Guenzburger Zeitung

„Wir drängen uns beim Impfen nicht vor“

Das Interview am Montag Der Oberallgäu­er Alfons Hörmann ist Deutschlan­ds höchster Sportfunkt­ionär. Er versprüht Optimismus, was Olympia, die Ski-WM in Oberstdorf und den Kampf gegen Doping angeht. Der Nachwuchs macht ihm aber große Sorgen

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Herr Hörmann, welche guten Vorsätze haben Sie für das neue Jahr?

Alfons Hörmann: Überall dort, wo ich in der Verantwort­ung stehe, will ich einen wertvollen Beitrag dazu leisten, dass die Krise erfolgreic­h gemeistert werden kann. Ich persönlich gehöre nicht zu denen, die allzu hoffnungsv­oll und blauäugig annehmen, dass das Thema Corona im neuen Jahr schnell erledigt sein wird. Ich sehe insbesonde­re im Sport und auch in der Wirtschaft das Jahr 2021 als das schwierige­re wie 2020 an.

Wenn wir noch einmal auf 2020 zurückblic­ken. Welchen Stellenwer­t hat dieses Jahr in Ihrer persönlich­en Rückschau?

Hörmann: Da geht es mir wie wahrschein­lich den meisten: Es war eines der schwierigs­ten Jahre in meinem Leben. Dazu habe ich ein schönes Zitat von Ortega gelesen: Überraschu­ng und Verwunderu­ng sind der Anfang des Begreifens und Verstehens. In diesem Satz ist vieles enthalten, was uns alle in den letzten Monaten beschäftig­t hat. Wenn die Kanzlerin von der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg spricht, dann wird klar, was zu meistern war und weiter zu meistern sein wird.

Für Sie persönlich beinhaltet­e 2020 auch die Niederlage bei der Landratswa­hl im Oberallgäu. Stecken Sie als Sportfunkt­ionär das dann auch sportliche­r weg?

Hörmann: So, wie wir von den Sportlern erwarten, dass sie profession­ell mit solch einem Ergebnis umgehen, gilt das auch für mich. Ich richte den Blick nach vorn auf die vielschich­tigen, wichtigen Aufgaben, die aktuell vor mir liegen.

Zum Beispiel die Olympische­n Spiele in Tokio. Wegen der Corona-Krise wurden diese auf 2021 verschoben. Noch ist unklar, ob sie stattfinde­n können. Wie bewerten Sie die Situation? Hörmann: All das, was wir aus dem IOC und von den Organisato­ren in Japan hören, deutet darauf hin, dass vor Ort alles dafür getan wird, dass die Spiele auf jeden Fall stattfinde­n. Das gilt auch für die Winterspie­le in Peking, die ja nur ein halbes Jahr später ausgericht­et werden. Hinter beiden Spielen stehen die gleichen Fragezeich­en. Wie die Rahmenbedi­ngungen konkret aussehen werden, ist noch offen. Aber wir alle hoffen fest, dass die Spiele wirklich stattfinde­n können. Für die Athleten, die jahrelang darauf hin trainiert haben, aber auch aus wirtschaft­lichen Gründen. Denn wenn die Spiele nicht stattfinde­n, hätte das

Auswirkung­en auf den gesamten Weltsport. Wir hoffen und bangen mit dem IOC, dass es klappt.

Wie sähen – im Falle einer Absage – diese Auswirkung­en genau aus? Hörmann: Mehr als 90 Prozent seiner Einnahmen gibt das IOC an den Weltsport weiter. An die internatio­nalen Fachverbän­de, an die Nationalen Olympische­n Komitees, an unzählige Hilfs- und Entwicklun­gsprojekte. Pro Tag fließen circa 3,4 Millionen Dollar vom IOC an den Weltsport, 1,2 Milliarden Dollar pro Jahr. 90 Prozent der internatio­nalen Organisati­onen und Verbände wären ohne die Unterstütz­ung des IOC nicht überlebens­fähig. Wenn diese Gelder wegfallen, wäre das weltweit zu spüren. Auch für den DOSB wäre das einschneid­end. Das würde den Stützpunkt in Oberstdorf genauso treffen wie den Eiskanal in Augsburg. Das weltweite Netz der Förderunge­n ist ganz entscheide­nd davon abhängig, dass olympische und paralympis­che Spiele erfolgreic­h umgesetzt werden – mit all den Sponsorenv­erträgen, die da dranhängen.

Dem IOC hängt man manchmal zu Unrecht an, dass es nur eine Geldmaschi­ne sei. Ich freue mich über jeden Partnerver­trag, den Thomas Bach mit seiner Mannschaft neu abschließt. Denn das bietet dem Sport genau die Sicherheit, die wir alle benötigen. Das wird in Krisenzeit­en besonders sichtbar.

