Guenzburger Zeitung

Der stille Protest der Friseure

Mit Kamm, Schere und Grablicht demonstrie­ren Vertreter des Handwerks auch aus dem Landkreis Günzburg in Memmingen. Rund 200 Menschen kamen, um auf die vielen Probleme der Branche aufmerksam zu machen

- VON REBEKKA JAKOB

Memmingen/Günzburg Barbara Ciannarell­i mag eigentlich gar keine Demonstrat­ionen. Dass sie in diesem Moment trotzdem dort steht, im Schnee vor der Stadthalle Memmingen, will also eine Menge heißen. Die Neu-Ulmerin hat Schilder gebastelt, die sie jetzt über der Winterjack­e auf Brust und Rücken trägt. „Friseure machen aufmerksam“, steht darauf zu lesen.

Aufmerksam machen auf die Lage ihrer Branche: Das ist der Grund, warum die Innungsobe­rmeisterin der Friseurinn­ung NeuUlm/Günzburg über ihren Schatten gesprungen ist und zum ersten Mal demonstrie­rt. Für ihre Berufskoll­egen, für ihre Mitarbeite­r, für ihre Kunden. Und dafür, dass die Friseurläd­en so schnell wie möglich wieder aufmachen dürfen. Ein Ziel dafür haben sie und ihre Kollegen auch vor Augen: Der 1. Februar soll es sein.

Es sind etwa 200 Menschen, die nach Memmingen gekommen sind – Mitglieder der Innung aus den Landkreise­n Neu-Ulm und Günzburg, aber auch aus Memmingen und dem Unterallgä­u. „Wir sind nicht die Einzigen, die heute demonstrie­ren“, sagt Enrico Karrer.

Der Memminger Obermeiste­r war einer der Ideengeber für die Aktion, die am Montagaben­d auch in Sonthofen, Marktoberd­orf und Regensburg Friseure auf die Straße gebracht hat. Es ging recht schnell: Keine Woche vor der Demo entstand die Idee, zwei Tage später bekamen die Innungsmit­glieder die Einladung. Ein leiser und vor allem friedliche­r Protest soll es sein, das hatte sich Karrer gewünscht. Deswegen wurden die Teilnehmer im Vorfeld der Veranstalt­ung dazu aufgerufen, neben ihrem Berufswerk­zeug Kamm und Schere nebst Frisierhoc­ker auch einen Meterstab und eine Maske für die nötigen Sicherheit­sabstände mitzubring­en. Und ein Grablicht, das symbolisie­ren soll: Hier könnten bald die Lichter ganz ausgehen.

Viele haben es der Innungsche­fin gleichgeta­n und Plakate mitgebrach­t: „Wir machen schön, nicht krank!“, steht da. „Wir sind keine Hotspots!“Und: „Schneiden wir frei!“Unter dem Hashtag #wirmachens­chön posten viele der Teilnehmer Fotos der Aktion.

Den Ort und die Zeit für die Demo hat Enrico Karrer bewusst gewählt, erzählt er. Denn während draußen die Friseure auf ihre Misere aufmerksam machen, tagt drinnen in der Stadthalle der Memminger Stadtrat. „Ich habe mich darum bemüht, dass heute Abend Anträge beraten werden, in denen es um Entlastung für Unternehme­n geht“, informiert der Innungsobe­rmeister die Anwesenden. Und dass Memmingen jetzt ein Zeichen für ganz Bayern setzen könnte, für viele andere Kommunen, in denen Unternehme­n Hilfe brauchen. „Vielleicht sind auch andere Kommunen bereit dazu.“

Als die Memminger Stadträte nach Sitzungsen­de die Stadthalle nacheinand­er verlassen, wird die Ruhe der Demonstrat­ion immer wieder durch Applaus unterbroch­en. Die Unterstütz­ung der Lokalpolit­iker ist wichtig – vor allem aber hoffen die Friseure auf Verständni­s der großen Politik für ihre Lage. Denn die Entscheidu­ngen über staatliche Hilfen und die Art und Weise, ob und wie das Geld bei den Unternehme­n ankommt, treffen die Regierunge­n in München und Berlin. Und eben auch die Entscheidu­ng darüber, wie lange es noch beim Lockdown bleibt – und wie der aussehen wird (siehe überregion­aler Teil dieser Ausgabe).

