Der stille Protest der Friseure
Mit Kamm, Schere und Grablicht demonstrieren Vertreter des Handwerks auch aus dem Landkreis Günzburg in Memmingen. Rund 200 Menschen kamen, um auf die vielen Probleme der Branche aufmerksam zu machen
Memmingen/Günzburg Barbara Ciannarelli mag eigentlich gar keine Demonstrationen. Dass sie in diesem Moment trotzdem dort steht, im Schnee vor der Stadthalle Memmingen, will also eine Menge heißen. Die Neu-Ulmerin hat Schilder gebastelt, die sie jetzt über der Winterjacke auf Brust und Rücken trägt. „Friseure machen aufmerksam“, steht darauf zu lesen.
Aufmerksam machen auf die Lage ihrer Branche: Das ist der Grund, warum die Innungsobermeisterin der Friseurinnung NeuUlm/Günzburg über ihren Schatten gesprungen ist und zum ersten Mal demonstriert. Für ihre Berufskollegen, für ihre Mitarbeiter, für ihre Kunden. Und dafür, dass die Friseurläden so schnell wie möglich wieder aufmachen dürfen. Ein Ziel dafür haben sie und ihre Kollegen auch vor Augen: Der 1. Februar soll es sein.
Es sind etwa 200 Menschen, die nach Memmingen gekommen sind – Mitglieder der Innung aus den Landkreisen Neu-Ulm und Günzburg, aber auch aus Memmingen und dem Unterallgäu. „Wir sind nicht die Einzigen, die heute demonstrieren“, sagt Enrico Karrer.
Der Memminger Obermeister war einer der Ideengeber für die Aktion, die am Montagabend auch in Sonthofen, Marktoberdorf und Regensburg Friseure auf die Straße gebracht hat. Es ging recht schnell: Keine Woche vor der Demo entstand die Idee, zwei Tage später bekamen die Innungsmitglieder die Einladung. Ein leiser und vor allem friedlicher Protest soll es sein, das hatte sich Karrer gewünscht. Deswegen wurden die Teilnehmer im Vorfeld der Veranstaltung dazu aufgerufen, neben ihrem Berufswerkzeug Kamm und Schere nebst Frisierhocker auch einen Meterstab und eine Maske für die nötigen Sicherheitsabstände mitzubringen. Und ein Grablicht, das symbolisieren soll: Hier könnten bald die Lichter ganz ausgehen.
Viele haben es der Innungschefin gleichgetan und Plakate mitgebracht: „Wir machen schön, nicht krank!“, steht da. „Wir sind keine Hotspots!“Und: „Schneiden wir frei!“Unter dem Hashtag #wirmachenschön posten viele der Teilnehmer Fotos der Aktion.
Den Ort und die Zeit für die Demo hat Enrico Karrer bewusst gewählt, erzählt er. Denn während draußen die Friseure auf ihre Misere aufmerksam machen, tagt drinnen in der Stadthalle der Memminger Stadtrat. „Ich habe mich darum bemüht, dass heute Abend Anträge beraten werden, in denen es um Entlastung für Unternehmen geht“, informiert der Innungsobermeister die Anwesenden. Und dass Memmingen jetzt ein Zeichen für ganz Bayern setzen könnte, für viele andere Kommunen, in denen Unternehmen Hilfe brauchen. „Vielleicht sind auch andere Kommunen bereit dazu.“
Als die Memminger Stadträte nach Sitzungsende die Stadthalle nacheinander verlassen, wird die Ruhe der Demonstration immer wieder durch Applaus unterbrochen. Die Unterstützung der Lokalpolitiker ist wichtig – vor allem aber hoffen die Friseure auf Verständnis der großen Politik für ihre Lage. Denn die Entscheidungen über staatliche Hilfen und die Art und Weise, ob und wie das Geld bei den Unternehmen ankommt, treffen die Regierungen in München und Berlin. Und eben auch die Entscheidung darüber, wie lange es noch beim Lockdown bleibt – und wie der aussehen wird (siehe überregionaler Teil dieser Ausgabe).
