Ein schwäbischer Beschäftigungspakt
Wie bei einer Maschinenbau-Firma in Augsburg Jobs gegen Zugeständnisse der Arbeitnehmer gesichert wurden
Augsburg In der wichtigsten deutschen Industriebranche, der Metallund Elektroindustrie, werden in Corona-Zeiten von einem hohen Niveau aus kräftig Arbeitsplätze abgebaut. So hat die Gewerkschaft IG Metall ausgerechnet, dass schon im vergangenen Jahr rund 120 000 Stellen weggefallen sind. Die Entwicklung setzt sich 2021 fort. Dass große Unternehmen wie Airbus, Conti, Schaeffler, Premium Aerotec, Kuka oder MAN Energy Solutions erheblich den Job-Rotstift ansetzen, ist bekannt. Doch in Gewerkschaftskreisen wird immer wieder darauf verwiesen, dass gerade bei vielen kleineren Zulieferern reichlich Arbeitsplätze auf der Kippe stehen.
Doch das muss nicht sein, wie ein schwäbisches Modellprojekt zur Beschäftigungssicherung zeigt. Hier haben in Augsburg Arbeitgeberund Arbeitnehmervertreter in einem Maschinenbau-Betrieb nach hartem Ringen und schroffen Worten eine pragmatische Lösung gefunden, wie trotz eines empfindlichen Auftragseinbruchs im Zuge der Corona-Krise Arbeitsplätze erhalten werden können. Dabei waren die Fronten bei Manroland web production mit 230 Mitarbeitern zwischen den Verhandlungspartnern zunächst verhärtet. Die Beschäftigten des Unternehmens liefern für die größere Schwesterfirma Manroland Goss web systems komplexe Bauteile für Druckmaschinen, aber auch Komponenten für andere Maschinenbauer. Im letzteren Geschäft mussten erhebliche Einbußen hingenommen werden, weil Auftraggeber selbst Probleme haben und Produktion ins eigene Haus zurückholen. Als Reaktion darauf wollte die Firmenleitung von Manroland web production, um die Stellen dennoch abzusichern, die wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 auf 40 Stunden erhöhen – und das ohne Lohnausgleich. Zudem pochte die Arbeitgeberseite darauf, dass Urlaubssowie Weihnachtsgeld gestrichen und Tariferhöhungen ausgesetzt werden. Betriebsratsvorsitzender Sascha Hübner, 46, sprach von einem „Katalog der Frechheiten“. Geschäftsführer Franz Gumpp hingegen bat um Verständnis: „Wir wollen in schwierigen Corona-Zeiten die Arbeitsplätze erhalten.“
Nun liegt ein Kompromiss vor, der in seiner Art weit über Augsburg hinaus für die Branche interessant ist und eine Art schwäbisches Modell zur Job-Sicherung unter besonderen Corona-Umständen darstellt. Dabei spielt der Gesellschafter des Unternehmens, die Lübecker Possehl-Gruppe, hinter der eine Stiftung steht, eine besondere Rolle, die in Verhandlungskreisen als „Türöffner“beschrieben wird. Denn die Possehl-Verantwortlichen kamen den Arbeitnehmervertretern entgegen und stimmten zu, einen Ergebnisabführungsvertrag mit dem Augsburger Tochterunternehmen zu schließen. Was abstrakt klingt, ist in der Praxis für die Beschäftigten ein Sicherheitsanker in einem labilen wirtschaftlichen Umfeld: Denn der Vertrag kann frühestens nach fünf Jahren gekündigt werden und sieht unter anderem vor, dass Verluste vom Gesellschafter ausgeglichen werden. Zuletzt hatte Manroland web production rote Zahlen geschrieben. Geschäftsführer Gumpp sagt: „Es ist gut, einen solchen Gesellschafter im Rücken zu haben.“Und die Arbeitnehmervertreter Hübner sowie Augsburgs IG-Metall-Chef Michael Leppek, 50, verbuchen es als Erfolg, „dass betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2023 ausgeschlossen sind“. Nun kommt aus Sicht der Betriebsräte der „unangenehme Teil“des Deals, ohne den der Abschluss nicht möglich gewesen wäre: Wenn IG Metall und Arbeitgeber Tariferhöhungen aushandeln, werden diese für die Beschäftigten des Augsburger Betriebs für drei Jahre ausgesetzt. Erst ab 2024 kommen die Mitarbeiter wieder auf das im Tarifvertrag vorgesehene Lohnniveau. Eventuelle Gehaltshöhungen der nächsten drei Jahre werden nachgeholt. Was besonders hart für die Beschäftigten ist: Das Weihnachtsgeld wird halbiert. Auf das Urlaubsgeld müssen sie ganz verzichten, dafür erhalten sie eine Kompensation, die etwa die Hälfte der Leistung ausmacht. Die Wochenarbeitszeit steigt auf 38,75 Stunden. Mit all den Schritten rechnet Geschäftsführer Gumpp vor, sinkt der Stundenlohn um zehn bis zwölf Prozent: Daher ist er zuversichtlich, dass weitere Aufträge von Drittfirmen reingeholt werden können. Zuletzt gelang es schon, etwa mit einer Medizintechnik-Firma ins Geschäft zu kommen.
Nach dem Augsburger Zukunftspakt, mit dem eine Brücke in wieder bessere konjunkturelle Zeiten gebaut werden soll, sind die herben Einschnitte bei Weihnachts- und Urlaubsgeld auf drei Jahre befristet. Dann sollen die Beschäftigten wieder in den Genuss der Sonderzahlungen in alter Höhe kommen.
Wenn das Unternehmen Gewinne erwirtschaftet, werden sie 2021 zu 100 Prozent und in den beiden Folgejahren zu je 50 Prozent an die Belegschaft ausgeschüttet.