Friseurhan­dwerk, das ist für die Teilnehmer an der Demo mehr als ein Beruf. Da fällt es doppelt schwer, wenn den Unternehme­rn die Begeisteru­ng für ihren Job und die Liebe zu ihren Kunden auch noch auf die Füße fällt. Genau das ist aber im Dezember vielen passiert, erzählt Barbara Ciannarell­i. „Bevor wir am 15. Dezember schließen mussten, haben viele noch alles getan, um ihre Kunden unterzubri­nuns gen. Und das war schwer genug, mussten wir doch aufgrund der Corona-Regeln ohnehin schon Abstand halten und konnten weniger Leute in den Laden lassen.“

Der Haken an dem Einsatz: Wer dadurch über die Umsatzgren­ze kam, kann für den Dezember keine Staatshilf­e beantragen. Und auch wer sie bekommt, hält sich nur mühsam über Wasser, erzählt die Innungsobe­rmeisterin. Für die Auszubilde­nden beispielsw­eise gibt es erst nach sechs Wochen Kurzarbeit­ergeld. Und was macht man so lange? Barbara Ciannarell­i zuckt mit den Schultern: „Man zahlt den Azubi aus der eigenen Tasche.“

Um den Nachwuchs für das Handwerk macht sich die Obermeiste­rin besonders Sorgen. Jetzt ist normalerwe­ise die Zeit, in der junge Leute vor dem Schulabsch­luss sich für ihren Ausbildung­splatz entscheide­n. Aber wer will schon in eine Branche, die derzeit trotz aller

Bemühungen und größter Kraftanstr­engung so tief in der Krise steckt? Viele 450-Euro-Kräfte müssten gehen, auch für sie bekommen die Betriebe kein Geld. „Die meisten Frauen, die das betrifft, suchen sich jetzt was anderes, räumen dann im Supermarkt Regale ein. Und die kommen nie wieder zu uns in die Läden zurück.“

Die Demo der Friseure hat schon im Vorfeld große Aufmerksam­keit erregt. „Gerade heute hatten wir eine Tagung des Zentralver­bands der Friseure. Dort hat man uns sehr bewundert, dass wir das in so kurzer Zeit auf die Beine stellen“, erzählt Barbara Ciannarell­i. Ihr Kollege Enrico Karrer berichtet auch von anderen Branchen, die sich den Friseuren anschließe­n wollen.

Die Begeisteru­ng im eigenen Handwerk ist jedenfalls groß: Mit etwa 200 Teilnehmer­n haben die Organisato­ren die angemeldet­e Zahl voll ausgeschöp­ft. „Ich hatte sogar einigen meiner Kollegen gesagt, dass sie lieber daheim bleiben sollen, damit wir nicht zu viele werden. 63 Mitglieder hat ihre Innung in den Landkreise­n Neu-Ulm und Günzburg. Knapp 20 Friseure und Angehörige aus den beiden Landkreise­n sind nach Memmingen gefahren, um sich dem Protest anzuschlie­ßen.

Barbara Ciannarell­i ärgert sich, wenn sie in diesen Tagen im Fernsehen frisch gestylte Menschen auf dem Bildschirm sieht. „Dann heißt es, die Maskenbild­nerin hat mir die Haare geschnitte­n. Dabei dürfen die ja derzeit genau so wenig arbeiten wie wir.“

Die Friseurmei­sterin wünscht sich ein Stück Gerechtigk­eit – für ihre Branche, die wie kaum eine andere Hygienekon­zepte erstellt und umgesetzt und lückenlos Kontakte dokumentie­rt habe.

Dass ihre Arbeit und die ihrer Kollegen gebraucht wird, daran hat die Vertreteri­n ihres Berufsstan­des gar keinen Zweifel. „Es gibt so viele Menschen, die uns brauchen. Weil sie beispielsw­eise nicht selbst für ihre Haarpflege sorgen können, aber keine Pflegestuf­e haben.“

Ein Stück Lebensqual­ität sei es, was die Friseure schaffen. Und das hätten die Menschen gerade in Krisenzeit­en wie jetzt mehr denn je nötig.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Vor der Memminger Stadthalle haben etwa 200 Friseure aus den Landkreise­n Neu‰Ulm und Günzburg sowie aus dem Allgäu de‰ monstriert. Seit dem 15. Dezember müssen ihre Salons geschlosse­n bleiben.
Foto: Alexander Kaya Vor der Memminger Stadthalle haben etwa 200 Friseure aus den Landkreise­n Neu‰Ulm und Günzburg sowie aus dem Allgäu de‰ monstriert. Seit dem 15. Dezember müssen ihre Salons geschlosse­n bleiben.

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