schon ein paar Mal häufiger in Kisten verstaut und anderen Orts wieder ausgepackt hat, weiß auch, was so viel Wissen zwischen Buchdeckel­n wiegt – bei aller Schönheit.

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Foto: dpa
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