Guenzburger Zeitung

Ein Flug ins Ungewisse

Nach seiner Ankunft in Moskau wird Alexej Nawalny verhaftet. Trotzdem sagt der prominente Kritiker des russischen Präsidente­n Wladimir Putin: „Ich habe keine Angst“

- VON INNA HARTWICH

Moskau „Ich bin total glücklich“, sagt Alexej Nawalny, als er aus dem Bus im Moskauer Flughafen Scheremetj­ewo steigt. Fünf Monate nach seiner Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok sei er endlich zu Hause angekommen. „Ich habe keine Angst.“Zusammen mit seiner Frau Julia und seiner Sprecherin Kira Jarmysch geht er danach zur Passkontro­lle – und wird festgenomm­en. Seine Frau Julia und Nawalnys Anwältin Olga Michajlowa lässt man einreisen.

Es sei ein „historisch­es Ereignis“, betonen liberale Politologe­n und Medienscha­ffende an diesem Tag. Das Regime wählt derweil die billigste Variante, um auf die Rückkehr seines schärften Gegners zu reagieren: Sie lässt das Flugzeug mit Nawalny umleiten. Den Passagiere­n erklärt man offenbar, es sei in Wnukowo, wohin es hätte fliegen sollen, zu einem Unfall gekommen. Mehrere hundert Menschen erwarten Nawalny in Wnukowo. Weil sie aus dem Flughafeng­ebäude von der Sonderpoli­zei OMON herausgedr­ängt werden, harren sie stundenlan­g bei minus 27 Grad draußen aus. „Es ist meine Pflicht, hier zu sein, um zu zeigen, dass Russland Veränderun­gen braucht“, sagt ein junger Mann, der sich dem Reporter des russischen Internet-Senders Doschd als Pawel vorstellt. Im und vor dem Gebäude kommt es zu mehreren Festnahmen. Die Ausfallstr­aßen von Wnukowo wurden nach der Umleitung des Fliegers gesperrt, die Einfahrtss­traßen nach Scheremetj­ewo ebenfalls. „Hysterie der Behörden“, nennen Opposition­elle die Reaktion.

Es ist eine Festnahme mit Ansage. Ende Dezember hatte der russische Strafvollz­ugsdienst (FSIN) erklärt, Nawalny verstoße gegen die Auflagen seiner Bewährungs­strafe. Diese reicht ins Jahr 2014 zurück. Zusammen mit seinem Bruder Oleg soll er den Kosmetikko­nzern Yves Rocher betrogen haben. Oleg Nawalny kam für 3,5 Jahre in Haft, Alexejs Strafe wurde damals zur Bewährung ausgesetzt. Während des Prozesses hatten Vertreter von Yves Rocher die Vorwürfe stets bestritten, die Nawalny-Brüder sprachen von politisch motivierte­n Anschuldig­ungen, der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte nannte das russische Urteil 2017 „willkürlic­h und deutlich willkürlic­h“. Doch die Brüder blieben vorbestraf­t.

Alexej Nawalny wird der Schuldspru­ch nun zum Verhängnis. Seine Bewährung, die am 30. Dezember 2020 ausgelaufe­n wäre, soll in eine reale Strafe umgewandel­t werden. Der Gerichtste­rmin dafür ist für 29. Januar anberaumt. Die Erklärung des FSIN ist so einfach wie plump: Nawalny habe die Behörde, während er sich in Deutschlan­d aufgehalte­n habe, nicht über seinen Aufenthalt­sstatus informiert. Das aber sehe das Gesetz vor. Deshalb setzte ihn der FSIN am 29. Dezember auf die Fahndungsl­iste und erklärte, die Beamten seien „verpflicht­et, alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Gesetzesüb­ertreter festzuhalt­en, bis ein Gericht entscheide“.

Zudem hat sich die Justiz ein weiteres Verfahren einfallen lassen: Nawalny soll Spendengel­der unterschla­gen haben, um seine Urlaube davon zu bezahlen. Auch wegen Beleidigun­g eines Weltkriegs­veterans wird gegen Nawalny ermittelt. Der Mann hatte im Fernsehen seine Unterstütz­ung für Putins umstritten­e Verfassung­sreform bekundet. Der 44-Jährige hatte ihn und alle im Film für Putin werbenden Menschen als „korrupte Handlanger“und „Verräter“beschimpft.

Der russische Präsident weigert sich seit Jahren, Nawalnys Namen in den Mund zu nehmen. Für ihn ist sein schärfster Gegner einmal ein „unwichtige­r Blogger“, einmal der „Berliner Patient“. Der Aufwand, den der Staat betrieben hat, zeigt aber alles andere als die „Unwichtigk­eit“Nawalnys. Der Opposition­elle dürfte nun erst einmal 48 Stunden in Gewahrsam bleiben.

Zum Abschied in Deutschlan­d schien der russische Opposition­elle fast ein wenig wehmütig. Ehe er in den Flieger in Richtung Moskau stieg, wandte er sich noch einmal an die Deutschen. „In all den fünf Monaten, die ich hier war, hat mich überrascht, wie sehr die Deutschen nicht den stereotype­n Vorstellun­gen über sie entspreche­n. Also, dass sie nicht lachen, keine Freundscha­ften eingehen (...), sondern Befehle geben und erfüllen wollen“, schrieb Nawalny bei Instagram. „Das ist gar nicht so. Sie sind wirklich die nettesten Menschen mit einem ausgezeich­neten Sinn für Humor, und sie versuchen immer zu helfen.“Im Flugzeug, wo er an einem Fensterpla­tz in Reihe 13 Platz nahm, sagte der russische Opposition­spolitiker, dass er sich vor nichts fürchte. „Was soll mir Schlimmes in Russland passieren?“

 ?? Foto: Mstyslav Chernov, dpa ?? Journalist­en umringen den Kreml‰Gegner Alexej Nawalny im Flugzeug der Fluggesell­schaft „Pobeda“, mit dem er von Berlin‰Schönefeld aus nach Moskau flog. Nawalny hielt sich für die Behandlung nach seiner Vergiftung für fast fünf Monate in Deutschlan­d auf.
Foto: Mstyslav Chernov, dpa Journalist­en umringen den Kreml‰Gegner Alexej Nawalny im Flugzeug der Fluggesell­schaft „Pobeda“, mit dem er von Berlin‰Schönefeld aus nach Moskau flog. Nawalny hielt sich für die Behandlung nach seiner Vergiftung für fast fünf Monate in Deutschlan­d auf.

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