Sphinx Merz
Zweimal hat der Sauerländer vergeblich versucht, Parteivorsitzender zu werden. Auch seine treuesten Unterstützer rätseln, warum der Konservative Fehler an Fehler reiht
Berlin Die Nerven liegen zwar gerade nicht blank bei der CDU. Nach dem Parteitag sind sie aber mindesten stark angespannt. Armin Laschet ist als neuer Vorsitzender gewählt, sein Hauptkonkurrent Friedrich Merz ist geschlagen und hat sich das zu einem großen Teil selbst zuzuschreiben. Zu alldem gesellen sich die Corona-Krise und das Krisenmanagement einer Kanzlerin, der viele Konservative bei den Christdemokraten eine Mitschuld daran geben, dass Merz es wieder nicht geworden ist. In einer derart aufgeheizten Atmosphäre können Kleinigkeiten zum Aufreger werden, wie die Fraktionssitzung zeigte.
In der Videokonferenz informierten Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn über den Corona-Gipfel im Kanzleramt und die beschlossenen Maßnahmen. Plötzlich ertönte, wie Teilnehmer berichten, eine Lautsprecherdurchsage, die über einen Notfall im Jakob-Kaiser-Haus informierte. Das ist eines der Abgeordnetenhäuser im Regierungsviertel, Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus und der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt haben dort ihre Büros. Die mussten sie aufgrund des Alarms verlassen und damit war die
Fraktionssitzung plötzlich ohne Leitung. Kurzerhand nahm Kanzleramtschef Helge Braun, er ist auch Abgeordneter, das Zepter in die Hand und verteilte die Wortmeldungen. Was vielen Unzufriedenen die Zornesröte ins Gesicht trieb. Jetzt, so deren Lesart, mischt sich das Kanzleramt auch noch direkt in die Parlamentsarbeit ein.
Die Aufregung mag von außen betrachtet übertrieben wirken. Die Begebenheit zeigt aber, wie es um die CDU nach ihrem Parteitag gerade bestellt ist. Von der viel beschworenen Geschlossenheit jedenfalls kann keine Rede sein.
Nachdem die Stichwahl am Samstag entschieden war, begann im Merz-Lager sofort die Fehlersuche. Wie konnte es passieren, dass der Sauerländer trotz großer Sympathien an der Parteibasis nicht CDUVorsitzender wurde? Von massivem Druck aus dem Kanzleramt ist die Rede. Delegierte seien noch kurz vor dem Beginn des Parteitages angerufen und auf mögliche negative Auswirkungen auf die Karriere hingewiesen worden, sollte Laschet die Wahl verlieren. In CDU-Kreisen heißt es, dass auch Jens Spahn Gelegenheiten nutzte, Druck aufzubauen und für Laschet zu werben, den er ja offiziell unterstützte.
Der Frust bei den Merz-Fans speist sich zu großen Teilen aber aus dem Verhalten des Kandidaten selbst. Bereits nachdem er seine Bewerbungsrede gehalten hatte, herrschte blankes Entsetzten. Warum sich Merz nicht besser vorbereitet habe, warum er nicht den Rat seiner Unterstützer eingeholt habe, fragen sich viele immer noch. Die Rede sei uninspiriert, langweilig und ohne Zukunftsvision gewesen.
Der Grad der Verwunderung steigerte sich durch das Verhalten des Verlierers. Die Erwartungshaltung war, dass Merz im Falle einer Niederlage einer von Laschets fünf Stellvertretern werden würde. Doch der Zwei-Meter-Mann lehnte ab, er sann nach Höherem. Mit seinem Ruf nach dem Posten von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verscherzte sich Merz weitere Sympathien.
Da nützt es auch nichts mehr, dass Merz per Rundmail sein Bedauern darüber ausdrückte, „dass Irritationen über meine Person entstanden sind“und gleichzeitig seine Bereitschaft zur Mitarbeit versicherte. Reaktionen in der CDU, auch beim mächtigen Wirtschaftsflügel, zeigen, dass diese Mitarbeit nicht mehr von allen erwünscht wird. Delegierte fragen sich angesichts seiner Performance auf den Parteitagen in Hamburg (als er gegen Annegret KrampKarrenbauer verlor) und jetzt in Berlin aufs falsche Pferd gesetzt, ob sie Merz überschätzt haben? Fragen, die gerade vielfach mit Ja beantwortet werden.
Die Suche nach neuen Gesichtern für das CDU-Wirtschaftsprofil hat bereits begonnen. Carsten Linnemann, Unions-Fraktionsvize und Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), wäre ein solches Gesicht. Der profilierte Wirtschaftspolitiker hat aber noch nicht erkennen lassen, ob er diese Rolle annehmen will. Öfter genannt wird auch der Abgeordnete Christoph Ploß. Der Hamburger, Jahrgang 1985, sitzt zwar erst seit 2017 im Bundestag, hat aber schon auf sich aufmerksam gemacht. Für weiblichen Wirtschaftssachverstand könnte Jana Schimke sorgen, die als Brandenburgerin gleichzeitig die ostdeutsche Seele in der CDU befrieden würde.
Der 65-jährige Merz jedenfalls wird möglicherweise bald so betrachtet wie der oben beschriebene Notfall im Jakob-Kaiser-Haus. Der stellte sich nämlich als Fehlalarm heraus.
Der Verlierer enttäuschte auch seine Anhänger