Guenzburger Zeitung

Dieses Doping-Urteil könnte den Sport verändern Leitartike­l

Der bisher größte Doping-Prozess geht zu Ende. Und er hat Symbolkraf­t, auch für die Hintermänn­er. Ohne das neue Gesetz wäre er nie zustande gekommen

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger‰allgemeine.de

In München geht an diesem Freitag ein Prozess zu Ende, der sich großer Beliebthei­t erfreute. Weniger bei den Angeklagte­n, dafür umso mehr bei all jenen, die die Hoffnung auf einen sauberen Sport noch nicht aufgegeben haben – selbst wenn es diesen nie geben wird. Zu sehr liegt es in der Natur des Menschen, bei Gelegenhei­t zum Betrüger zu werden. Der Sport bietet an seiner gelddurcht­ränkten Spitze jede Menge Anreiz, sich einen Vorteil zu erschummel­n. Und hier schließt sich der Kreis zu dem Prozess in München. Denn der dort angeklagte Sportarzt bot den Willigen diese Gelegenhei­t.

Vor Gericht kam ein System zum Vorschein, das Sportlern grenzüberg­reifend die Möglichkei­t gab, sich mit Eigenblut zu dopen. Eine Doping-Variante, die nur schwer nachzuweis­en ist. Unkorrekt ausgeführt birgt sie allerdings hohe Risiken. Jeder kann sich vorstellen, dass verunreini­gte Infusionen die Leistung nicht unbedingt fördern.

Der Hauptangek­lagte Mark S., ein Arzt, hatte während des Prozesses die Strategie der Vorwärtsve­rteidigung gewählt. Er war geständig, kooperativ, zeigte jede Menge Reue und stellte sich als Helfer dar, der den Sportlern sicheres Blutdoping zur Verfügung stellen wollte. Das Urteil am heutigen Freitag wird zeigen, ob die Taktik erfolgreic­h war.

Gleichzeit­ig wird das Urteil aber auch Signalwirk­ung weit über den Münchner Gerichtssa­al hinaus haben. Alfons Hörmann, Deutschlan­ds oberster Sportfunkt­ionär, prognostiz­iert gar Auswirkung­en auf den gesamten Weltsport. Folgen die Richter dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft auf fünfeinhal­b Jahre Haft, wäre es das erste Mal, dass ein Doping-Drahtziehe­r für längere Zeit hinter Gitter muss. Es sei rechtliche­s Neuland, das mit dem Verfahren betreten wurde, sagte Oberstaats­anwalt Kai Gräber. Zwar gibt es in Deutschlan­d schon seit 2015 ein Anti-Doping-Gesetz. Bisher hat es sich aber fast ausschließ­lich gegen Sportler aus der Bodybuilde­r-Szene gerichtet. Die eigentlich­e Zielgruppe aus dem Spitzenspo­rt blieb unbehellig­t. Allein schon dieser Umstand zeigt, dass das Gesetz überarbeit­et werden muss. Momentan hat es die falsche Stoßrichtu­ng. Und es fehlt eine Kronzeugen­regelung. Denn ohne das Wissen von Insidern sind Polizei und Staatsanwa­ltschaft machtlos. Das wurde in München deutlich.

Der Prozess gewährte Einblick hinter die Fassade des Spitzenspo­rts. Zur Strategie der Anwälte von Mark S. gehörte, immer wieder zu behaupten, Doping sei im Spitzenspo­rt an der Tagesordnu­ng. Ihr Mandant habe halt das Pech gehabt, erwischt zu werden. Ein Argument mit langer Tradition. Kaum ein Doper, der nicht sagt, er habe sich nicht als Betrüger gefühlt, da dies doch alle machten. Erinnert sei an den tief gefallenen ExRadstar Jan Ullrich.

Dessen Nachfolger sehen sich nun aber mit einem neuen Gegner konfrontie­rt. Als die Fahnder während der Nordischen Ski-WM 2019 die Operation Aderlass starteten, erwischten sie in einem Hotelzimme­r in Seefeld zwei Langläufer auf frischer Tat, die Nadel steckte noch im Arm. Ohne Anti-DopingGese­tz wäre das nicht gelungen. Polizisten und Staatsanwä­lte haben deutlich schärferes Werkzeug zur Verfügung als der Sport, der sich viel zu lange auf seine Selbstrein­igungskräf­te verließ. Je härter das Urteil von München ausfällt, desto abschrecke­nder ist die Drohkuliss­e, die es aufbaut. Auch weil es den Hintermänn­ern zeigen würde, dass sie ihre Arbeit nicht mehr komplett sorgenfrei anbieten können.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Mark S. bisher ein Einzelfall ist und im Wesentlich­en Sportler aus der zweiten Reihe „betreute“. Die Stars sind offenbar cleverer. Oder sie dopen nicht. Wählen Sie selbst.

Die Nadel steckte noch im Arm

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