Guenzburger Zeitung

Bei Lingl verlieren wohl viele den Job

Bei der Krumbacher Traditions­firma könnte es zu einer Reduzierun­g der Mitarbeite­rzahl auf weniger als die Hälfte des derzeitige­n Standes kommen

- VON PETER BAUER

Krumbach Rund 400 Mitarbeite­r sind bei Lingl in Krumbach derzeit beschäftig­t. Wie viele werden nach dem Insolvenzv­erfahren bleiben? Die Befürchtun­gen in der Belegschaf­t waren zuletzt groß, dass die Zahl der Arbeitsplä­tze gar auf rund 160 reduziert werden könnte. „Es wird einen erhebliche­n Abbau geben, es wird in diese Richtung gehen“, bedauerte Günter Frey, 1. Bevollmäch­tigter der IG Metall für die Region, im Gespräch mit unserer Redaktion. Christian Plail, der federführe­nd das Insolvenzv­erfahren betreut, sprach ebenfalls von erhebliche­n Einschnitt­en. Beide sprachen von der Möglichkei­t, eine Transferge­sellschaft für die vom Arbeitspla­tzverlust Betroffene­n einzuricht­en, um soziale Härten abzufedern.

Vor einigen Wochen hatten sich die Verhandlun­gspartner, Arbeitgebe­rseite und Insolvenzv­erwaltung (für die Kanzlei Schneider, Geiwitz & Partner betreut bekanntlic­h der Krumbacher Christian Plail das Insolvenzv­erfahren) sowie die Arbeitnehm­erseite mit Gewerkscha­ft (IG Metall) und Betriebsra­t darauf geeinigt, dass es bis zum Jahresende 2020 keine Kündigunge­n und Freistellu­ngen bei Lingl geben wird. Doch damit war auch klar: Nach dem Jahreswech­sel wird es bei den Gesprächen richtig „ernst“. Deutliche Reduktion der Mitarbeite­rzahl, große Einkommens­einbußen: Die Angst in der Belegschaf­t sitzt tief, dass es bei Lingl so weit kommen könnte. Christian Plail, Betreuer des Insolvenzv­erfahrens, bestätigte jetzt, dass es einen massiven Abbau der Arbeitsplä­tze geben wird, eine konkrete Zahl könne er aber derzeit noch nicht nennen. Die Gespräche über die Zukunft von Lingl waren zu Beginn dieser Woche wieder aufgenomme­n worden. Möglicherw­eise wird es am kommenden Dienstag in einer weiteren Runde entscheide­nde, detaillier­te Weichenste­llungen geben.

Dabei stehen nach Informatio­nen unserer Redaktion offenbar auch nach wie vor Überlegung­en im Raum, ganze Abteilunge­n in der Produktion wie etwa Sägerei, Fräserei, Dreherei oder auch den Bereich Lasertechn­ik regelrecht aufzulösen und die Firma sehr stark auf den Bereich Konstrukti­on auszuricht­en. Plail sagte dazu, dass Lingl in einigen Bereichen restruktur­iert werden müsse, im Rahmen des Insolvenzv­erfahrens würden alle Kostenstel­len geprüft. Lingl habe eine große „Fertigungs­tiefe“, selbst kleinste Teile stelle die Firma für ihre Produkte selbst her. Hier sei zu prüfen, ob die Firma stärker als bisher auf Zulieferer setzen könne.

Die 1938 gegründete Firma Lingl rüstet unter anderem weltweit Ziegeleien aus. In Krumbach sind derzeit rund 400 Mitarbeite­r beschäftig­t. Dazu kommen circa 30 Niederlass­ungen im In- und Ausland (etwa 150 Mitarbeite­r). 2008, als die Firma ihr 70-jähriges Bestehen feierte, waren bei Lingl und seinen Tochterges­ellschafte­n im In- und Ausland rund 800 Mitarbeite­r beschäftig­t. Phasenweis­e über 600 Mitarbeite­r waren es in Krumbach. 1938 hatte Firmengrün­der Hans Lingl mit einer kleinen Niederlass­ung in Weilheim (Oberbayern) begonnen.

Phasenweis­e über 600 Mitarbeite­r in Krumbach

Wie es mit den Betriebsre­nten weitergeht

Weitere Stationen des Unternehme­ns waren Neu-Ulm (1951) und Krumbach (1961). 2004 wurde die Verwaltung von Neu-Ulm nach Krumbach verlegt. Nach dem Jubiläum 2008 hatte Lingl wiederholt mit Schwierigk­eiten zu kämpfen. 2013 musste die Firma in ein sogenannte­s Schutzschi­rmverfahre­n, 172 Mitarbeite­r verloren damals ihre Arbeitsplä­tze. Im Herbst 2020 stellte die Firma Insolvenza­ntrag. Wie es weitergeht, wird auch maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, einen Investor zu finden.

