Von Augsburg über die Nordsee in den Orbit
Deutschland könnte bald einen Weltraumbahnhof im Meer haben. Klingt nach Science-Fiction, ist aber fast so gegenwärtig wie die bayerischen Start-ups, deren Raketen davon profitieren würden. 2023 könnte es so weit sein. Vielleicht
Augsburg In der Nordsee ist künftig vielleicht etwas mehr los als sonst so. Könnte kurz lauter werden, bisschen Rauch, bisschen Feuer, dafür wird aber auch was geboten. Ein Flugkörper könnte zu sehen sein, der zum Himmel steigt und Richtung Orbit fliegt. Was von unten dann nicht mehr zu sehen ist: Irgendwo auf dieser Rakete könnte ein „Made in Augsburg“stehen.
Dass die Gegenwart auf dem Weg in Richtung Zukunft manchmal mehr Schub bekommt, merkt man im Lockdown zwar nicht, dafür aber, vielleicht, an dem Konsortium, das jüngst in Bremen gegründet wurde und unter dem Namen Gosa firmiert – German Offshore Spaceport Alliance. Das Ziel dieser Gründung ist Deutschlands erster mobiler Weltraumbahnhof. Standort: die offene See, in der sogenannten deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ). Wenn die Sache läuft, könnten sich die Fische erstmals ab 2023 wundern, wer da oben Krach macht. Die Menschen, das ist der Gedanke, würden von dem Spektakel weit draußen nichts mitbekommen.
Was das alles soll? In der Weltraum-Industrie ist gerade gewaltig Bewegung. Aktuellen Schätzungen zufolge wird der globale Raumfahrtmarkt bis 2040 auf bis zu 2700 Milliarden Dollar um mehr als das Siebenfache wachsen. Auch der Markt für die sogenannten Microlauncher, kleinere, leichtere Raketen, entwickelt sich. In Deutschland liefern sich drei private Hersteller ein Rennen: die Rocket Factory Augsburg, Isar Aerospace aus Ottobrunn bei München und HyImpulse im baden-württembergischen Neuenstadt am Kocher.
Warum braucht es mehr dieser Raketen, die auf einen Laster passen? Weil der Bedarf an kleineren und mittleren Satelliten steigt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sagt, laut Beratungsunternehmen könnten 9938 Satelliten – über tausend pro Jahr – bis 2028 ins All geschossen werden. Davon wiederum seien 86 Prozent Kleinsatelliten, die niedrig fliegen. Die werden für das Internet der Dinge, die Industrie 4.0, gebraucht, damit Roboterschwärme auf schwäbischen Äckern das Saatgut auf den Zentimeter genau einpflanzen können; damit wir im autonom fahrenden Auto nicht bei Rot über die Kreuzung schleudern.
In einem der Bundesregierung vorgelegten Strategiepapier des BDI heißt es: „Eine zunehmend datenbasierte und vernetzte Industrieund Informationsgesellschaft ist strategisch darauf angewiesen, über die kritische Infrastruktur und den freien Zugang zum Weltraum jederzeit selbstbestimmt zu verfügen.“Deshalb der Weltraumhafen.
Den muss man sich als Spezialschiff vorstellen. Von Bremerhaven aus könnte es bei passendem Wetter starten, die Rakete samt Startvorrichtung an Bord. Dieses Schiff kann sich mit Pfählen auf dem Meeresboden stützen und sich so aus dem Wasser heben. Wenn das Wetter – und einiges sonst noch – passt, kann der Microlauncher auf die Reise Richtung polare und sonnensynchrone Orbits gehen.
Hinter dem WeltraumhafenKonsortium stehen derzeit fünf Partner: Tractebel DOC Offshore, ein Spezialist für maritime Projekte, dann MediaMobil, ein Bremer Kommunikationsunternehmen, der deutsche Raumfahrtkonzern OHB, die Reederei Harren&Partner sowie der Versicherer Lampe& Schwartze. Bis zum ersten NordseeStart bleibt allerdings noch einiges zu tun.
