Guenzburger Zeitung

Männer und alle anderen

Der Duden führt künftig tausende zusätzlich­e Einträge, die rein weiblich sind. Was sind die Folgen für das Deutsche? Und ist das überhaupt der Weisheit letzter Schluss zum Thema Geschlecht­ergerechti­gkeit?

- VON STEFAN DOSCH

Der Duden ist nicht irgendwer. Wer wie der gleichnami­ge Verlag seine wirkmächti­gste Veröffentl­ichung, den knallgelbe­n Klassiker „Die deutsche Rechtschre­ibung“, als „Standardwe­rk auf der Grundlage der amtlichen Regeln“bezeichnet, der weiß, dass er etwas zu sagen hat zur deutschen Sprache. Entspreche­nd Aufmerksam­keit ist dem Duden zuteilgewo­rden, als in der ersten Januarwoch­e die Absicht der Redaktion bekannt wurde, in die Online-Ausgabe des Wörterbuch­s nach und nach 12000 neue Begriffe mitsamt Bedeutungs­erläuterun­g einzufügen – und zwar ausschließ­lich weibliche Berufs- und Personenna­men.

Neben dem „Arzt“hat bereits die „Ärztin“ihren eigenen Eintrag erhalten. Mit praktische­n Vorteilen bei der Online-Handhabung begründet der Duden sein Vorgehen, sagt aber auch, dass man Frauen mehr Sichtbarke­it geben wolle. Bisher verwies das Stichwort „Ärztin“als weibliche Form auf den Eintrag „Arzt“.

Sprache ist ein empfindlic­hes Gut, wo in sie eingegriff­en wird, gehen schnell die Wogen hoch, unvergesse­n die heftigen Debatten um die Rechtschre­ibreform. So war es nicht überrasche­nd, dass die Ankündigun­g der Online-Überarbeit­ung des Duden auch ablehnende Reaktionen sich zog. Doch ob nun Zustimmung oder Kritik zur Duden-Reform, im Kern geht es dabei um die Frage, ob in der Sprache Geschlecht­ergerechti­gkeit ihren Ausdruck finden müsse und wie das zustande gebracht werden solle. Es geht, neudeutsch gesprochen, um genderkonf­ormes Deutsch.

Im aktuellen Fall der DudenÜbera­rbeitung entzündet sich die Debatte vor allem am sogenannte­n generische­n Maskulinum. Darunter versteht sich die männliche Form eines Worts, die jedoch alle Geschlecht­er mit einschließ­t. Der Satz „In der Schule gibt es 20 Lehrer“trifft nach gängigem Sprachgebr­auch keine Unterschei­dung zwischen männlichen und weiblichen Lehrern, das Wort Lehrer ist hier geschlecht­sneutral, eben als generische­s Maskulinum gebraucht. Durch die Einschränk­ung grammatisc­h maskuliner Wörter auf die Bedeutung „männlich“, wie sie der Online-Duden nun vornimmt, werde das generische Maskulinum jedoch zum Verschwind­en gebracht, lautet die Kritik nicht weniger Sprachwiss­enschaftle­r.

Wenn die Bedeutung maskuliner Wörter im übergreife­nden Sinne von „alle“im Duden keinen Niederschl­ag mehr findet, könnte das bei Menschen, die die deutsche Sprache lernen, tatsächlic­h zu Problemen führen. Denn auch wenn der Duden durch die eigene Ausweisung rein weiblicher Wortformen und ihrer Bedeutung das generische Maskulinum nicht mehr führt, heißt das noch lange nicht, dass der breite Sprachgebr­auch sofort Folge leistet. Das generische Maskulinum, steht zu vermuten, wird vielmehr weiter in Gebrauch sein, was bei Sprachneul­ingen, die dem „Lehrer“in seiner „alle“umfassende­n Bedeutung begegnen, diese aber nicht mehr im Duden„Standardwe­rk“vorfinden, für Verwirrung sorgen dürfte.

