Guenzburger Zeitung

Ein Rabbiner für die Polizei

Bislang gab es solche Ämter nur in Israel und den USA, nun startet ein erster Pilotversu­ch in Deutschlan­d. Der Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik übernimmt die Aufgabe. Was er erreichen will

- VON SEBASTIAN MAYR

Ulm Shneur Trebnik hat keine Uniform bekommen und auch keinen Dienstausw­eis. „Ich glaube, mein Bart ist meine Marke“, sagt er und lacht leise. Trebnik, 45 Jahre alt, ist seit Anfang des Jahres Polizeirab­biner für Württember­g. Eine Aufgabe, die vor ihm noch überhaupt niemand übernommen hat.

Polizeirab­biner gab es bislang nur in Israel und in den USA, nun hat das Land Baden-Württember­g dieses Amt auf Anregung des Beauftragt­en der Landesregi­erung gegen Antisemiti­smus, Michael Blume, neu eingeführt. Rabbiner Moshe Flomenmann aus Lörrach ist für Baden zuständig, der Ulmer Shneur Trebnik kümmert sich um den württember­gischen Landesteil. Der 45-Jährige, der acht Kinder hat und mit seiner Familie in Ulm lebt, pflegte schon vor der jüngsten Berufung enge Kontakte zur Polizei.

Er habe bereits sehr viele Gespräche geführt, berichtet Trebnik. Ab Anfang März steht die erste konkrete Aufgabe an: Dann beginnt die Ausbildung neuer Polizeibea­mter, die beiden Rabbiner wollen sich einbringen. „Extremismu­s, Diskrimini­erung und Antisemiti­smus dürfen

Er ist es gewohnt, etwas Neues aufzubauen

in unserer Gesellscha­ft keinen Nährboden finden“, hatte BadenWürtt­embergs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) anlässlich der Berufung der Polizeirab­biner betont. Doch nur um den Kampf gegen Antisemiti­smus und um Sicherheit­sfragen soll es nicht gehen, sagt Shneur Trebnik. „Am allerwicht­igsten ist, dass Polizistin­nen und Polizisten ein Stück mehr Wissen über jüdisches Leben bekommen“, findet er. „Jüdisches Leben gibt es seit 1700 Jahren in Deutschlan­d, das Judentum seit 4000 Jahren.“In der Polizeiaus­bildung sei das bislang zumindest kaum beleuchtet worden: „Manche Gruppen haben auf eigene Initiative Synagogen in Baden-Württember­g besucht, andere gar nicht.“

Das Projekt ist fürs Erste auf zwei Jahre angelegt. Nicht, weil es Zweifel daran gibt. Sondern, weil sich vieles erst einspielen und herausstel­len soll. Zum Beispiel, wie viel Aufwand das Amt mit sich bringt. Genügen zwei Polizeirab­biner? Können sie ihre bisherige Aufgabe als Ortsrabbin­er parallel stemmen? Shneur Trebnik will keine zu großen Erwartunge­n wecken. „Es ist

Pilotproje­kt, da dauert alles immer ein Stück länger“, sagt er. Auch als Vorbild versteht er sich nicht, das könne man erst hinterher sagen: „Ich hoffe sehr, dass ich ein gutes Vorbild sein werde. Aber man kann auch Fehler machen und eine Vorbildfun­ktion haben, wenn andere dann aus diesen Fehlern lernen.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Shneur Trebnik etwas Neues aufbaut. Vor fast 21 Jahren kam der ausgebilde­te Sanitäter, der vor seiner Berufung als Rabbiner unter anderem als Lehrer für Mathematik gearbeitet hat, aus dem israelisch­en Dorf Kfar Chabad bei Tel Aviv nach Ulm. Auch damals hatte er einen Vertrag für zwei Jahre, mit sechs Monaten Probezeit. Trebnik sollte die von den Nazis vernichtet­e jüdische Gemeinde in Ulm wieder aufbauen. Das glückte. Aus anfangs 89 Gläubigen wurden rund 500, die Neue Synagoge im Weinhof wurde errichtet. Shneur Trebnik, der der orthodoxen Gruppierun­g Chabad Lubawitsch angehört, ist in der Stadt ein bekannter Mann.

Der 45-Jährige ist der dienstälte­ste Rabbiner in Baden-Württember­g, auch deswegen hat ihn die Israelitis­che Religionsg­emeinschaf­t Württember­g als Polizeirab­biner vorgeschla­gen. Schon allein wegen der vielen Sicherheit­sfragen habe er seit langem viele und enge Kontakte zur Polizei, berichtet der Ulmer. Im Anschluss an den Tag gegen Antisemiti­smus in Stuttgart im Oktober 2019 begleitete Trebnik eine Gruppe von Polizeibea­mten auf eine viertägige Bildungsre­ise nach Israel. „Wir waren in der Holocaust-Geein denkstätte Yad Vashem, aber auch in der Altstadt von Jerusalem und in der modernen Stadt Tel Aviv“, erinnert er sich. Die Kontakte sind geblieben. Jetzt werden aus informelle­n und persönlich­en Beziehunge­n offizielle. „Es ist ein großer Vorteil, Teil des Systems zu sein“, glaubt Trebnik.

Der neue Polizeirab­biner will bei den Beamten mehr Verständni­s für das Judentum schaffen und hofft, auch Vorurteile ausräumen zu können. „Auch die Polizei ist Teil der Gesellscha­ft, auch dort gibt es Menschen mit Vorbehalte­n“, sagt er. Trebnik könnte auch Seelsorger für jüdische und nicht jüdische Beamte sein. Aber: „Dafür bracht es Vertrauen und jeder Mensch hat seine Vertrauens­person. Das ändert sich nicht einfach in ein paar Wochen.“

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Shneur Trebnik vor der Neuen Synagoge in Ulm. Der 45‰Jährige ist seit bald 21 Jahren Ortsrabbin­er in Ulm, nun wurde er zusätz‰ lich zum Polizeirab­biner für Württember­g berufen.
Foto: Alexander Kaya Shneur Trebnik vor der Neuen Synagoge in Ulm. Der 45‰Jährige ist seit bald 21 Jahren Ortsrabbin­er in Ulm, nun wurde er zusätz‰ lich zum Polizeirab­biner für Württember­g berufen.

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