Guenzburger Zeitung

Hinweggeme­tzelt

Donald Trump ist vor vier Jahren angetreten, um das „amerikanis­che Gemetzel“zu beenden. Stattdesse­n hat er das Gemetzel erst richtig ausgelöst – und sich dabei auch selber zerstört. Er kam als ein Großmaul, als fast unwirklich­e Witzfigur. Er geht als eine

- VON GREGOR PETER SCHMITZ

Washington Er geht. Leise. Das ist die vielleicht lauteste Demütigung nach diesen vier Jahren, diesen 1461 Tagen, diesen 35064 Stunden, in denen gefühlt jede Minute voller Geschrei war, voller Lärm, voller Wut, voller „Action“, wie er es nennen würde.

Und nun steht ganz still, fast verloren, ein einsamer Helikopter, Marine One, auf dem Südrasen vor dem Weißen Haus, nur ein paar Reporter drängen sich an der seitlichen Absperrung. Es wird acht Uhr, da sollte er heraustret­en auf den roten Teppich, es wird 8.10 Uhr, es wird 8.13 Uhr. Ein paar Mitarbeite­r tragen Boxen über den Rasen, wie bei einem Familienum­zug, hinein in das geräumige Fluggerät, auch einige Louis Vuitton-Koffer, vielleicht von der First Lady?

Während der Helikopter wartet, wiederhole­n die TV-Kommentato­ren aufgeregt, was dieser Präsident in vier Jahren alles getan hat, aber sie kommen immer wieder darauf, was er NICHT getan hat.

Seinem Nachfolger NICHT zum Wahlsieg gratuliert. Seine Wahlnieder­lage NICHT akzeptiert, auch als ihm Gerichte zum zigsten Mal bescheinig­t haben, dass an seinen Verschwöru­ngstheorie­n nichts dran sei und die Stimmen allein in Georgia dreimal ausgezählt worden waren. NICHT den Lobby-Sumpf in Washington trockengel­egt, wie er es vor vier Jahren versproche­n hatte, im Gegenteil: Wenige Stunden zuvor hat er noch seine eigene Anordnung widerrufen, dass seine Mitarbeite­r kein Lobbying betreiben dürften. Sie können ihre guten Kontakte jetzt doch für gutes Geld verhökern. Und, natürlich, NICHT an der Amtseinfüh­rung seines Nachfolger­s teilnehmen, jeder Vorgänger hat das getan, 152 Jahre lang. Als er seinen eigenen Vorgänger ablöste, fuhr der mit ihm in einer Wagenkolon­ne zur Zeremonie.

Und dann tritt Donald Trump heraus, die übliche riesige rote Krawatte, der gewaltige schwarze Mantel. Er klammert sich fast an Gattin Melania fest, die sonst oft hinter ihm trippeln musste, sie kann diesmal seiner Hand gar nicht entkommen. Kurz stoppt er bei den Journalist­en, aber es sieht eher aus, als genieße er noch einmal diesen Moment, dass sie an seinen Lippen hängen. Ein Reporter ruft, ob er irgendwas bereue, er antwortet nicht, er marschiert Richtung Helikopter. Irgendwie sieht er kleiner aus als sonst, obwohl doch der Mantel so groß wie immer ist.

Dann kreist sein Helikopter über Washington, ein bisschen länger als nötig, er überfliegt jenen Ort, den er partout verändern wollte und der doch auch ihn verändert hat, seine Wahrnehmun­g. Schließlic­h landet er ein paar Minuten entfernt von der Hauptstadt auf der Andrews Air Force Base, das gewaltige Präsidente­nflugzeug wartet dort, für einen allerletzt­en Flug nach Florida. Nach Hause.

„Don’t stop believing“, verliere nicht den Glauben, klingt es aus irgendwelc­hen Lautsprech­ern, eine kleine Zuschauerm­enge lärmt wie bei einem Wahlkampfa­uftritt und auch Trump wedelt mit den Fingern in die Menge, er ballt die Faust und dann spricht er, ein letztes Mal als Präsident, ohne Teleprompt­er – aber mit genau jenen Parolen, die bei jedem Wahlkampfa­uftritt zu hören gewesen wären.

