Guenzburger Zeitung

Steuerbera­ter schlagen Alarm: „Bei den Corona-Hilfen brennt die Hütte“

Der Augsburger Hartmut Schwab ist Präsident der Bundessteu­erberaterk­ammer und erklärt, warum es bei der Auszahlung der versproche­nen Staatshilf­en in der Pandemie hakt. Von großzügig und unbürokrat­isch könne keine Rede sein

- Interview: Michael Pohl

Bei Steuerbera­tern und den betroffene­n Unternehme­n ist der Frust über die Vergabe der Corona-Hilfen enorm: Nachdem die Regierung vollmundig schnelle und unbürokrat­ische Hilfen versproche­n hat, wurde rückwirken­d das Kleingedru­ckte verschärft, dass viele kein Geld oder deutlich weniger bekommen. Was ist schiefgela­ufen? Hartmut Schwab: Wir müssen aufpassen, dass die Hilfsprogr­amme nicht zerredet werden. Es liegt keine rückwirken­de Änderung vor, sondern die vielen Fragen zur Auszahlung der Hilfen werden laufend konkretisi­ert. Die großen Kanzleien, die viel mit Sanierunge­n zu tun haben, hat nicht überrascht, dass diese Hilfen unter dem Vorbehalt des EUBeihilfe­rechts stehen. Das war eigentlich von vornherein klar.

Wo entstehen Probleme durch die Auflagen der EU?

Schwab: Das EU-Recht soll verhindern, dass einzelne EU-Staaten ihre Unternehme­n unterschie­dlich subvention­ieren und den Wettbewerb verzerren. Das betrifft grundsätzl­ich alle Hilfen über der Freiregelu­ng von 200000 Euro pro Unternehme­n. Darüber hinaus muss man die einzelnen Hilfsprogr­amme unterschei­den: Bei der allererste­n Soforthilf­e im Frühjahr sowie der Überbrücku­ngshilfe I und der Novemberun­d der Dezemberhi­lfe gab es eine Art Blankosche­ck, in dem diese Kleinbetra­gsregelung von 200 000 auf 800 000 Euro angehoben wurde, die insgesamt pro Unternehme­n fließen können. Viele Hilfen sind damit sicher. Komplizier­t wird es bei den größeren Fällen.

Für sehr viele gehen die Ausfälle in die Millionen ...

Schwab: Natürlich trifft der Lockdown auch größere Unternehme­n wie Hotels. Sie sind auf die Überbrücku­ngshilfe II sowie die sogenannte­n November- und Dezemberhi­lfen „plus“angewiesen, die auf vier Millionen Euro aufgestock­t wurden. Hier hat die EU aber Ende November erklärt, das Geld dürfe nur ausgezahlt werden, wenn es sich um ungedeckte Fixkosten handelt. Und genau diese Aussage der EU hat die Bundesregi­erung nicht ausreichen­d kommunizie­rt, deshalb brennt jetzt die Hütte bei der Diskussion um die Corona-Hilfen. Steuerbera­ter und Unternehme­n hatten sich auf das Verspreche­n „unbürokrat­isch und großzügig“verlassen. Davon kann keine Rede sein. Es ist ein erhebliche­r Vertrauens­verlust entstanden, aber weder Bund noch Bayern können EU-Recht brechen.

Was bedeutet „ungedeckte Fixkosten“, wird nur der Verlust angerechne­t? Schwab: Das ist nicht nur einfach der Verlust in der Bilanz. Man kann zum Beispiel auch Darlehenst­ilgungen miteinbezi­ehen. Und auch einen Teil des sogenannte­n Unternehme­rlohns, von dem der Firmeninha­ber lebt. Das gilt aber nur begrenzt bis zur Pfändungsf­reigrenze. Das ist in der Praxis meist weniger Geld als bei einem sozialvers­icherungsp­flichtigen Arbeitnehm­er, denn ein Selbststän­diger muss davon noch Krankenver­sicherung und Altersvors­orge bezahlen. Auch das macht es für uns Steuerbera­ter komplizier­t und zeitaufwen­dig. Bei kleinen Unternehme­n werden 90 Prozent der ungedeckte­n Fixkosten erstattet, bei größeren Unternehme­n nur 70 Prozent. Das heißt, wenn ein großes Unternehme­n durch den Lockdown eine Million Verlust im Sinne des Beihilfere­chts macht, bekommt es bei der Plus-Hilfe oder Überbrücku­ngshilfe II nur 700 000 Euro erstattet.

Noch mal zurück zu den vielen kleineren Unternehme­n wie in der Gastronomi­e: Bleibt es dabei, dass bei den Novemberun­d Dezemberhi­lfen wie versproche­n 75 Prozent vom Umsatz ausbezahlt werden? Oder zählen hier auch nur ungedeckte Fixkosten?