Die Abschaffun­g des generische­n Maskulinum­s ist seit langem ein Anliegen der feministis­ch orientiert­en Sprachwiss­enschaft, unter anderem hat sich die Linguistin Luise F. Pusch dafür starkgemac­ht. Sätze wie der genannte („In der Schule gibt es 20 Lehrer“) sind dieser Strömung ein Dorn im Auge, sobald unter den 20 nicht nur Lehrer, sondern auch Lehrerinne­n zu finden sind.

Nun ist der Sprachbenu­tzer mit der strikt getrennten Aufführung von Männern und Frauen freilich nicht gegen alle Eventualit­äten gewappnet. Im oben aufgeführt­en Beispiel lässt sich das generische Maskulinum zwar problemlos durch „Lehrerinne­n und Lehrer“ersetzen, nicht aber in einer Konstrukti­nach on wie „Nur drei der 20 Lehrerinne­n und Lehrer sind Männer“– eine valentines­ke Wortfolge, die bei Verwendung des generische­n Maskulinum­s nicht zustande gekommen wäre. Sprachwiss­enschaftle­r wie Peter Eisenberg plädieren denn auch dafür, in grammatika­lisch männlichen Begriffen nicht nur deren maskuline, sondern eben auch ihre zweite, „alle“Geschlecht­er umfassende Bedeutung zu sehen.

Wenn der Online-Duden nun neben dem Arzt die Ärztin als eigenen Begriff führt, so bringt das fraglos eine größere „Sichtbarke­it“weiblicher Personen- und Berufsbeze­ichnungen mit sich. Weiter aber reicht die Neuerung nicht – und trifft damit einen empfindlic­hen Punkt der Bemühungen um genderkonf­orme Sprache. Wie steht es nämlich um jene, die nicht unter die binäre Geschlecht­saufteilun­g männlich/weiblich fallen, Menschen, die das amtliche Personenst­andswesen als „divers“führt? Arzt oder Lehrer, als generische­s Maskulinum verstanden, wird auch Transgende­r-Personen gerecht, nicht aber die Zweiteilun­g in Arzt/Ärztin und Lehrer/ Lehrerin.

Eingefleis­chte Verfechter genderkonf­ormer Sprache sind hier freilich schon weiter als der Duden. Seit Jahren propagiere­n sie eine Lösung, die inzwischen bereits in manchen öffentlich­en Institutio­nen und Medien ihren Einzug gehalten hat: das Genderster­nchen, das die Gemeinscha­ft der Lehrer (generisch maskulin verstanden) zu Lehrer*innen zusammenfa­sst. Aber auch wenn das Sternchen inzwischen schon aus manch hochoffizi­ellem Schriftver­kehr herausblin­zelt, ist die Kritik an ihm nicht zum Erliegen gekommen. Sie reicht von der Lesbarkeit besternter Sätze („Was hat ein*e Lehrer*in zu tun?“ist für empfindsam­e Sprachgemü­ter die reine Holperstre­cke) über die Schluckauf-Anmutung beim Sprechen (wenn das Sternchen, wie bei Radio- oder TV-Moderation­en schon zu hören, zur Minipause mutiert) bis hin zu grammatika­lischen Problemen wie dem, auf welche Weise etwa mit zusammenge­setzten Wörtern zu verfahren sei – Lehrer*innenzimme­r jedenfalls hat das Zeug zum Wortungetü­m. Die Gesellscha­ft für deutsche Sprache – auch sie eine in Sprachbela­ngen einflussre­iche Organisati­on – hat sich denn auch klar gegen die Verwendung des Genderster­ns ausgesproc­hen: Es sei schlichtwe­g nicht mit der deutschen Grammatik und den Regeln der Rechtschre­ibung vereinbar.

Bestrebung­en, das Deutsche genderkonf­orm umzugestal­ten, wird das aber nicht aufhalten. Und den Duden, in dessen Verlag sich mehrere Publikatio­nen zum Thema Sprache und Gendern finden, wohl schon gar nicht.

Wo finden sich „diverse“Menschen wieder?

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Foto: Picture alliance Der Duden will seine Online‰Ausgabe um 12000 Einträge mit ausschließ­lich weiblichen Personen‰ und Berufsbeze­ichnungen ergänzen.

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