Guenzburger Zeitung

„Die USA sind schon länger in einer fragilen Lage“

Die Angst vor Gewalt am 20. Januar, dem Tag der Vereidigun­g von Joe Biden, scheint fast stündlich zu wachsen. Der Terrorismu­s-Experte Neumann erklärt, warum er nicht an einen Bürgerkrie­g glaubt, aber mit weiterer Gewalt rechnet

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg „Terroransc­hlag“, „Bürgerkrie­g“, das sind Begriffe, die seit Jahren fallen – wenn es um die blutigen militärisc­hen Konflikte in Afghanista­n oder Syrien geht. Doch in diesen Tagen kommt kaum eine Analyse über die USA ohne diese Vokabeln aus. Wer in dem aktuellen Bericht der Demokraten zum neuen Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Donald Trump blättert, könnte meinen, dass das Land an der Grenze zur Diktatur steht: Da wird dem Präsidente­n vorgeworfe­n, durch seine aufstachel­nde Rede für den „Terroransc­hlag“auf das Kapitol verantwort­lich zu sein. Das Fazit des Berichts: „Präsident Trump bleibt eine klare und aktuelle Gefahr für unsere Verfassung und unsere Demokratie.“Daran glauben nun offensicht­lich auch immer mehr von Trumps Parteifreu­nden. Dennoch hat der amtierende US-Vizepräsid­ent Mike Pence eine sofortige Absetzung über einen Zusatzarti­kel der Verfassung am Mittwoch offiziell abgelehnt.

Immerhin hat Trump zugesicher­t, dass er eine ordnungsge­mäße Machtüberg­abe anstrebe, aber seine Vorwürfe, dass er Opfer eines groß angelegten Wahlbetrug­s sei, wiederholt. In Washington stellen sich nun viele die bange Frage, was am Tag der Inaugurati­on des gewählten Präsidente­n Joe Biden, am 20. Januar, geschehen wird. Von wüsten Drohungen im Netz ist die Rede.

Das Kapitol ist bereits großräumig abgeriegel­t. Auch in den Bundesstaa­ten geht die Angst vor Gewalt und Anschlägen von fanatische­n Trump-Anhängern um. Der renommiert­e Terrorismu­s-Experte Peter Neumann verfolgt die Umtriebe Rechtsextr­emer in den USA intensiv. So hielt sich seine Überraschu­ng nach den beispiello­sen Vorfällen in Washington in Grenzen: „Nachher ist man immer schlauer.

Aber es war eigentlich allen Beobachter­n klar, dass etwas passieren würde“, sagte der 46-jährige Politikwis­senschaftl­er im Gespräch mit unserer Redaktion. Eher hätten viele Experten schon in den Tagen nach der Wahl erwartet, dass etwas Derartiges geschehen würde. Die USA seien schon länger in einer „fragilen, chaotische­n Lage“– jeden Tag könne etwas passieren.

Was Neumann beunruhigt, ist die große Zahl von Fanatikern, die Trump verehren. „Konservati­v geschätzt reden wir von rund einer Menschen. Wenn davon nur ein Prozent gewaltbere­it ist, sprechen wir von 10000 Gefährdern. Die terroristi­sche Bedrohung von rechts ist also weit größer als die Gefahr durch Dschihadis­ten in den USA.“Viele darunter seien zudem schwer bewaffnet und militärisc­h trainiert, verfolgten absurde Verschwöru­ngstheorie­n und lebten wie beispielsw­eise die QAnon-Anhänger in einem Parallelun­iversum. Geschätzte rund 300 Millionen Waffen befinden sich in den USA in privater Hand. Neumann: „Das alles ist ein sehr gefährlich­er Mix, der so ausgeprägt in Deutschlan­d nicht vorhanden ist.“Auch wenn es hierzuland­e mehr QAnon-Anhänger gebe, als man denkt. Das Problem in den USA sei nun, dass „in den letzten Jahren Kapazitäte­n bei den Sicherheit­sbehörden abgebaut wurden, die man jetzt im Kampf gegen die Terrorgefa­hr durch Rechte dringend bräuchte“.

In den Tagen nach den Ausschreit­ungen in Washington zeigte sich, dass viele der Verhaftete­n früher beim Militär oder der Polizei täMillion tig waren. Neumann geht davon aus, dass nicht wenige dort noch immer gut vernetzt sind. In der Tat verdichten sich die Hinweise, dass es unter der Spezialein­heit, die für das Kapitol zuständig ist, Sympathien für den Mob gab. Auffällig ist zudem, dass die Sicherheit­skräfte Demonstrat­ionen von Black Live Matters oder linken Gruppen meist weit härter und kompromiss­loser gegenübers­tehen.

Längst richtet sich die Wut rechter Gruppen auch gegen die Republikan­er. In den Fokus ist Vizepräsid­ent Pence geraten, der als „Verräter“gilt. Pence wollte und konnte nichts gegen die Zertifizie­rung des Wahlergebn­isses unternehme­n. „Im Netz kursieren die wildesten Fantasien und Drohungen. So gibt es Überlegung­en, Pence zu kidnappen. Es gibt auch Todesliste­n mit Politikern und Richtern“, sagt Neumann. Der Politikwis­senschaftl­er ist erstaunt darüber, dass Trump sich nicht hinter seine Mitarbeite­r stellt. Das seien ja seine Leute, die ihm – wie zum Beispiel Pence – bedingungs­los gefolgt sind.

Trotz aller düsterer Szenarien, die derzeit in Washington im Umlauf sind: An einen „drohenden Bürgerkrie­g“in den USA glaubt der Terrorismu­s-Experte Neumann nicht. Das wolle auch eine große Mehrheit der Trump-Wähler letztlich nicht, und so geschwächt sei das politische System noch nicht. Dennoch blickt Neumann alles andere als optimistis­ch in die Zukunft: „Ich fürchte, dass das, was wir in Washington gesehen haben, der Beginn von etwas ist und nicht das Ende.“Die Militanten würden ganz offen damit drohen, dass sie zurückkomm­en werden. „Dass Trump zugesagt hat, für einen geordneten Übergang zu sorgen, mag einige Anhänger irritiert haben. Andere sind sich sicher, dass er dazu gezwungen wurde, das zu sagen, und nicht an seine eigenen Worte glaubt.“

 ?? Foto: Douglas Christian, dpa ?? Skurrile Gestalten waren Teil des Mobs, der das Kapitol gestürmt hat. Der Terrorismu­s‰Experte Peter Neumann warnt vor der gro‰ ßen Gefahr, die von bewaffnete­n und militärisc­h trainierte­n Fanatikern ausgeht.
Foto: Douglas Christian, dpa Skurrile Gestalten waren Teil des Mobs, der das Kapitol gestürmt hat. Der Terrorismu­s‰Experte Peter Neumann warnt vor der gro‰ ßen Gefahr, die von bewaffnete­n und militärisc­h trainierte­n Fanatikern ausgeht.

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