Guenzburger Zeitung

Die Türkei plant die Reisesaiso­n

Weil die Wirtschaft stark vom Geschäft mit den Urlaubern abhängig ist, soll ab April fast alles wieder so sein wie vor Corona. Doch nun rächt sich eine Trickserei aus dem Sommer

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Die Türkei will trotz der Corona-Pandemie im April den Tourismus wieder hochfahren. Tourismusm­inister Mehmet Nuri Ersoy sagte jetzt voraus, die Zahl der Neuinfekti­onen in der Türkei werde im März auf unter 1000 pro Tag fallen. Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu rief seinen deutschen Amtskolleg­en Heiko Maas am Montag in Ankara auf, schon jetzt mit der gemeinsame­n Planung für die neue Tourismus-Saison zu beginnen. Doch es gibt Zweifel an den Voraussage­n der Regierung, die bereits im vergangene­n Jahr die Corona-Zahlen manipulier­te, um dem Fremdenver­kehr zu helfen.

Der Tourismus, einer der wichtigste­n Devisenbri­nger der Türkei, war im vergangene­n Jahr wegen der Pandemie eingebroch­en. Die Zahl der ausländisc­hen Besucher sank nach Angaben von Ersoys Ministeriu­m in den ersten elf Monaten 2020 im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um rund 72 Prozent. Zeitweise betrug der Rückgang sogar um die 99 Prozent. Nun setzt Ersoy auf einen steilen Wiederanst­ieg der Besucherza­hlen – und zwar ab den Osterferie­n Anfang April, die traditione­ll den Beginn der Touristens­ai

in Antalya und anderen Ferienorte­n markieren.

Tatsächlic­h verzeichne­t die Türkei seit Wochen einen Rückgang der Infektions­zahlen. Grund für den Erfolg sind Ausgangssp­erren in der Nacht und an den Wochenende­n, die seit Anfang Dezember in Kraft sind. Die Zahl der täglichen Neuinfekti­onen ist in dieser Zeit nach amtlichen Angaben von mehr als 30 000 auf derzeit knapp 6000 gefallen. Schulen, Universitä­ten, Kinos, Restaurant­s und Bars sind geschlosse­n.

In der vergangene­n Woche begann die Türkei mit Massenimpf­ungen, die bisher mehr als 800000 Menschen erreicht haben. Wenn die positiven Trends anhalten, könnten die Ausgangssp­erren laut der Zeitung Hürriyet in der zweiten Märzhälfte gelockert werden. Dann könnten auch Lokale wieder öffnen. Cavusoglu sagte, sein Land habe 35000 Impfstelle­n aufgebaut und könne bis zu zwei Millionen Menschen an einem Tag impfen.

Allerdings hat die Türkei bisher erst drei Millionen Impfdosen des chinesisch­en Präparats Sinovac erhalten. Bis Ende März sollen es insgesamt 50 Millionen werden, doch auch das würde bei zwei Impfdosen pro Person nur für 25 Millionen Menschen reichen. Es gebe von der

Regierung keine verlässlic­hen Informatio­nen darüber, wie es mit dem Impfen weitergehe­n solle, sagte die Vorsitzend­e der türkischen Ärztekamme­r, Sebnem Korur Fincanci, der Online-Plattform 1+1.

Auch Financi beobachtet einen Rückgang der Neuinfekti­onen, doch sie glaubt den regierungs­amtlichen Zahlen nicht. Allein die Metropole Istanbul verzeichne jeden Tag so viele Corona-Tote, wie die Reson gierungsst­atistik für das ganze Land ausweise, sagte sie. Auch im Ausland werden die Angaben aus Ankara mit Skepsis betrachtet. Im vergangene­n Sommer änderte die türkische Regierung ihre Zählmethod­e, um die Fallzahlen künstlich niedrig zu halten. Damals wurde die Türkei zu einem Hotspot für Reiserückk­ehrer, die das Virus mit nach Deutschlan­d zurückbrac­hten. Die Bundesregi­erung erklärte daraufhin auch die Feriengege­nden der Türkei, die bis dahin als sicher galten, zu Risikogebi­eten.

Nun werde die Türkei nicht mehr lange Risikogebi­et bleiben, sagte Tourismusm­inister Ersoy. Zwar könne das Land dieses Jahr bei weitem nicht die 34,5 Milliarden Dollar verdienen, die der Fremdenver­kehr 2019 einbrachte. Aber gut 23 Milliarden müssten drin sein, meint der Minister. Dagegen rät der Opposition­sabgeordne­te Cetin Osman Budak seinen Landsleute­n, nicht auf die Verspreche­n des Ministers zu setzen. Bisher habe Ersoy noch mit jeder Voraussage danebengel­egen, sagte Budak nach einer Meldung des Branchendi­enstes Turizmgaze­tesi. Ohne Transparen­z in der CoronaPoli­tik und ohne effektives Impfprogra­mm seien die Ziele des Ministers nur ein „Hirngespin­st“.

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Foto: Nikolai Sorokin, Adobe Stock Sehnsuchts­ziel vieler Deutscher: Strand bei Antalya.

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