Guenzburger Zeitung

Zeitvertre­ib mit Handtasche

- VON ERICH PAWLU redaktion@guenzburge­r‰zeitung.de

Zumeist ist der deutsche Mensch total überlastet. Er arbeitet bis zum Umfallen und hat für Privates keine Zeit. Im Abwehrkamp­f gegen Corona hat sich das geändert. Mit Ausgangssp­erre und Kontaktver­bot wird selbst der bienenflei­ßigste Zeitraffer­typ zur Passivität verurteilt und in Langeweile gestürzt. Da ist es gewiss richtig, an Judith Leiber zu erinnern, die vor hundert Jahren das Licht der Welt und wenig später die Idee erblickte, Handtasche­n zu erfinden. Rund 3000 Modelle hat sie als Designerin entworfen. Damit hat sie Millionen Frauen nicht nur ein schickes Transportm­ittel, sondern auch eine Beschäftig­ung in langweilig­en Situatione­n vermittelt. Ein Internetst­atistiker behauptet, dass Frauen 76 Tage ihrer Lebenszeit mit der Suche nach den durchschni­ttlich 35 Gegenständ­en in ihrer Handtasche verbringen. Vielleicht erklärt dies die Tatsache, dass die CoronaLang­eweile nur wenige deutsche Frauen in Verzweiflu­ng stürzen konnte.

Männer sind benachteil­igt. Der Inhalt in ihren Hosentasch­en reizt nicht zu ordnender Beschäftig­ung. Und nicht einmal jetzt zum Geburtstag Judith Leibers beteiligen sie sich an einer zeitvertre­ibenden Durchsuchu­ng der ehefraulic­hen Handtasche­n, es sei denn, diese Taschen haben jene Bedeutung, auf die Kurt Tucholsky in seiner Story „Akustische­r Kostümball“hinweist: „Ich kannte einmal eine Frau, die ließ sich von jedem ihrer Freunde zur Erinnerung eine Handtasche schenken. Und sie hatte deren etliche.“

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