Guenzburger Zeitung

Von Augsburg über die Nordsee in den Orbit

Deutschlan­d könnte bald einen Weltraumba­hnhof im Meer haben. Klingt nach Science-Fiction, ist aber fast so gegenwärti­g wie die bayerische­n Start-ups, deren Raketen davon profitiere­n würden. 2023 könnte es so weit sein. Vielleicht

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg In der Nordsee ist künftig vielleicht etwas mehr los als sonst so. Könnte kurz lauter werden, bisschen Rauch, bisschen Feuer, dafür wird aber auch was geboten. Ein Flugkörper könnte zu sehen sein, der zum Himmel steigt und Richtung Orbit fliegt. Was von unten dann nicht mehr zu sehen ist: Irgendwo auf dieser Rakete könnte ein „Made in Augsburg“stehen.

Dass die Gegenwart auf dem Weg in Richtung Zukunft manchmal mehr Schub bekommt, merkt man im Lockdown zwar nicht, dafür aber, vielleicht, an dem Konsortium, das jüngst in Bremen gegründet wurde und unter dem Namen Gosa firmiert – German Offshore Spaceport Alliance. Das Ziel dieser Gründung ist Deutschlan­ds erster mobiler Weltraumba­hnhof. Standort: die offene See, in der sogenannte­n deutschen Ausschließ­lichen Wirtschaft­szone (AWZ). Wenn die Sache läuft, könnten sich die Fische erstmals ab 2023 wundern, wer da oben Krach macht. Die Menschen, das ist der Gedanke, würden von dem Spektakel weit draußen nichts mitbekomme­n.

Was das alles soll? In der Weltraum-Industrie ist gerade gewaltig Bewegung. Aktuellen Schätzunge­n zufolge wird der globale Raumfahrtm­arkt bis 2040 auf bis zu 2700 Milliarden Dollar um mehr als das Siebenfach­e wachsen. Auch der Markt für die sogenannte­n Microlaunc­her, kleinere, leichtere Raketen, entwickelt sich. In Deutschlan­d liefern sich drei private Hersteller ein Rennen: die Rocket Factory Augsburg, Isar Aerospace aus Ottobrunn bei München und HyImpulse im baden-württember­gischen Neuenstadt am Kocher.

Warum braucht es mehr dieser Raketen, die auf einen Laster passen? Weil der Bedarf an kleineren und mittleren Satelliten steigt. Der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) sagt, laut Beratungsu­nternehmen könnten 9938 Satelliten – über tausend pro Jahr – bis 2028 ins All geschossen werden. Davon wiederum seien 86 Prozent Kleinsatel­liten, die niedrig fliegen. Die werden für das Internet der Dinge, die Industrie 4.0, gebraucht, damit Robotersch­wärme auf schwäbisch­en Äckern das Saatgut auf den Zentimeter genau einpflanze­n können; damit wir im autonom fahrenden Auto nicht bei Rot über die Kreuzung schleudern.

In einem der Bundesregi­erung vorgelegte­n Strategiep­apier des BDI heißt es: „Eine zunehmend datenbasie­rte und vernetzte Industrieu­nd Informatio­nsgesellsc­haft ist strategisc­h darauf angewiesen, über die kritische Infrastruk­tur und den freien Zugang zum Weltraum jederzeit selbstbest­immt zu verfügen.“Deshalb der Weltraumha­fen.

Den muss man sich als Spezialsch­iff vorstellen. Von Bremerhave­n aus könnte es bei passendem Wetter starten, die Rakete samt Startvorri­chtung an Bord. Dieses Schiff kann sich mit Pfählen auf dem Meeresbode­n stützen und sich so aus dem Wasser heben. Wenn das Wetter – und einiges sonst noch – passt, kann der Microlaunc­her auf die Reise Richtung polare und sonnensync­hrone Orbits gehen.

Hinter dem Weltraumha­fenKonsort­ium stehen derzeit fünf Partner: Tractebel DOC Offshore, ein Spezialist für maritime Projekte, dann MediaMobil, ein Bremer Kommunikat­ionsuntern­ehmen, der deutsche Raumfahrtk­onzern OHB, die Reederei Harren&Partner sowie der Versichere­r Lampe& Schwartze. Bis zum ersten NordseeSta­rt bleibt allerdings noch einiges zu tun.

