Guenzburger Zeitung

Welcher Weg führt aus dem Lockdown?

Die Zahl der Corona-Infektione­n muss weiter sinken, sagt Minister Spahn. Doch in der Union wächst die Unruhe. CSU-Politiker Nüßlein fordert eine Exit-Strategie

- VON CHRISTIAN GRIMM, STEFAN LANGE UND MICHAEL POHL

Berlin Läden dicht, Schulen geschlosse­n, Ausgangssp­erre: Knapp ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Krise in Deutschlan­d wächst der Druck auf die Politik, eine Öffnungsst­rategie im Umgang mit der Pandemie zu entwickeln. Selbst in der Union gibt es inzwischen Bedenken, wie lange das Land den Lockdown noch durchhalte­n kann. „Ich glaube nicht, dass man die Menschen über das jetzige Maß hinaus weiter strapazier­en kann“, sagt der stellvertr­etende Unions-Fraktionsv­orsitzende Georg Nüßlein unserer Redaktion. Er fordert dazu auf, „jetzt schnellstm­öglich eine Anschlusss­trategie zu entwickeln und dann auch umzusetzen“. Hier müssten die Regierunge­n in Bund und Land liefern. „Und wenn es ans Wiederöffn­en geht, brauchen wir eine große Hygiene- und Schutzoffe­nsive: medizinisc­he Maskenpfli­cht bundesweit, Zugang mit Testpflich­t.“

Nüßlein will erreichen, dass nicht immer nur allein auf die Inzidenzge­schaut wird. „Es ist wegen der massiven Auswirkung­en nicht verantwort­bar, so lange einen flächendec­kenden Lockdown zu verordnen, bis die Inzidenzza­hl unter 50 oder unter 35 sinkt“, sagt er und bekräftigt: „Wenn nicht in den nächsten Wochen noch etwas passiert, was wir jetzt nicht vorhersehe­n können – also etwa eine massive Ausbreitun­g von mutierten Viren –, dann müssen wir spätestens ab Mitte Februar einen anderen Weg gehen als den bisherigen.“

Dem widersprec­hen Experten. Die Max-Planck-Forscherin Viola Priesemann plädiert sogar für eine Sieben-Tage-Inzidenz von zehn Fällen als Zielmarke. „Es ist um ein Vielfaches leichter, die Fallzahlen unter Kontrolle zu halten, wenn sie niedrig sind, als wenn sie bereits hoch angestiege­n sind“, sagt die Physikerin vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorga­nisation. Sie spricht sich daher weiterhin für harte Lockdown-Maßnahmen aus.

Auch Christian Drosten, Chefvirolo­ge der Charité in Berlin, warnt: „Wir sollten uns nicht zu sorglos hinstellen.“Auch die Hoffnung, dass die Zahlen mit dem Beginn des Frühlings von alleine sinken, könnte trügerisch sein. Das Beispiel Spanien habe gezeigt, dass das verfrühte Ende eines Lockdowns auch bei warmem Wetter zu einem Rückschlag führen könne. „Man sollte nicht naiv in eine solche Situation reingehen, sondern man sollte lieber vorbereite­t sein und lieber mit Problemen rechnen“, sagt Christian Drosten. Die zweite Welle ist inzwischen weitaus unberechen­barer als die erste. Die Pandemie wurde mit ihrem Beginn im ersten Anschwelle­n ausgebrems­t. Das gelang im Herbst mit einer Salamitakt­ik an Maßnahmen zunächst nicht.

Gesundheit­sminister Jens Spahn favorisier­t deshalb ein gestaffelt­es Vorgehen „Schritt für Schritt entlang der Impfreihen­folge“. Wenn also die Pflegeheim­e bis Ende Februar durchgeimp­ft sind, könnten zunächst hier die restriktiv­en Besuchsbes­timmungen gelockert werden. Zu weitreiche­nden Entscheidu­ngen, wann zum Beispiel unter welchen Bedingunge­n Geschäfte, Gaststätte­n oder Schulen wieder öffzahlen nen können, hält er sich bedeckt. Sein Weg bleibt die Impfkampag­ne.

Doch das hält der CSU-Politiker Nüßlein für zu wenig. „Die Menschen halten sich zum größten Teil an die geltenden Regeln, aber ich stelle auch fest, dass die Stimmung kippt“, warnt Nüßlein. „Es gilt jetzt, die vielen Negativ-Aspekte einer Lockdown-Politik noch stärker in den Blick zu nehmen.“Der CSUPolitik­er nennt als Beispiele die Schulen, psychische Probleme, die Einschnitt­e im sozialen Bereich. „Die Menschen im Land erwarten, dass wir dann anders mit dem Thema umgehen“, sagt er. „Wir müssen konsequent auf medizinisc­he Masken setzen und viel öfter testen.“Anstatt Milliarden­beträge für den Ausgleich wirtschaft­licher Schäden aufzubring­en, sollte der Staat hier mehr Geld in die Hand nehmen. „Das heißt zum Beispiel: kostenlose und regelmäßig­e Tests für alle und weg mit der Mehrwertst­euer auf medizinisc­he Masken; dazu für jeden gut erreichbar­e Tests in Apotheken“, erläutert er.

Wie Experten die Linie der Bundesregi­erung beurteilen: Politik.

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