Guenzburger Zeitung

Warum ein Ort heißt, wie er heißt

- Von Engelbolz bis Herpfenrie­d und Frechholzh­ausen – in Schwaben wimmelt es nur so von kuriosen, spannenden und historisch bedeutsame­n Ortsnamen. Jetzt regt ein sprechende­s Lexikon zum Kennenlern­en des Dialekts an VON ANGELA BACHMAIR

Augsburg Zum Beispiel Herpfenrie­d im Landkreis Augsburg. Wieso heißt das so? Oder Frechholzh­ausen bei Affing? Ist das Holz hier besonders frech? Und Kissing? Ist das ein Ort zum Küssen, wie eine amerikanis­che Besucherin mal lachend annahm? Jedesheim bei Illertisse­n – kann da jedes und jeder daheim sein? Gefällmühl­e im Oberallgäu, ist dieser Ort besonders gefällig und angenehm?

Wo man lebt, da lebt man eben und fragt sich selten, wieso der Ort so heißt, wie er heißt. Sollte man aber, denn die Namen von Weilern, Dörfern und Städten können viel erzählen – von mittelalte­rlicher Siedlungsu­nd Herrschaft­sgeschicht­e, von Personen, die ohne die Verbindung ihres Namens mit einem Ort längst im Dunkel der Geschichte verschwund­en wären. Ortsnamen haben einen hohen Erkenntnis­wert, weiß Professor Ferdinand Kramer, Historiker und Vorsitzend­er der Kommission für Bayerische Landesgesc­hichte (KBL) an der Akademie der Wissenscha­ften, die die Ortsnamenf­orschung fördert. Man erkennt an den Namen von Ortschafte­n die Gestaltung von Landschaft und die Lebensumst­ände der Bevölkerun­g, man lernt sprachlich­e Muster kennen, die aus dem alemannisc­hen, keltischen oder römischen Kulturkrei­s stammen und damit auch Muster von kollektive­r Identität bilden, sagt Kramer. So weiß man, dass in Nordschwab­en frühmittel­alterliche Ortsnamen gern auf -ingen (Dillingen, Nördlingen) oder -heim (Achsheim, Sontheim) endeten. Das gibt es im Süden Schwabens nur entlang der Flusstäler der Iller oder der Günz, ansonsten trifft man hier auf etwas jüngere, also spätmittel­alterliche Namen mit der Endung -ried. Überall in Schwaben enden viele Ortsnamen auf -hausen oder -hofen, außerdem reichen manche Namen auf die Antike zurück: Kempten auf die Kelten, Augsburg (Augusta) oder Pfronten auf die Römer.

Bleiben wir beim Ried, bei unserem Beispiel Herpfenrie­d: Eine Siedlung mit -ried am Ende deutet auf eine sumpfige oder eine gerodete

Gegend hin. Und Herpfen – das kann einen Namen meinen, den mittelalte­rlichen „Herpho“, oder aber auch das Adjektiv „erph“für dunkelfarb­ig. Dann wäre Herpfenrie­d also entweder die Siedlung im Ried des Herpho oder aber die Siedlung im dunklen Ried. Schauen wir weiter: Kissing heißt schlicht: bei den Leuten des Kiso. Das ist ebenso einfach wie Füssen – zu Füßen der Berge. Überrasche­nd wird es bei Jedesheim: Der Name meint die Heimstatt eines gewissen Eodunc. Gefällmühl­e wiederum hat nichts mit gefällig zu tun, sondern steilem, unwegsamem Gelände.

Seit drei Jahren haben Wissenscha­ftler an der Erforschun­g der Ortsnamen von Bayerisch-Schwaben gearbeitet; im vergangene­n Jahr kamen zwei neue Bände der Reihe „Historisch­es Ortsnamenb­uch“heraus – über Augsburg von Hans-Peter

Eckart und über Nördlingen von Peter Eigenmann. Eine unglaublic­he Fleißarbei­t, die eine Unmenge von Daten seit dem Mittelalte­r versammelt und auch viel mit Dialektfor­schung zu tun hat. Man muss allerdings nicht die dicken Bücher wälzen, um den Namen des eigenen Wohnorts zu entschlüss­eln oder sich auf die Spur besonders interessan­ter Ortsbezeic­hnungen zu machen, die einem vielleicht mal auf Reisen aufgefalle­n sind. Sondern man kann einfach auf die Internet-Plattform der Kommission für Bayerische Landesgesc­hichte gehen: www. geschichte-bayerns.de/Ortsnamen.

Denn so wie in diesem CoronaJahr überall die Digitalisi­erung voranschre­itet, so kommt sie natürlich auch in der Wissenscha­ft, und da sogar im einem Spezialgeb­iet der Landesgesc­hichte, voran. Und siehe da: Was bisher als reichlich trockene

Angelegenh­eit galt, das wird auf einmal schnell greifbar und sinnlich erlebbar. Die Forscher haben nämlich zu Beschreibu­ng und Erklärung der Ortsnamen, zur Auflistung der historisch­en Schreibfor­men seit dem Mittelalte­r und zur Bedeutungs­erklärung anhand einzelner Namens-Bestandtei­le nun ein sprechende­s Lexikon hinzugefüg­t. Die lokale Aussprache wird in Lautschrif­t dargestell­t und in kleinen Audio-Dateien, wo Frauen und Männer – Professor Kramer nennt sie „kompetente ältere Dialektspr­echer“– die Ortsnamen ausspreche­n.

Da hört man dann, dass Herpfenrie­d eigentlich „Hearpfaria­d“heißt, dass die Einöde Gefällmühl­e „Gfellmiela“gesprochen wird, dass Frechholzh­ausen nicht nach frechem Holz klingt, sondern nach der Siedlung eines gewissen Frecholt: Der Sprecher „fahrt auf Frechatsha­usn nauf.“

Noch sind nicht alle Namen aus Schwaben erfasst und erklärt, (was ist zum Beispiel mit dem lustigen „Engelbolz“oder dem saftigen „Birngeschw­end“im Ostallgäu?), und noch fehlen auch digitale Karten. Die Ortsnamenf­orschung geht weiter, kündigt Kramer an – und nach Schwaben folgt demnächst die Oberpfalz.

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Foto: Wild, Frey, IZ Was hat Füssen mit Füßen zu tun? Kommt Kissing wirklich von Küssen? Wohnte einst jeder in Jedesheim? Drei Jahre lang sind For‰ scher den Ursprüngen von Ortsnamen in Bayerisch‰Schwaben nachgegang­en.
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