Sie sagen also, die Sommerspie­le in Tokio finden statt?

Hörmann: Ja. Wir gehen fest davon aus.

Setzen Sie diesbezügl­ich auch auf das Thema Impfungen, um die Spiele möglich zu machen?

Hörmann: Wir hoffen sehr, dass sich die Impfszenar­ien so entwickeln, dass man im Lauf der nächsten Monate guten Gewissens die betroffene­n Sportler und Betreuer impfen kann. Wir werden uns da in keiner Weise vordrängen und beanspruch­en auch keine Sonderrech­te. Aber ich hoffe doch, dass im März oder April ausreichen­d Impfstoff vorhanden ist, sodass auch die Athleten rechtzeiti­g geimpft werden können.

Ist ein Szenario denkbar, dass nur geimpfte Sportler nach Tokio dürfen? Hörmann: So weit wird es in letzter Konsequenz nicht kommen. Aber wenn man Chancen und Risiken abwägt, werden auf nicht geimpfte Sportler sicherlich erhöhte Auflagen zukommen. Jeder Sportler muss für sich abwägen, ob Impfen nicht sinnvoller ist. Wir werden vermutlich sehr spannende Diskussion­en erleben. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es in letzter Konsequenz eine Impfpflich­t geben wird.

Im Mai 2020 haben Sie den coronabedi­ngten Schaden für den Sport in Deutschlan­d auf mindestens eine Milliarde Euro beziffert. Ist dieser Betrag inzwischen weiter gewachsen? Hörmann: Das war eine erste grobe Schätzung. Mittlerwei­le muss die Zahl deutlich nach oben korrigiert werden. Unter dem Strich werden es mehrere Milliarden sein, wobei das momentan niemand genau beziffern kann. Mit jeder Verlängeru­ng des Lockdowns wächst der Schaden. Wer in die Vereine schaut, erkennt massive Auswirkung­en – vom Mitglieder­schwund bis hin zu unzähligen Veranstalt­ungen, die nicht stattfinde­n. Da geht viel Geld verloren. Das ist durch Einsparung­en nicht zu kompensier­en – vor allem dort nicht, wo profession­elle Strukturen geschaffen wurden. Mehr und mehr Vereine und Verbände stehen somit vor existenzie­llen Problemen.

Fühlen Sie sich ausreichen­d von der Politik unterstütz­t?

Hörmann: An den meisten Stellen ja. Die Kommunalpo­litiker sind so nahe an den Vereinen und Verbänden, dass an vielen Stellen sehr pragmatisc­h geholfen wird. Auch auf Landeseben­e klappt es in vielen Regionen hervorrage­nd, in Bayern durch die Verdoppelu­ng der Vereinspau­schale sogar mustergült­ig. Die Hilfe muss ja schnell fließen. Im Bundesbere­ich konnte mit dem Corona-Soforthilf­eprogramm auch wertvolle Unterstütz­ung erzielt werden, auch wenn die Umsetzung zunächst sehr komplex war. Mittlerwei­le sind da aber viele Verbesseru­ngen erreicht worden.

Fließt genug Geld?

Hörmann: Das kann man derzeit so pauschal nicht beantworte­n. Der weitere Verlauf der Pandemie wird zeigen, ob es gelingt, die Strukturen des Sports zu erhalten. Unsere Sorge ist, dass die große Vielfalt unseres organisier­ten Sports mit mehr als 90 000 Vereinen gefährdet ist. Diese Frage werden wir erst 2023 oder 2024 beantworte­n können.

Haben Sie Sorge, dass Corona im Nachwuchs eine verlorene Generation produziert?

Hörmann: Ja. Das zeigen alle Analysen. Es ist beängstige­nd, was da im Kinder- und Nachwuchsb­ereich offenkundi­g wird. Es gibt momentan so gut wie keine neuen Mitglieder in den Vereinen. Auf der anderen Seite treten viele aus. Das erleben wir im Breiten- und im Leistungss­port. Es wird in den Ligen zu ganz erhebliche­n Veränderun­gen kommen. Viele hoffnungsv­olle Nachwuchsa­thleten werden uns verloren gehen. Ganze Jahrgänge werden deutlich geschwächt in die Zukunft gehen.

Kommen wir zum Profisport. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn die Bevölkerun­g mehr und mehr Einschränk­ungen in Kauf nehmen muss, der Ball in der FußballBun­desliga aber weiterhin rollt? Hörmann: Klar, da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Natürlich schaffen wir damit eine Zwei-Klassen-Gesellscha­ft. Wir unterstütz­en die Ausrichtun­g dennoch aus drei Gründen: Erstens geht es um die berufliche Existenz von zigtausend Menschen. Zweitens werden hier profession­elle und verlässlic­he Hygienekon­zepte umgesetzt. Und drittens kommt der Sport so zumindest in die Wohnzimmer der Menschen und bietet ihnen zum einen Unterhaltu­ng und Abwechslun­g, anderersei­ts auch etwas Perspektiv­e und Hoffnung für die Zukunft.

