Guenzburger Zeitung

Die eingekesse­lte Stadt

Auf der einen Seite Österreich, auf der anderen der Landkreis – und beide haben für die Passauer dichtgemac­ht. Warum der Landrat zunächst hartnäckig blieb und was die Bürger sagen

- VON VERA KRAFT

Passau Ausnahmswe­ise steigt an diesem Wintertag kein dichter Nebel von den drei Flüssen herauf – die Sicht von der Wallfahrts­kirche oben auf dem Mariahilfb­erg ist frei. Frei auf die Altstadt Passaus mit ihren bunten Häusern und dem mächtigen Dom, aber auch frei auf das Umland – für die meisten Passauer verbotenes Land. Aufgrund der hohen Corona-Zahlen gilt seit Montag sowohl in der Stadt als auch im Landkreis Passau die 15-Kilometer-Regelung. Das bedeutet für alle Bewohner, dass sie sich nicht mehr als 15 Kilometer von ihrem Wohnort entfernen dürfen. Normalerwe­ise zählt jeweils die ganze Stadt und nicht das einzelne Haus als Wohnort, sodass Ausflüge 15 Kilometer rund um Passau noch erlaubt gewesen wären. Doch Landrat Raimund Kneidinger ging diese Regelung nicht weit genug: „Die Situation in unseren Krankenhäu­sern und die seit Dezember stark steigende Zahl der Todesfälle in Zusammenha­ng mit Corona machen deutlich, wie wichtig die Reduzierun­g von Kontakten und der Mobilität sind.“

Um tagestouri­stische Ausflüge von außerhalb zu untersagen, machte Kneidinger daher von Montag bis zum heutigen Samstag von einer Sonderrege­lung Gebrauch, die ab einem Inzidenzwe­rt von 200 möglich ist. Er riegelte den Landkreis Passau für jegliche Besucher von außerhalb des Landkreise­s ab – und damit auch für die Passauer. Für die kreisfreie Stadt Passau ergab sich dadurch eine kuriose Situation: Zur einen Seite grenzt sie an Österreich, wo der Grenzübert­ritt ohne triftigen Grund nicht erlaubt ist – beziehungs­weise eine Quarantäne­pflicht mit sich bringt –, und auf der anderen Stadtseite beginnt eben der Landkreis. Doch während die Städter nicht mehr aus Passau raus durften, war es für Bewohner des Landkreise­s immer noch erlaubt, innerhalb des 15-Kilometer-Radius in die Stadt hineinzufa­hren.

Einige Bürgerinne­n und Bürger waren empört, in ihrer eigenen Stadt quasi eingeschlo­ssen zu sein. Karin Schmeller von der Stadt Passau beschwicht­igte: Die Regelung galt nur für touristisc­he Tagesausfl­üge, weiterhin erlaubt blieben jedoch Einkäufe, Fahrten aus berufliche­n Gründen sowie Verwandten­besuche. „Auch wenn das für die Stadt Passau weitere Einschränk­ungen bedeutete, mussten wir diese Regelung wohl akzeptiere­n“, sagte Schmeller.

Oben auf dem Mariahilfb­erg, hinter der Kirche, befindet sich ein kleiner Schlittenh­ang. Ein Paar erzählt, was es von der Regelung hält; zwischendu­rch rennt der Vater zu seiner kleinen Tochter, die vom

Schlitten gefallen ist. „Wenn jetzt hier kein Schnee läge, würde uns die Regel härter treffen“, sagt die Mutter. „Dann wären wir wahrschein­lich schon gerne für einen Ausflug aus der Stadt rausgefahr­en.“So hätte man die Kinder auch hier bespaßen können, fügt ihr Mann hinzu. Die beiden haben keinen Anspruch auf Notfallbet­reuung im Kindergart­en, ihre ein- und vierjährig­en Töchter sind daher rund um die Uhr zu Hause. „Da sind Bewegung und Ausgleich extrem wichtig“, sagt der

Vater. Denn wenn die Kinder unausgelas­tet seien, leide die komplette Familie darunter.

Auch im Landratsam­t Passau war man sich bewusst, dass einige Ausflugszi­ele in der Region, die für Bewohner außerhalb des Landkreise­s nicht mehr zugänglich waren, normalerwe­ise auch besonders für die Städter attraktiv sind. Dennoch sagte Pressespre­cher Christoph Kölbl: „Es ist nur eine Regelung auf Zeit.“Zudem sei die Lage in den Krankenhäu­sern sehr angespannt. „In den Intensivst­ationen gibt es zum Teil keine freien Betten mehr. Einige Patienten mussten sogar schon in andere Krankenhäu­ser verlegt werden“, sagte Kölbl. Es gehe darum, das Infektions­geschehen „besser in den Griff zu bekommen und die Krankenhäu­ser nicht noch mehr zu überlasten“, ergänzte Landrat Kneidinger. „Wir alle wünschen uns einen Alltag ohne Einschränk­ungen, doch die Situation erfordert leider konsequent­es Handeln.“

Wie konsequent diese Regelungen jedoch kontrollie­rt werden sollen, ist vielerorts in Bayern unklar. In Bezug auf die 15-Kilometer-Regelung kündigte Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) strenge Kontrollen und ein Bußgeld in Höhe von 500 Euro an. In Bezug auf die Sondersitu­ation in Passau sprach Polizeiobe­rkommissar Maximilian Bohms von Kontrollen „mit Fingerspit­zengefühl“. Man wolle eher das Gespräch mit den Bürgern suchen – denn vielen sei nicht bewusst, wo der Landkreis überhaupt anfange. Passaus Oberbürger­meister Jürgen Dupper appelliert­e: „Ich kann alle Beteiligte­n nur bitten, Augenmaß walten zu lassen. Keine Regelung hilft, wenn sie keine Akzeptanz bei den Betroffene­n findet.“

Für knapp eine Woche galt die Sondersitu­ation in Passau. Am späten Freitagabe­nd konnten die Städter dann aufatmen. Der Landkreis gab bekannt, dass die Bürger der Stadt Passau ab Samstag wieder den Landkreis betreten dürfen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar auf der ersten Bayern-Seite.

Die Lage in den Kliniken ist angespannt

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