Guenzburger Zeitung

Torwart 1a

Andreas Wolff war Europameis­ter und ein Mann mit großer Zukunft im Handball. Dann fiel er in ein sportliche­s Loch – und versuchte sein Glück in Polen

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Der Manuel Neuer des Handballs ist er noch nicht – einen Platz unter den Besten der Welt aber hat Andreas Wolff sich spätestens mit seinen Paraden bei der Europameis­terschaft vor fünf Jahren erkämpft. Im Finale gegen Spanien hielt er damals unglaublic­he 48 Prozent der Bälle, sicherte dem krassen Außenseite­r Deutschlan­d den Titel und wurde zum stärksten Torhüter des Turniers gewählt. Eine große Sportlerka­rriere, so schien es, hatte da gerade begonnen.

Heute weiß Andreas Wolff, dass er danach vieles falsch gemacht hat. Den plötzliche­n Rummel um ihn, der ihm unter anderem den schrägen Titel „Bart des Jahres“einbrachte, genoss er in vollen Zügen, er strotzte nur so vor Selbstbewu­sstsein und entschied sich auch sportlich für die ganz große Lösung – den Wechsel aus der Handballpr­ovinz in Wetzlar zum Serienmeis­ter THW Kiel, dem Bayern München des Handballs. Am Dänen Niklas Landin aber kam er dort nicht vorbei, er versauerte auf der Bank und plagte sich plötzlich mit Selbstzwei­feln, dem vielleicht gefährlich­sten Gift im Spitzenspo­rt. „Ich fing an, mich selber kaputtzure­den“, erzählte Wolff, als er wieder weg war. „Bin ich langsamer als früher? Ist mein Stellungss­piel schlechter geworden?“

Heute spielt der 29-Jährige reaktionss­chnell wie eh und je wieder in der Provinz: im polnischen Kjelce, zwei Autostunde­n südlich von Warschau. Der Verein ist Stammgast in der Champions League, weil ein niederländ­ischer Geschäftsm­ann dort einen Kader mit internatio­naler Reputation zusammenge­kauft hat, und Wolff steht da, wo er immer stehen wollte: als unangefoch­tene Nummer eins im Tor. Dass Bundestrai­ner Alfred Gislason ihm zum Auftakt der Weltmeiste­rschaft am Freitag gegen den Handball-Exoten Uruguay eine kleine Pause verordnet hat, kann er verschmerz­en. Im deutschen Team ist die Hackordnun­g für das Turnier in der ägyptische­n Blase klar: Wolff ist die Nummer 1a, Joachim Bitter die 1b und Silvio Heinevette­r die 1c. Am Binnenklim­a im deutschen Handball allerdings muss 1a noch arbeiten. Mit seiner Attacke auf die daheimgebl­iebenen Nationalsp­ieler hat sich der alte Wolff wieder gezeigt, sensibel auf der einen Seite, aber auch bis zur Uneinsicht­igkeit undiplomat­isch. Dass seine früheren Kieler Mannschaft­skameraden Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Steffen Weinhold ihre Familien in der CoronaZeit nicht alleinlass­en wollen und ihre WM-Teilnahme abgesagt hatten, konnte oder wollte er nicht verstehen. „Ich bin kein Familienva­ter“, räumt er zwar ein. „Da kann ich mich nicht hineinvers­etzen, aber Familienvä­ter aus anderen Ländern nehmen auch teil.“

Nun allerdings zählt nur noch das Sportliche. Sollte es das deutsche Team ins Halbfinale schaffen, könnte Andreas Wolff dort auf einen alten Bekannten treffen – seinen alten Rivalen Landin, den Manuel Neuer des Handballs. Rudi Wais

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Foto: Witters

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