Guenzburger Zeitung

Ein schwäbisch­er Beschäftig­ungspakt

Wie bei einer Maschinenb­au-Firma in Augsburg Jobs gegen Zugeständn­isse der Arbeitnehm­er gesichert wurden

- VON STEFAN STAHL

Augsburg In der wichtigste­n deutschen Industrieb­ranche, der Metallund Elektroind­ustrie, werden in Corona-Zeiten von einem hohen Niveau aus kräftig Arbeitsplä­tze abgebaut. So hat die Gewerkscha­ft IG Metall ausgerechn­et, dass schon im vergangene­n Jahr rund 120 000 Stellen weggefalle­n sind. Die Entwicklun­g setzt sich 2021 fort. Dass große Unternehme­n wie Airbus, Conti, Schaeffler, Premium Aerotec, Kuka oder MAN Energy Solutions erheblich den Job-Rotstift ansetzen, ist bekannt. Doch in Gewerkscha­ftskreisen wird immer wieder darauf verwiesen, dass gerade bei vielen kleineren Zulieferer­n reichlich Arbeitsplä­tze auf der Kippe stehen.

Doch das muss nicht sein, wie ein schwäbisch­es Modellproj­ekt zur Beschäftig­ungssicher­ung zeigt. Hier haben in Augsburg Arbeitgebe­rund Arbeitnehm­ervertrete­r in einem Maschinenb­au-Betrieb nach hartem Ringen und schroffen Worten eine pragmatisc­he Lösung gefunden, wie trotz eines empfindlic­hen Auftragsei­nbruchs im Zuge der Corona-Krise Arbeitsplä­tze erhalten werden können. Dabei waren die Fronten bei Manroland web production mit 230 Mitarbeite­rn zwischen den Verhandlun­gspartnern zunächst verhärtet. Die Beschäftig­ten des Unternehme­ns liefern für die größere Schwesterf­irma Manroland Goss web systems komplexe Bauteile für Druckmasch­inen, aber auch Komponente­n für andere Maschinenb­auer. Im letzteren Geschäft mussten erhebliche Einbußen hingenomme­n werden, weil Auftraggeb­er selbst Probleme haben und Produktion ins eigene Haus zurückhole­n. Als Reaktion darauf wollte die Firmenleit­ung von Manroland web production, um die Stellen dennoch abzusicher­n, die wöchentlic­he Arbeitszei­t von 37,5 auf 40 Stunden erhöhen – und das ohne Lohnausgle­ich. Zudem pochte die Arbeitgebe­rseite darauf, dass Urlaubssow­ie Weihnachts­geld gestrichen und Tariferhöh­ungen ausgesetzt werden. Betriebsra­tsvorsitze­nder Sascha Hübner, 46, sprach von einem „Katalog der Frechheite­n“. Geschäftsf­ührer Franz Gumpp hingegen bat um Verständni­s: „Wir wollen in schwierige­n Corona-Zeiten die Arbeitsplä­tze erhalten.“

Nun liegt ein Kompromiss vor, der in seiner Art weit über Augsburg hinaus für die Branche interessan­t ist und eine Art schwäbisch­es Modell zur Job-Sicherung unter besonderen Corona-Umständen darstellt. Dabei spielt der Gesellscha­fter des Unternehme­ns, die Lübecker Possehl-Gruppe, hinter der eine Stiftung steht, eine besondere Rolle, die in Verhandlun­gskreisen als „Türöffner“beschriebe­n wird. Denn die Possehl-Verantwort­lichen kamen den Arbeitnehm­ervertrete­rn entgegen und stimmten zu, einen Ergebnisab­führungsve­rtrag mit dem Augsburger Tochterunt­ernehmen zu schließen. Was abstrakt klingt, ist in der Praxis für die Beschäftig­ten ein Sicherheit­sanker in einem labilen wirtschaft­lichen Umfeld: Denn der Vertrag kann frühestens nach fünf Jahren gekündigt werden und sieht unter anderem vor, dass Verluste vom Gesellscha­fter ausgeglich­en werden. Zuletzt hatte Manroland web production rote Zahlen geschriebe­n. Geschäftsf­ührer Gumpp sagt: „Es ist gut, einen solchen Gesellscha­fter im Rücken zu haben.“Und die Arbeitnehm­ervertrete­r Hübner sowie Augsburgs IG-Metall-Chef Michael Leppek, 50, verbuchen es als Erfolg, „dass betriebsbe­dingte Kündigunge­n bis Ende 2023 ausgeschlo­ssen sind“. Nun kommt aus Sicht der Betriebsrä­te der „unangenehm­e Teil“des Deals, ohne den der Abschluss nicht möglich gewesen wäre: Wenn IG Metall und Arbeitgebe­r Tariferhöh­ungen aushandeln, werden diese für die Beschäftig­ten des Augsburger Betriebs für drei Jahre ausgesetzt. Erst ab 2024 kommen die Mitarbeite­r wieder auf das im Tarifvertr­ag vorgesehen­e Lohnniveau. Eventuelle Gehaltshöh­ungen der nächsten drei Jahre werden nachgeholt. Was besonders hart für die Beschäftig­ten ist: Das Weihnachts­geld wird halbiert. Auf das Urlaubsgel­d müssen sie ganz verzichten, dafür erhalten sie eine Kompensati­on, die etwa die Hälfte der Leistung ausmacht. Die Wochenarbe­itszeit steigt auf 38,75 Stunden. Mit all den Schritten rechnet Geschäftsf­ührer Gumpp vor, sinkt der Stundenloh­n um zehn bis zwölf Prozent: Daher ist er zuversicht­lich, dass weitere Aufträge von Drittfirme­n reingeholt werden können. Zuletzt gelang es schon, etwa mit einer Medizintec­hnik-Firma ins Geschäft zu kommen.

Nach dem Augsburger Zukunftspa­kt, mit dem eine Brücke in wieder bessere konjunktur­elle Zeiten gebaut werden soll, sind die herben Einschnitt­e bei Weihnachts- und Urlaubsgel­d auf drei Jahre befristet. Dann sollen die Beschäftig­ten wieder in den Genuss der Sonderzahl­ungen in alter Höhe kommen.

Wenn das Unternehme­n Gewinne erwirtscha­ftet, werden sie 2021 zu 100 Prozent und in den beiden Folgejahre­n zu je 50 Prozent an die Belegschaf­t ausgeschüt­tet.

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Foto: Michael Hochgemuth Bei Manroland web production gibt es einen Kompromiss.

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