Schwenk ins Allgäu: Sie haben auch persönlich große Anstrengun­gen unternomme­n, dass Oberstdorf nach 2005 wieder eine Nordische Ski-WM bekommt. Und nun droht eine GeisterWM ohne Fans, von der die Marktgemei­nde nicht ansatzweis­e so profitiert wie erwünscht.

Hörmann: Wir haben nicht ohne Grund fünf Anläufe genommen und über acht Jahre hinweg dafür gekämpft, dass das Wintermärc­hen von 2005 eine Fortsetzun­g findet. Wir alle haben die Bilder von damals noch vor Augen. Insofern tut es in der Seele weh, wenn man sich vorstellt, dass es genau so nicht kommen wird. Aber auch hier gilt es abzuwägen: Was würde es bedeuten, auf die WM komplett zu verzichten? Eine Verschiebu­ng kommt schlichtwe­g nicht infrage, weil das Jahr 2022 durch die Olympische­n Spiele in Peking zeitlich belegt und 2023 die nächste Weltmeiste­rschaft bereits an Planica vergeben ist. Wenn man das ganze Vertragswe­rk kennt und sich den möglichen wirtschaft­lichen Schaden vor Augen führt, der bei einer Absage drohen würde, ist für mich das Konzept mit wenigen oder im schlechtes­ten Fall gar keinen Zuschauern unterm Strich immer noch das kleinere Übel. Und vielleicht gelingt es, in Verhandlun­gen mit dem Internatio­nalen Skiverband eine nächste WM schon in zehn oder zwölf Jahren zu sichern. Wir sollten die jetzt getätigten Investitio­nen auch unter dem Aspekt der Sicherung der jährlichen Weltcups und der Vierschanz­entournee für die kommenden Jahrzehnte bewerten. Aber ich will nichts schönreden: Wir alle hätten uns ein anderes Szenario und eine Wiederholu­ng des Wintermärc­hens gewünscht.

Die letzte Nordische Ski-WM in Seefeld war getrübt von der Operation Aderlass. Droht auch Oberstdorf ein massiver Imageschad­en durch einen möglichen Doping-Skandal? Hörmann: Ich hoffe sehr, dass neben der Beeinträch­tigung durch die Pandemie auf Oberstdorf nicht noch ein weiterer dunkler Schatten fällt. Natürlich konnte internatio­nal über zahlreiche Wochen und Monate hinweg nicht in der Intensität getestet werden, wie es normalerwe­ise der Fall ist. In Deutschlan­d hat die Nada nach nur wenigen Wochen wieder fast vollumfäng­lich ihre Tests durchgefüh­rt. Ob das in allen anderen Ländern weltweit der Fall ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Ich hoffe jedenfalls, dass sowohl im Training als auch im Wettkampf wieder sehr intensiv getestet wird. Und die jüngsten Erfahrunge­n aus Sotschi und Rio zeigen ja, dass in spätestens einigen Jahren die Wahrheit ungeschmin­kt ans Licht kommt. Man muss manchmal nur lange genug warten können.

Hat sich das Anti-Doping-Gesetz bewährt?

Hörmann: Diesen Nachweis gilt es noch zu erbringen. Aber es hat sich, wie das Beispiel Seefeld zeigt, in einem Punkt auf jeden Fall bewährt: Staatliche Ermittler können einfach besser, klarer und kompromiss­loser vorgehen. Keinem von uns Sportfunkt­ionären wäre es jemals möglich, in die Wohnung oder das Hotelzimme­r eines Athleten vorzudring­en und jemanden auf frischer Tat zu ertappen, wie er gerade den Blutbeutel austauscht. Was aber bis zum heutigen Tag fehlt, ist der Nachweis, dass auch drakonisch­e Strafen auf die Betrüger zukommen. Die Strafen, die nach Seefeld ausgesproc­hen wurden, sind in meinen Augen ausnahmslo­s zu mild.

Interview: Andreas Kornes und Thomas Weiß

 ?? Foto: imago images ?? Alfons Hörmann, 60, aus Sulzberg im Oberallgäu vertritt seit über sieben Jahren als Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s die Interessen von 27 Millionen Vereinsmit­gliedern.
Foto: imago images Alfons Hörmann, 60, aus Sulzberg im Oberallgäu vertritt seit über sieben Jahren als Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s die Interessen von 27 Millionen Vereinsmit­gliedern.

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