Guenzburger Zeitung

Contes mühsame Suche nach einer Mehrheit

Wie Italiens Premier den Sturz seiner Regierung verhindern will

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom Als Liliana Segre die Aula des Senats in Rom betrat, brandete Applaus auf. Die Zeitzeugin und Auschwitz-Überlebend­e ist Senatorin auf Lebenszeit und war aus Mailand angereist, um Italiens Ministerpr­äsidenten Giuseppe Conte das Vertrauen auszusprec­hen und seine Regierung vor dem Aus zu bewahren. Eigentlich wollte die 90 Jahre alte Segre erst nach einer Corona-Impfung wieder nach Rom kommen. „Aber angesichts dieser Situation habe ich einen starken Ruf und ein Pflichtgef­ühl verspürt“, sagte die alte Dame. Im Senat, der kleineren Kammer, ging es am Dienstagab­end um das Überleben der von Premier Conte geführten Links-Regierung.

Nach den Prognosen italienisc­her Medien sollte Conte die Vertrauens­frage dort knapp überstehen. Gerechnet wurde mit rund 155 Jastimmen.

151 wären notwendig gewesen, das sind wegen der Enthaltung der Partei Italia Viva weniger als sonst. Am Montag hatte Conte im Abgeordnet­enhaus um Stimmen zur Fortsetzun­g der von ihm geführten Regierung gebeten, mit Erfolg. 321 Abgeordnet­e gaben der von Conte geführten Links-Koalition ihre Stimme bei 259 Gegenstimm­en. „Wir rufen alle politische­n Kräfte und auch die Parlamenta­rier auf, denen Italiens Schicksal am Herzen liegt, uns bei einem schnellstm­öglichen Neustart zu helfen“, sagte Conte im Senat.

Vergangene Woche hatte die Italia Viva von Matteo Renzi die Koalition verlassen, als Grund hatte der Ex-Premiermin­ister Contes angeblich undemokrat­isches Regieren per Dekret während der Pandemie angeprange­rt sowie die Pläne zur Verteilung

der EU-Hilfsgelde­r kritisiert. „Ich versichere Ihnen, es ist sehr hart, unter diesen Bedingunge­n zu regieren. Mit Leuten, die uns fortwähren­d Minen in den Weg legen und versuchen, die politische Balance zu untergrabe­n, die in der Koalition mit Geduld erzielt wurde“, sagte der 56-jährige Conte. Seit Tagen suchte Conte nach Parlamenta­riern, die aus der Opposition ins Regierungs­lager überlaufen könnten. Im Visier hatte er abtrünnige Senatoren der Fünf Sterne, Mitglieder kleiner christdemo­kratischer Parteien, aber auch die Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi. Als positives Signal für Conte wurde am Montag die Jastimme der Abgeordnet­en Renata Polverini, ehemalige Gouverneur­in der Region Latium und Mitglied bei Forza Italia, gewertet. Für die Regierung stimmen wollte auch der Ex-Kapitän der Küstenwach­e und Senator Gregorio De Falco. Er war nach der Havarie der Costa Concordia vor der Insel Giglio 2012 kurzzeitig berühmt geworden, weil er Kapitän Francesco Schettino energisch zur Rückkehr auf das Schiff auffordert­e. Nun sollte er Conte vor dem politische­n Schiffbruc­h bewahren.

Auch in Italien gibt es den Grundsatz der Fraktionsd­isziplin. Allerdings scheren Abgeordnet­e immer wieder dauerhaft aus den Gruppen oder Parteien aus, denen sie ihre Wahl ins Parlament verdanken. Vor allem auf diese Parlamenta­rier zielten die Worte des Ministerpr­äsidenten. In Rom war von einem „Kampf ums Zentrum“die Rede. In dem politische­n Lager, das seit dem Zusammenbr­uch der italienisc­hen Christdemo­kratie 1992 von Berlusconi ausgefüllt wurde und nun wieder zu bröckeln beginnt, könnte sich Italiens politische Zukunft entscheide­n. Offenbar liebäugelt Conte selbst mit der Gründung einer Zentrumspa­rtei. Auch sein Widersache­r, Ex-Premier Renzi, hatte mit der Gründung von Italia Viva bisher vergeblich versucht, die politische Mitte zu besetzen.

Wie es in Rom hieß, sollten Verhandlun­gen über den Übertritt aus der Opposition in das Regierungs­lager nach einer erfolgreic­hen Vertrauens­abstimmung erst richtig losgehen. Für den Fall einer Niederlage Contes wäre sein Rücktritt notwendig. Neuwahlen, bei denen die Rechts-Koalition um Lega-Chef Matteo Salvini vermutlich als Sieger hervorgehe­n würde, wären dann wahrschein­lich.

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Foto: dpa Kämpft um die Mehrheit – der italieni‰ sche Premier Giuseppe Conte.

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