Thomas Jarzombek, Koordinator der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt, sagte unserer Redaktion zu den Plänen: „Die Industrie hat mit dem Startplatz in der Nordsee ein interessantes Konzept entwickelt. Ich freue mich, dass sich jetzt auch ein Betreiberkonsortium gegründet hat.“Allerdings gebe es noch „eine Menge regulatorischer Nüsse zu knacken“, beispielsweise bei nationalen und europäischen Umwelt- und Naturschutzstandards, aber auch mit Blick auf den Luftraum und die Konkurrenz zur Offshore-Windkraft. Offen sei auch, wie wirtschaftlich so ein Weltraumhafen betrieben werden könne und wie der tatsächliche Bedarf sei. Jarzombek betont: „Wichtig ist mir, dass hier mit dem Markt agiert wird. Das heißt für mich konkret: Private Betreiber müssen mindestens die Hälfte des Risikos tragen. Wenn diese an den Startplatz glauben und investieren, dann können wir mitgehen. Die Bundesregierung ist hier aber noch in der Abstimmung.“
Beim BDI betont man, natürlich, die Vorteile. Matthias Wachter, Leiter der Abteilung Sicherheit und Rohstoffe beim Verband, sagt: „Von einer Startplattform würde die gesamte Industrie profitieren. Sie ist eine einmalige Chance, um eine unmittelbare Partizipation am dynamischen Zukunftsmarkt Weltraum zu ermöglichen, Wettbewerb und Innovationen in der Breite zu befördern.“Er ist überzeugt: „Auf europäischer Ebene brauchen wir ambitioniertere Projekte – etwa den Aufbau einer eigenen Internet-Konstellation. Damit könnten wir europäische Trägerraketen über Jahre auslasten und Datennetze für das Internet der Dinge via Weltall schaffen. Wenn wir die nicht selbst aufbauen, hängen wir wie bei Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken von amerikanischen Monopolisten ab.“
Die internationale Konkurrenz ist in Sachen Satelliten nicht träge. Nur zwei Beispiele: Elon Musk und SpaceX haben das Projekt Starlink. Jeff Bezos und Amazon haben das Projekt Kuiper. Damit sollen bis 2029 über 3000 Satelliten in den Orbit gebracht werden.
Von einem deutschen Weltraumhafen könnten nach einer Konzeptstudie 25 Raketen ab 2024 aus der Nordsee abheben. Kosten: knapp 600 000 Euro pro Start. Bis sich alles eingespielt hat, würden zunächst weniger Raketen loslegen. Und es kostet auch noch mehr.
Bei der Augsburger Rocket Factory, an der OHB beteiligt ist, blickt man optimistisch Richtung Nordsee. Mitgründer Jörn Spurmann sagt: „Ein Weltraum(güter)bahnhof – wie derzeit in der
Nordsee angedacht – würde aus logistischen und technischen Gründen unsere Wettbewerbsfähigkeit dramatisch erhöhen. Das trifft natürlich nicht nur für uns zu, sondern auch für die anderen deutschen Microlauncher-Anbieter.“Vergessen solle man nicht, dass die Konkurrenz in den USA und China ihre eigenen Startanlagen betreibt und somit Starts effizient und ohne unnötige Bürokratie durchführen kann.
Immerhin: Um Innovation und Wachstum in der Raumfahrtindustrie anzukurbeln, will die EU 300 Millionen Euro in kleinere und mittlere Unternehmen investieren, wie die EU diese Woche auf der Weltraumkonferenz in Brüssel ankündigte.
Die Rocket Factory will ihre erste Rakete 2022 starten. Isar Aerospace will mit ihrer schon Ende diesen Jahres hoch hinaus. Beide Unternehmen haben derzeit Prüfstände beim Esrange Space Center Nordschweden. Beide Unternehmen kooperieren mit der französischen Raumfahrtagentur CNES, um dort Raketenstarts aus dem Raumfahrtzentrum CSG (Centre Spatial Guyanais) in Französisch-Guayana vorzubereiten und durchzuführen. Wenn es einen Weltraumbahnhof in Deutschland gebe, wären die Wege kürzer.
600000 Euro soll der Start einer Rakete einmal kosten