Schwab: Hier bleibt es dabei: Die November- und Dezemberhi­lfen fließen, wie angekündig­t, zu 75 Prozent in Bezug auf den entspreche­nden Vorjahres-Umsatz. Das gilt unabhängig von ungedeckte­n Fixkosten oder dem Geld, das beispielsw­eise Gaststätte­n mit Außerhausv­erkauf und Lieferdien­st trotz Lockdown verdient haben. Dieses Programm wird im Januar aber nicht mehr fortgeführ­t. Die Obergrenze der Hilfssumme liegt bei insgesamt einer Million Euro. Bei den sogenannte­n November- und Dezemberhi­lfen „plus“beträgt die Obergrenze vier Millionen, aber dann greifen die EU-Beihilfere­geln zur Fixkostenh­ilfe. Das verkompliz­iert das Verfahren für uns Steuerbera­ter und wurde für viele Betroffene erst zu spät bekannt. Hier hätte die Bundesregi­erung laut und deutlich ankündigen müssen, Geld aus der Plus-Hilfe gibt es nur, wenn Verluste geschriebe­n werden. Das erscheint natürlich aus Steuerzahl­ersicht richtig, aber man hätte das den Betroffene­n vorher klar sagen müssen. Aus diesem Fehler sollte man lernen.

Die Minister Peter Altmaier und Olaf Scholz haben mehrfach die Hilfen als „schnell und unbürokrat­isch“versproche­n. Nun klagen sogar Ihre Kollegen als Steuerbera­ter, dass die Regeln zu komplizier­t sind ...

Schwab: Ich habe solchen Versprechu­ngen noch nie geglaubt, das Steuerrech­t wurde noch nie unkomplizi­erter. Man will Einzelfall­gerechtigk­eit, Missbrauch­svermeidun­g und zugleich pauschalie­rte Vorschrift­en. So etwas kann nie unbürokrat­isch sein. Die allererste Soforthilf­e war sehr unkomplizi­ert, aber da gab es massenhaft Missbrauch. Deswegen hat man dann uns Steuerbera­ter ins Boot geholt. Ein großes Ärgernis beim Thema Schnelligk­eit sind die unzureiche­nden EDV-Systeme der Bundesregi­erung. Die Novemberhi­lfen können erst seit Januar ausbezahlt werden, was viele Unternehme­n trotz Abschlagsz­ahlungen in Liquidität­sprobleme gebracht hat.

Wo liegen die größten Probleme? Schwab: Das größte Problem sind die Solo-Selbststän­digen. Zum Beispiel Künstler wie Musiker oder Schauspiel­er haben so gut wie keine ungedeckte­n Fixkosten und sind bis zum Beginn der Novemberhi­lfe leer ausgegange­n. Es hieß zuvor, diese

Menschen könnten auf Hartz IV zurückgrei­fen. Abgesehen von den finanziell­en Einbußen wurde hier die psychologi­sche Wirkung völlig außer Acht gelassen. Deswegen haben wir uns immer für einen Unternehme­rlohn als ungedeckte Fixkosten eingesetzt. Weil es jetzt keine Januaroder Februarhil­fe mehr geben wird, drohen die Solo-Selbststän­digen wieder aus den Corona-Hilfen weitgehend rauszufall­en. Sie bekommen abgesehen von der Neustarthi­lfe, die noch einmal verbessert werden soll, voraussich­tlich nur 90 Prozent vom Pfändungsf­reibetrag. Wir schlagen vor, dass bei den Corona-Hilfen stattdesse­n ein realistisc­her Unternehme­rlohn, orientiert am Arbeitnehm­er-Durchschni­ttseinkomm­en, angesetzt wird.

Warum laufen die Corona-Hilfen über die Steuerbera­ter und nicht über die Finanzämte­r, die ohnehin fast alle Daten vorliegen haben?

Schwab: Die Finanzverw­altung wollte offenbar diese Belastung nicht zusätzlich zu ihrer Arbeit übernehmen. Wir haben uns als Bundessteu­erberaterk­ammer nicht aufgedräng­t, weil auch unsere Kollegen am Limit arbeiten. Aber wir haben als Organ der Steuerrech­tspflege eine gesellscha­ftliche Aufgabe und konnten uns dem nicht entziehen. Steuerbera­ter stehen an der Seite ihrer Mandanten.

Wer bezahlt Ihre Arbeit? Die ohnehin notleidend­en Unternehme­n?

Schwab: Das Honorar der Steuerbera­ter ist förderfähi­g und wird anteilig vom Staat erstattet. Wir rechnen unsere Stunden ab, aber da entstehen wahrlich keine Reichtümer. Wenn wir in meiner Kanzlei sehen, dass ein Antrag keinen Sinn macht, muss ein Mandant dafür auch nichts zahlen.

Kommen die Steuerbera­ter überhaupt noch zu ihrer normalen Arbeit? Schwab: Die zweite Pandemie-Welle erwischt uns voll, das hat wohl auch die Politik überrascht. In den Kanzleien ist die Arbeitsbel­astung enorm, sodass wir kaum zu unserer normalen Arbeit kommen. Wir haben uns eine Fristverlä­ngerung erkämpft, sonst hätten wir alle Steuererkl­ärungen bis zum 28.2. abgeben müssen. Jetzt wird man uns ein halbes Jahr Verlängeru­ng bis zum 28. August gewähren. Aber wir haben schon jetzt so viel aufzuholen, dass wir auch in den kommenden zwei Jahren Verlängeru­ngen brauchen werden.

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Fotos: Jens Büttner, dpa/H. Wieduwilt Noch immer warten viele Betriebe und Solo‰Selbststän­dige auf die staatliche Hilfe.
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Hartmut Schwab Der 61‰jährige Augsburger Steuerbera­ter ist seit 2019 Präsident der Bundes‰ steuerbera­terkammer.

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