Die Frage der Woche Immer noch ins gedruckte Lexikon schauen?
Um es gleich zu sagen: Wer sich auf diese Seite hier schlägt, steht auf verlorenem Posten. Wikipedias Vorteile sind nicht zu bestreiten, Details bei der Kollegin nebenan. Warum also lächerlicherweise trotzdem plädieren für einen Blick in die Brockhaus-Enzyklopädie, die schon 2006 in letzter Auflage erschien?
Weil das Überholte seine Reize hat. Wer einen Oldtimer besitzt und den ausfährt, tut das nicht, um möglichst schnell von
A nach B zu kommen. Anderes tritt in den Vordergrund: Das Vergnügen, das Fahren und die Herstellung der dazu nötigen Motorkraft noch als etwas wenig Selbstverständliches zu erleben, beinahe, als wäre Fortbewegung handgemacht und nicht Produkt einer glattfrisierten Technik. Und so, wie es dem Oldie-Liebhaber Freude bereitet, wenn er sich Lederhaube und Schutzbrille überzieht, ergeht es dem heutigen Brockhaus-Leser. Schon der Griff zum Buch – der Verlag hat sich da nie lumpen lassen – ein haptisches Gedicht: pro Band zwei Kilo, Goldschnitt und schwarzlederner Rücken außen, innen ein Papier, das für die halbe Ewigkeit gemacht scheint.
Und hier, schwarz auf weiß, beginnt die Leselustfahrt. Dass der Eintrag, nach dem man sucht, nicht auf dem neuesten Stand oder nicht ausführlich genug ist – geschenkt. Dafür hat das Auge Gelegenheit zu flanieren – nein, die WikiVerlinkung ist mit solchem Überflug nicht zu vergleichen –, zu flanieren über „Vitruv“und „Vittel“hin zu „Vlad III. Tepes“, „Vocoder“, „Vogelgrippe“und weiter. Hat man zwar nicht gesucht, aber hat man gefunden. Schön zu wissen das alles, man fühlt sich bereichert. Wie der Nostalgiker am hölzernen Lenkrad, der im Schneckentempo der landschaftlichen Herrlichkeiten seitab der Straße gewahr wird.
Sieht schon schön aus, so eine Brockhaus-Reihe im Bücherregal. Edel, wertig, und sie schmückt den Besitzer mit den Attributen „interessiert“, „wissbegierig“und „belesen“. Fragt man heute junge Menschen, wird ihnen vielleicht auch das Attribut „old school“einfallen, was aus der Jugendsprache übersetzt so viel heißt wie altmodisch.
So schön analoge Lexika sind, so viel Spaß es macht, darin nachzuschlagen und Seiten umzublättern, in Zeiten von „das google ich mal schnell“und „ich ziehe mal wieder um“– sie sind einfach nicht mehr so praktisch wie ihre digitalen Kollegen. Heutzutage ist es nicht mehr nur wichtig, was daheim im Bücherregal steht, es ist auch normal geworden, das Wissen der Welt in der Hosentasche zu tragen. Via Smartphone haben wir Zugang zu unzähligen Internetseiten, leider auch zu allerhand Falschmeldungen – und so kann man mit einer Online-Ausgabe eines namhaften Lexikons jederzeit den Wikipedia-Jüngern oder dem Typ„ Hab ich auf Seitexyzgefun den“schnell etwas Fundiertes entgegenhalten. Ein namhaftes Online-Lexikon ist eine vertrauenswürdige Quelle in einem Meer aus digitalen Falschmeldungen und daher in der heutigen Zeit ein immens wichtiges Gut. Und eine sich immer wieder aktualisierende noch dazu. Denn heutzutage ist es nicht mehr so wie mit der von Opa geerbten Enzyklopädie, dass die DDR einfach auf den Seiten im Bücherregal weiterexistiert und Berlin nach wie vor eine geteilte Stadt ist: Update unmöglich beziehungsweise teuer.
Zum Schluss noch das „Todtragargument“: Wer sein Hab und Gut schon ein paar Mal häufiger in Kisten verstaut und anderen Orts wieder ausgepackt hat, weiß auch, was so viel Wissen zwischen Buchdeckeln wiegt – bei aller Schönheit.