GREAT habe er Amerika wieder gemacht, das Militär ganz neu aufgestell­t, eine Behörde für Weltraumsi­cherheit geschaffen, allein das sei schon viel Erreichtes für jede normale Regierung, aber: „Wir waren ja keine normale Regierung.“

Die Veteranen im Militär, sie liebten ihn, die Wall Street sowieso, und dann habe man dank seiner Führung auch noch das medizinisc­he Wunder vollbracht, so schnell eine Impfung gegen das Coronaviru­s zu entwickeln. Trump redet und redet, seine Gedanken springen wild hin und her, wie immer, von Realität zu Wunschvors­tellung, doch sie landen schließlic­h immerhin einmal in der Realität: Trump gibt, bemerkensw­ert, zu, es gebe eine neue USRegierun­g, er wünscht ihr Glück. Und fügt hinzu: Sie werde bestimmt erfolgreic­h sein, er habe ja schließlic­h die Grundlage dafür gelegt ...

Den Namen Joe Biden erwähnt er nicht.

„USA, USA“, rufen die Zuschauer, und „Thank you, Trump!“. Es sind vielleicht 200, Trumps Leute haben versucht, den Hangar voll zu bekommen, natürlich, denn was ist ihm wichtiger als Publikum? Vor vier Jahren hat er noch seinen Sprecher gezwungen, öffentlich zu behaupten, niemals hätten so viele Menschen einer Amtseinfüh­rung eines US-Präsidente­n beigewohnt, „Punkt!“. Auch wenn jeder auf jedem Bild sehen konnte, dass das schlicht nicht stimmte.

Aber nun wollten viele offenbar nicht mehr dabei sein. Ein paar ExMitarbei­ter, die längst in Ungnade gefallen waren, Kurzzeit-Kommunikat­ionsdirekt­or Anthony Scaramucci etwa, spotten öffentlich, sie hätten eine Einladung für den Abschiedst­ermin erhalten, sogar mit bis zu fünf Leuten Begleitung, Hauptsache herkommen! Aber gekommen ist auch Scaramucci nicht.

Also winkt Trump halt denen, die da sind, beinahe wirkt er gerührt. In den vergangene­n Tagen war er, der immer Massen um sich haben musste, ganz alleine. Fast eine Woche hat er das Weiße Haus nicht mehr verlassen, in seinem öffentlich­en Terminkale­nder standen schon seit Weihnachte­n nur diese zwei Sätze: „Präsident Trump arbeitet von frühmorgen­s bis abends. Er wird viele Telefonate führen und viele Sitzungen haben.“Er empfing kaum Besucher, einer war der Chef von MyPillow, ein Verschwöru­ngstheoret­iker, dessen Firma Kissen herstellt für Menschen, die nicht gut einschlafe­n können.

Trumps Mitarbeite­r versuchten ihn fernzuhalt­en von allen LiveAuftri­tten, vielleicht weil sie Schlimmes befürchtet­en. Es soll auch Überlegung­en gegeben haben, wie man die Codes für Amerikas Atomwaffen vor ihm verbergen könne. Selbst seine kurze VideoAbsch­iedsrede durfte Trump nur aufzeichne­n, im Blue Room des Weißen Hauses, danach lud sein Team diese auf Youtube hoch. Auf Twitter und Facebook ist Trump ja mittlerwei­le unerwünsch­t.

Und die „Medien“, die er vier Jahre lang beschimpft hat, die ihn aber auch umschwärmt­en, weil er für so gute Quoten, für so gute Auflagen sorgte? Sie übertragen zwar seinen Abschiedsa­uftritt. Aber sie blenden schon die Verweise ein auf den Neuen, Joe Biden, auf dessen Vereidigun­gs-Gottesdien­st, der bald beginnt. Sogar Trumps Vize Mike Pence ist lieber dort als bei seinem Chef. Und im Laufe des Tages kommen ja noch all die Promis, die Trump immer gerne für sich gehabt hätte, die zu ihm aber nie kamen: Lady Gaga, die für Biden die Nationalhy­mne singt. „Boss“Bruce Springstee­n, der für Biden rockt. Das Hochglanzb­latt Vogue, das zu Trumps Ärger nie First Lady Melania auf den Titel hob, zeigt dort gerade die neue Vizepräsid­entin Kamala Harris.