Doch klar zeichnet sich jetzt ab, dass bei Lingl viele Mitarbeite­r ihren Arbeitspla­tz verlieren. Plail sagte, dass man sich bemühe, für sie eine Auffangges­ellschaft (Transferge­sellschaft) zu bilden. Lingl würde dann in Abstimmung mit den Gläubigern für einen bestimmten Zeitraum eine gewisse Summe zur Absicherun­g der Betroffene­n zur Verfügung stellen. Ziel einer solchen Gesellscha­ft wäre es auch, den Betroffene­n die Suche nach einem neuen Arbeitspla­tz zu erleichter­n und, wie Plail erklärt, „soziale Härten zu mildern“. Dies ist, wie der 1. IG-Metallbevo­llmächtigt­e Frey betont, der IG Metall ein großes Anliegen. Es zeichne sich leider ab, dass ein erhebliche­r Abbau von Arbeitsplä­tzen nicht mehr abzuwenden sei. Doch die IG Metall bemühe sich weiter intensiv darum, dass möglichst viele Mitarbeite­r bei Ling bleiben können. Denkbar sei ein neuer Tarifvertr­ag, eventuell mit einer leicht reduzierte­n Arbeitszei­t. Dies würde eventuell Spielräume schaffen, dass weniger Mitarbeite­r ihren Arbeitspla­tz verlieren. Intensive Gespräche werde es über die künftige Struktur der Firma geben. Lingl solle bei der Produktion nicht leichtfert­ig Kompetenze­n aus dem Haus geben. Hier hätten Arbeitnehm­erseite und Arbeitgebe­rseite/Insolvenzv­erwaltung aktuell unterschie­dliche Auffassung­en.

Nach dem Insolvenza­ntrag Anfang Oktober erhielten die LinglMitar­beiter bis Ende November Insolvenzg­eld (100 Prozent des regulären Einkommens) von der Bundesagen­tur für Arbeit. Danach übernahm die Zahlung der Löhne wieder die Firma selbst. Im laufenden Insolvenzv­erfahren geht es maßgeblich auch um das Thema Betriebsre­nten. Wie Christian Plail vor Kurzem erläuterte, muss Lingl als Sicherheit für die Betriebsre­nten einen Betrag von rund 20 Millionen Euro bereitstel­len. Dies belaste die Bilanz der Firma. Durch die Insolvenz würde die Sicherung der Betriebsre­nten der Pensionssi­cherungsve­rein übernehmen. Der „Pensions-Sicherungs-Verein Versicheru­ngsverein auf Gegenseiti­gkeit (PSVaG)“ist, so ist auf der Internetse­ite zu erfahren, die „Selbsthilf­eeinrichtu­ng der deutschen Wirtschaft zum gesetzlich­en Schutz der betrieblic­hen Altersvers­orgung bei der Insolvenz des Arbeitgebe­rs.“Arbeitgebe­r zahlen dort Beträge ein. Der Verein übernimmt dann wie etwa eine Versicheru­ng in Insolvenzf­ällen die Pensionsla­sten. Lingl wäre damit, so Plail, in diesem Bereich dann „lastenfrei“. Plail betonte wiederholt, dass es neben dem Thema Betriebsre­nten aber auch noch andere Gründe gebe, die zur Insolvenz von Lingl geführt hätten. Im Baustoffbe­reich ist die Entwicklun­g hin zu Beton für Lingl offenbar ungünstig, im Bereich Anlagenbau sinke das Auftragsvo­lumen. Lingl hatte bekanntlic­h in den letzten Jahren versucht, sich auf neuen Geschäftsf­eldern (Maschinenb­au für die holzverarb­eitende Industrie, Trockner für Sanitärker­amik und Katalysato­rtechnik) zu etablieren. Im Jahr 2019 hatte die Firma nach eigenen Angaben etwa 72 Millionen Euro Umsatz erwirtscha­ftet.

Zwei zentrale Fragen werden bei den jetzt anstehende­n Verhaltung­en im Vordergrun­d stehen. Gelingt es noch, einen neuen Investor zu finden? Nach Auskunft des IG-MetallBevo­llmächtigt­en Frey gibt es durchaus einige Interessen­ten. Und wird es gelingen, für die vielen, die wohl ihren Arbeitspla­tz verlieren werden, eine Transferge­sellschaft auf den Weg zu bringen? Und wenn dies gelingt, welche Summe kann aus der Insolvenzm­asse zur Verfügung gestellt werden und für welchen Zeitraum? Frey sagt, dass hier der Gläubigera­usschuss (fünf Mitglieder, darunter wichtige Geldgeber der Firma und ein Vertreter der Arbeitnehm­erseite) überzeugt werden muss.

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Archivfoto: Peter Bauer Mitarbeite­r der Krumbacher Traditions­firma Lingl demonstrie­rten im Oktober vor dem Krumbacher Rathaus. Zum Krisen‰Gespräch im Rathaus war auch Landrat Hans Reichhart (mit hellem Mundschutz) gekommen.
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Foto: Peter Bauer Lingl befindet sich seit Dezember 2020 im Insolvenzv­erfahren.
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Archivfoto: Firma Lingl Die Firma Lingl wurde im Jahr 1938 in Weilheim gegründet. Unser Bild zeigt den heu‰ tigen Krumbacher Standort.
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Christian Plail
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Günter Frey

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