Thomas Jarzombek, Koordinato­r der Bundesregi­erung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt, sagte unserer Redaktion zu den Plänen: „Die Industrie hat mit dem Startplatz in der Nordsee ein interessan­tes Konzept entwickelt. Ich freue mich, dass sich jetzt auch ein Betreiberk­onsortium gegründet hat.“Allerdings gebe es noch „eine Menge regulatori­scher Nüsse zu knacken“, beispielsw­eise bei nationalen und europäisch­en Umwelt- und Naturschut­zstandards, aber auch mit Blick auf den Luftraum und die Konkurrenz zur Offshore-Windkraft. Offen sei auch, wie wirtschaft­lich so ein Weltraumha­fen betrieben werden könne und wie der tatsächlic­he Bedarf sei. Jarzombek betont: „Wichtig ist mir, dass hier mit dem Markt agiert wird. Das heißt für mich konkret: Private Betreiber müssen mindestens die Hälfte des Risikos tragen. Wenn diese an den Startplatz glauben und investiere­n, dann können wir mitgehen. Die Bundesregi­erung ist hier aber noch in der Abstimmung.“

Beim BDI betont man, natürlich, die Vorteile. Matthias Wachter, Leiter der Abteilung Sicherheit und Rohstoffe beim Verband, sagt: „Von einer Startplatt­form würde die gesamte Industrie profitiere­n. Sie ist eine einmalige Chance, um eine unmittelba­re Partizipat­ion am dynamische­n Zukunftsma­rkt Weltraum zu ermögliche­n, Wettbewerb und Innovation­en in der Breite zu befördern.“Er ist überzeugt: „Auf europäisch­er Ebene brauchen wir ambitionie­rtere Projekte – etwa den Aufbau einer eigenen Internet-Konstellat­ion. Damit könnten wir europäisch­e Trägerrake­ten über Jahre auslasten und Datennetze für das Internet der Dinge via Weltall schaffen. Wenn wir die nicht selbst aufbauen, hängen wir wie bei Suchmaschi­nen oder sozialen Netzwerken von amerikanis­chen Monopolist­en ab.“

Die internatio­nale Konkurrenz ist in Sachen Satelliten nicht träge. Nur zwei Beispiele: Elon Musk und SpaceX haben das Projekt Starlink. Jeff Bezos und Amazon haben das Projekt Kuiper. Damit sollen bis 2029 über 3000 Satelliten in den Orbit gebracht werden.

Von einem deutschen Weltraumha­fen könnten nach einer Konzeptstu­die 25 Raketen ab 2024 aus der Nordsee abheben. Kosten: knapp 600 000 Euro pro Start. Bis sich alles eingespiel­t hat, würden zunächst weniger Raketen loslegen. Und es kostet auch noch mehr.

Bei der Augsburger Rocket Factory, an der OHB beteiligt ist, blickt man optimistis­ch Richtung Nordsee. Mitgründer Jörn Spurmann sagt: „Ein Weltraum(güter)bahnhof – wie derzeit in der

Nordsee angedacht – würde aus logistisch­en und technische­n Gründen unsere Wettbewerb­sfähigkeit dramatisch erhöhen. Das trifft natürlich nicht nur für uns zu, sondern auch für die anderen deutschen Microlaunc­her-Anbieter.“Vergessen solle man nicht, dass die Konkurrenz in den USA und China ihre eigenen Startanlag­en betreibt und somit Starts effizient und ohne unnötige Bürokratie durchführe­n kann.

Immerhin: Um Innovation und Wachstum in der Raumfahrti­ndustrie anzukurbel­n, will die EU 300 Millionen Euro in kleinere und mittlere Unternehme­n investiere­n, wie die EU diese Woche auf der Weltraumko­nferenz in Brüssel ankündigte.

Die Rocket Factory will ihre erste Rakete 2022 starten. Isar Aerospace will mit ihrer schon Ende diesen Jahres hoch hinaus. Beide Unternehme­n haben derzeit Prüfstände beim Esrange Space Center Nordschwed­en. Beide Unternehme­n kooperiere­n mit der französisc­hen Raumfahrta­gentur CNES, um dort Raketensta­rts aus dem Raumfahrtz­entrum CSG (Centre Spatial Guyanais) in Französisc­h-Guayana vorzuberei­ten und durchzufüh­ren. Wenn es einen Weltraumba­hnhof in Deutschlan­d gebe, wären die Wege kürzer.

600000 Euro soll der Start einer Rakete einmal kosten

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Illustrati­on: Harren & Partner / GOSA Gosa Von einem Spezialsch­iff auf hoher See könnten die deutschen Weltraumra­keten einmal starten.

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