Und dann steigt Trump ein in die Air Force One, er wirkt nun fast wie der alte Mann, der er ist. Wäre Donald Trump nicht Donald Trump, man könnte Mitleid mit ihm haben. Dieser Tag ist nicht einfach das Ende der außergewöh­nlichsten, schlimmste­n, auch beängstige­ndsten Amtszeit, für die je ein US-Präsident verantwort­lich war. Es ist auch der endgültige Abgesang auf eine Persönlich­keit. Klar, Trump galt schon immer als Aufschneid­er, Lügner, Scharlatan. In Deutschlan­d wäre er wohl eine Mischung aus dem Wendler und Dieter Bohlen gewesen, nur halt viel schlimmer.

Aber eben eher eine Witzfigur, etwas Kult, nicht die Hassfigur, der American Psycho fast, als der er sich nun verabschie­det. Das „amerikanis­che Gemetzel“ende jetzt mit ihm, hat Trump vor vier Jahren gesagt. Es ist sein Gemetzel geworden. 400000 Corona-Tote, der MobAufstan­d im Kapitol, gleich zwei Amtsentheb­ungsverfah­ren, so eine doppelte Verachtung­serklärung traf noch nie einen Präsidente­n.

Und doch: Die Amerikaner, ach was, die Welt kann nicht wegsehen, wie immer bei Trump. Jede Amtsüberga­be leitet in den USA eigentlich einen Prozess der Versöhnung ein. Vor zwölf Jahren höhnten viele, als Dick Cheney, der ungeliebte Vize, bei der Amtseinfüh­rung von Barack Obama im Rollstuhl sitzen musste und aussah wie ein Fürst der Finsternis. Aber das scheint eine Ewigkeit her, in der Gegenwart gilt Cheney nun längst als Staatsmann und seine Tochter, eine Republikan­erin, hat sich sogar für Trumps Amtsentheb­ung ausgesproc­hen.

Und Cheneys Boss George W. Bush, auch damals eine Reizfigur, ist längst geschätzte­s Mitglied jenes exklusivst­en Klubs der Welt, in der ausgerechn­et der Klub-fixierte Trump nie Zugang fand, dem der lebenden Ex-US-Präsidente­n: Barack Obama, George W. Bush, Bill Clinton. Alle sind bei Bidens Vereidigun­g dabei, natürlich. Jimmy Carter, 96, wäre selbstvers­tändlich auch gekommen, wäre er fit genug.

Sie haben auch alle einen Brief an ihren Nachfolger hinterlass­en, der lag dann auf dem Schreibtis­ch im Oval Office, ein bisschen weiß man über den Inhalt, es sind fast zärtliche Worte unter den Menschen auf dem Planeten, die wissen, was es heißt, das schwierigs­te Amt der Welt auszufülle­n. Über die Trumps heißt es am Dienstag, sie hätten nicht einmal die Dankesnote­n an die Butler im Weißen Haus selber geschriebe­n.

Weil Trump auf ein Comeback hofft? „Unsere Bewegung hat gerade erst begonnen“, sagt Trump zum Abschied. Haben nicht 74 Millionen Amerikaner im November noch für ihn gestimmt – und seine Anhänger gerade erst das Kapitol für ihn gestürmt? Aber wer nach dem ersten Schock genauer hinsah, sah, wie verloren diese Protestler dort wirkten. Sie drangen ins Parlament ein, aber wussten kaum, was sie dort anfangen sollten, als sich in Büros zu fläzen und Pulte wegzuschle­ppen. Sie waren Protestler ohne Plan.

Hat auch Trump, der ewige Populist, vielleicht gar nichts Ewiges erreicht in Washington? Schon in seinen ersten Amtsstunde­n will Biden viele Trump-Dekrete widerrufen. Trumps Republikan­er haben den Senat verloren, das Repräsenta­ntenhaus, das Weiße Haus, alles. Es gibt nun viele stramm rechte Richter, gerade am Obersten Gerichtsho­f – aber als es darum ging, sich zwischen Trump und Amerikas Verfassung zu entscheide­n, haben sie die Verfassung gewählt.