Friseurhandwerk, das ist für die Teilnehmer an der Demo mehr als ein Beruf. Da fällt es doppelt schwer, wenn den Unternehmern die Begeisterung für ihren Job und die Liebe zu ihren Kunden auch noch auf die Füße fällt. Genau das ist aber im Dezember vielen passiert, erzählt Barbara Ciannarelli. „Bevor wir am 15. Dezember schließen mussten, haben viele noch alles getan, um ihre Kunden unterzubrinuns gen. Und das war schwer genug, mussten wir doch aufgrund der Corona-Regeln ohnehin schon Abstand halten und konnten weniger Leute in den Laden lassen.“
Der Haken an dem Einsatz: Wer dadurch über die Umsatzgrenze kam, kann für den Dezember keine Staatshilfe beantragen. Und auch wer sie bekommt, hält sich nur mühsam über Wasser, erzählt die Innungsobermeisterin. Für die Auszubildenden beispielsweise gibt es erst nach sechs Wochen Kurzarbeitergeld. Und was macht man so lange? Barbara Ciannarelli zuckt mit den Schultern: „Man zahlt den Azubi aus der eigenen Tasche.“
Um den Nachwuchs für das Handwerk macht sich die Obermeisterin besonders Sorgen. Jetzt ist normalerweise die Zeit, in der junge Leute vor dem Schulabschluss sich für ihren Ausbildungsplatz entscheiden. Aber wer will schon in eine Branche, die derzeit trotz aller
Bemühungen und größter Kraftanstrengung so tief in der Krise steckt? Viele 450-Euro-Kräfte müssten gehen, auch für sie bekommen die Betriebe kein Geld. „Die meisten Frauen, die das betrifft, suchen sich jetzt was anderes, räumen dann im Supermarkt Regale ein. Und die kommen nie wieder zu uns in die Läden zurück.“
Die Demo der Friseure hat schon im Vorfeld große Aufmerksamkeit erregt. „Gerade heute hatten wir eine Tagung des Zentralverbands der Friseure. Dort hat man uns sehr bewundert, dass wir das in so kurzer Zeit auf die Beine stellen“, erzählt Barbara Ciannarelli. Ihr Kollege Enrico Karrer berichtet auch von anderen Branchen, die sich den Friseuren anschließen wollen.
Die Begeisterung im eigenen Handwerk ist jedenfalls groß: Mit etwa 200 Teilnehmern haben die Organisatoren die angemeldete Zahl voll ausgeschöpft. „Ich hatte sogar einigen meiner Kollegen gesagt, dass sie lieber daheim bleiben sollen, damit wir nicht zu viele werden. 63 Mitglieder hat ihre Innung in den Landkreisen Neu-Ulm und Günzburg. Knapp 20 Friseure und Angehörige aus den beiden Landkreisen sind nach Memmingen gefahren, um sich dem Protest anzuschließen.
Barbara Ciannarelli ärgert sich, wenn sie in diesen Tagen im Fernsehen frisch gestylte Menschen auf dem Bildschirm sieht. „Dann heißt es, die Maskenbildnerin hat mir die Haare geschnitten. Dabei dürfen die ja derzeit genau so wenig arbeiten wie wir.“
Die Friseurmeisterin wünscht sich ein Stück Gerechtigkeit – für ihre Branche, die wie kaum eine andere Hygienekonzepte erstellt und umgesetzt und lückenlos Kontakte dokumentiert habe.
Dass ihre Arbeit und die ihrer Kollegen gebraucht wird, daran hat die Vertreterin ihres Berufsstandes gar keinen Zweifel. „Es gibt so viele Menschen, die uns brauchen. Weil sie beispielsweise nicht selbst für ihre Haarpflege sorgen können, aber keine Pflegestufe haben.“
Ein Stück Lebensqualität sei es, was die Friseure schaffen. Und das hätten die Menschen gerade in Krisenzeiten wie jetzt mehr denn je nötig.