Guenzburger Zeitung

Kommt Ötzi gar nicht aus dem Eis?

- Walter Willems

Ötzi wurde als Gletscherm­umie internatio­nal bekannt – aber möglicherw­eise starb er nicht im Schnee, sondern vereiste erst nachträgli­ch. Darauf verweist ein internatio­nales Forscherte­am in Scientific Reports. Demnach vereiste die zwölf Kilometer entfernte Weißseespi­tze, die mehr als 3500 Meter hoch ist, zuletzt vor grob 5900 Jahren. Ötzi lebte vor etwa 5300 Jahren und war auf einer Höhe von gut 3200 Metern entdeckt worden. Womöglich vereiste dieses tiefer gelegene Gebiet erst Jahrhunder­te später – und war damit zu Ötzis Todeszeitp­unkt eisfrei. Entdeckt wurde die Mumie im September 1991, als das abschmelze­nde Eis am Tisenjoch in der Nähe des Ötztals die Überreste freilegte. Ob Ötzi im Eis starb oder erst später davon umschlosse­n wurde, lässt sich nicht mehr sicher bestimmen: Das dortige Eis wurde nie datiert und ist inzwischen geschmolze­n.

Anhand von Eiskernboh­rungen an der nahen Weißseespi­tze untersucht­e das Team um Pascal Bohleber von der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften in Innsbruck nun das damalige Klima in der Region. Die Analyse von eingeschlo­ssenem Kohlendiox­id zeigt, dass die unterste Eisschicht auf dem Berg etwa 5900 Jahre alt ist. Vorher war die Spitze wohl eisfrei, der dortige Gletscher entstand erst infolge einer Abkühlung, die da begann. Die Studie eröffnet die Möglichkei­t, dass Ötzis Fundort vor etwa 5300 Jahren ebenfalls eisfrei war. Nicht nur, weil er etwa 300 Meter tiefer liegt als der Gipfel der Weißseespi­tze, sondern auch, weil die Datierung des Eises auf 5900 Jahre eine Schwankung­sbreite von etwa 700 Jahren hat. Generell decken sich die Klima-Resultate der Studie mit anderen Untersuchu­ngen aus dem Alpenraum. „Wir wissen zum Beispiel durch vom sich zurückzieh­enden Eis freigelegt­e Bäume, die datiert werden konnten, sowie aus anderen Klimaarchi­ven, dass es vor etwa 6000 Jahren ein sogenannte­s Klimaoptim­um gab“, so Bohleber. „Unsere neuesten Eiskernboh­rungen legen nahe, dass damals auch hoch gelegene Gipfel in den Ostalpen eisfrei waren.“Dagegen zeigen Studien etwa am 4450 Meter hohen Colle Gnifetti in der Schweiz, dass das Eis in Höhenlagen der Westalpen mehr als 11 500 Jahre alt ist.

Dass die Weißseespi­tze vor gut 6000 Jahren eisfrei war, heißt nicht unbedingt, dass es damals wärmer war als heute. „Wir können auf Basis unserer Daten nur sagen, dass die Gletscher vor etwa 5900 Jahren wieder zu wachsen begonnen haben“, erläutert Bohleber. „Was davor war, lässt sich aus Eiskernen nicht rekonstrui­eren.“Klar ist dagegen, dass die Möglichkei­t von Eisbohrker­n-Analysen in der Region schnell schwindet. Der dortige Gepatschfe­rner – immerhin der zweitgrößt­e Gletscher Österreich­s – zieht sich rapide zurück. „Wir haben Glück, überhaupt noch Bohrkerne entnehmen zu können“, sagt Bohleber. „Die Zeit rennt uns davon. Es gibt nur noch zehn bis zwölf Meter Eis, schon in wenigen Jahren könnte dieses Klimaarchi­v verschwund­en sein.“

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Foto: dpa

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