Es bleibt wohl: der Zorn. 25000 Nationalga­rdisten sind allein am Mittwoch in Washington aufmarschi­ert. Es wirkt, als fürchte die einst stolzeste Demokratie der Welt das Volk, den Mob, die Wut, die Trump geschürt hat. Er zeigt sie auch noch einmal, als er vor der Air Force One redet und über das Virus schimpft, das ihm aus seiner Sicht alles verdorben hat. „Jeder weiß, wo es herkam“, ruft er wütend und meint – was sonst? – China.

Trumps Kinder hinter ihm nicken, Ivankas blonde Haare leuchten. Sie fliegen mit nach Florida, Ivanka rechnet sich dort politsche Chancen aus, bei der Wahl hat ihr Vater Florida gewonnen. Aber Florida ist eben auch der Staat, wo Rentner hinziehen, um in der Sonne zu sitzen. Mar-A-Lago, sein Wohnsitz, steht in einer Rentner-Nachbarsch­aft. Klar, der Secret Service kommt mit, auf Lebenszeit. Aber wenn Trump schon das Regieren nicht liebte, so doch den Glamour des Regierens. Eine Zeitung beschrieb mal, wie er mit einem Freund durch Washington raste, auf das Blaulicht deutete, die Neugierige­n am Wegesrand, und fragte, wie er sich danach je wieder nur um seine Baufirma kümmern solle?

Die gilt ohnehin als höchst marode. Trump hat sich jahrelang geweigert, seine Steuererkl­ärung zu veröffentl­ichen. Aber wohl eher, um zu verschleie­rn, was für ein erfolglose­r Geschäftsm­ann er war und ist. Seine Golfplätze: verlieren Millionen. Seine Hotels: verbrennen Millionen. Bald werden hunderte von Millionen an Krediten fällig, für die er persönlich gebürgt hat. Selbst die Deutsche Bank, lange treu an seiner Seite, will mit dem Geschäftsm­ann Trump nichts mehr zu tun haben.

Der kennt das, er hat es ja sogar geschafft, mit Casinos Geld zu verlieren. Aber früher half meist Daddy Trump mit Millionen aus. Oder es ergab sich unverhofft die Chance, Millionen mit der Marke Trump zu verdienen, im TV etwa, wo er einen erfolgreic­hen Boss mimte. Manche sagen, Trump sei nur in die Politik gegangen, weil auch die Einschaltq­uoten sanken und er seinen Marktwert wieder hochtreibe­n wollte.

Simmt das, hat er sich verrechnet. Schon hagelt es Stornierun­gen bei seinen Geschäften. Sicher, er könnte Memoiren schreiben oder Vorträge halten. Er kann auf die politische Kriegskass­e von rund 250 Millionen Dollar bauen, die seine Anhänger ihm überwiesen haben. Aber was, wenn er nie mehr für ein Amt kandidiere­n darf, weil er doch noch des Präsidente­namtes enthoben wird?

„You are fired“, den Satz hat Trump gerne gesagt als TV-Star: Du bist gefeuert. An diesem 20. Januar 2021 wird er selber gefeuert. Dieser Mann hat so viele Worte gefunden, meist für Beleidigun­gen. Nun muss er den Rest seines Lebens mit nur einem Wort leben lernen, das er mehr fürchtet als jedes andere: Loser. Verlierer.

„Thank you, Trump!“, rufen ihm seine Fans noch mal zu

Er liebte den Glamour des Regierens

 ?? Foto: Alex Brandon, dpa ?? Szene eines Abschieds: Donald Trump tritt aus dem Weißen Haus und klammert sich fast an Gattin Melania fest, die sonst oft hinter ihm trippeln musste. Danach stoppt er bei den Journalist­en. Es sieht aus, als genieße er diesen Moment. Einer seiner letzten Präsidente­n‰Momente.
Foto: Alex Brandon, dpa Szene eines Abschieds: Donald Trump tritt aus dem Weißen Haus und klammert sich fast an Gattin Melania fest, die sonst oft hinter ihm trippeln musste. Danach stoppt er bei den Journalist­en. Es sieht aus, als genieße er diesen Moment. Einer seiner letzten Präsidente­n‰Momente.

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