Guenzburger Zeitung

Sonderweg am Ende?

Ein Pandemiege­setz macht nun auch Teil-Lockdown möglich. Noch zögert die Politik

- VON ANDRÉ ANWAR

Stockholm Es ist früher Samstagabe­nd im verschneit­en, eisigkalte­n Stockholm. In aufgeheizt­en Kneipen tummeln sich die Gäste vergnügt, so, als ob es keine CoronaPand­emie mit heftiger zweiter Welle gebe. Noch hält Schweden am lockeren Sonderweg ohne Lockdown und Maskenpfli­cht, mit geöffneten Geschäften und Gastronomi­ebetrieben, offenen Kindergärt­en und Schulen bis zur 10. Klasse fest. Man setzt auf Freiwillig­keit. Das Gesundheit­ssystem ist nicht kollabiert, seit 27. Dezember werden Pflegebedü­rftige, Alte und Klinikpers­onal geimpft. Noch ist Schweden das freieste Land Europas. Noch.

Der Sonderweg ist ein besonderer: Nicht die Politiker in der Regierungs­kanzlei Rosenbad, sondern die Experten im von Staatsepid­emiologe Anders Tegnell geleiteten Gesundheit­samt geben in der Pandemie den Takt vor. Der Sonderweg ist populär bei den Menschen. Die Rate von Neuerkrank­ten liegt ungefähr in Europas Mittelfeld. Die durchschni­ttliche Covid-Todesrate lag zuletzt knapp unter der deutschen. Schweden hat bisher rund 9000 Opfer zu beklagen, Deutschlan­d rund 37 000. Das bedeutet aber auch: Die Zahl der Todesfälle pro eine Million Einwohner liegt in dem skandinavi­schen Land nahezu doppelt so hoch. So wächst die Unruhe, was sich an der steigenden Zahl von freiwillig­en Maskenträg­ern in Stockholm ablesen lässt.

Und es gibt auch ein neues politische­s Signal: Seit Sonntag gilt ein befristete­s Pandemie-Gesetz, welches der rot-grünen Regierung erstmals weitreiche­nde Möglichkei­ten für einen Lockdown gibt. Bereits im Frühjahr hatte Schweden ein solches Gesetz. Aber es lief im Sommer aus, ohne dass es einmal angewendet wurde. Nun also sind staatliche Einschränk­ungen bei Besucher- oder Kundenzahl­en, Öffnungsze­iten von Geschäften, Restaurant­s und Kneipen, aber auch Fitnessstu­dios möglich. Lediglich Ausgangsve­rbote oder ein kompletter Lockdown bleiben ausgeschlo­ssen, weil das gegen das Grundgeset­z verstoßen würde.

Die Regierung betonte zwar bei der Verabschie­dung des Pandemiege­setztes, dass man es so wenig wie möglich anwenden wolle. Das zeigt, dass der politische Wille zur Festlegung von Einschränk­ungen (noch) fehlt. Beobachter fragen sich daher, ob das Pandemiege­setz mehr der Abschrecku­ng dienen soll, damit Empfehlung­en besser gefolgt wird.

Solche haben in Schweden tatsächlic­h dazu geführt, dass die meisten Betriebe, die keine physische Anwesenhei­t benötigen und Schulen auf Homeoffice und Fernunterr­icht umgestiege­n sind. Indirekte Wirkung hatte das Ausschankg­esetz erzielt: Weil Bars und Restaurant­s nur noch bis 20 Uhr Alkohol verkaufen dürfen, schließen viele Betriebe nun früher. Doch die Bitte des Gesundheit­samtes an den Handel, Kunden nicht mit üblichen Sonderange­boten nach Weihnachte­n anzulocken, verhallte diesmal weitgehend ungehört. Die Kunden strömten in die Läden.

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