Guenzburger Zeitung

Deutschlan­d darf nicht länger an Nord Stream festhalten

Die Gas-Pipeline war von Anfang an ein geopolitis­ches Projekt. Und Berlin hat sich zum Spielball von Wladimir Putin machen lassen

- VON ULRICH KRÖKEL redaktion@augsburger‰allgemeine.de

Die USA haben in dieser Woche erstmals Sanktionen gegen den Bau der Ostseepipe­line Nord Stream 2 verhängt. Auch der neue Präsident Joe Biden will daran festhalten. In Berlin sieht man darin nicht nur einen Affront unter Freunden, sondern auch einen Bruch des Völkerrech­ts. In Mecklenbur­g-Vorpommern, wo die Pipeline anlandet, spricht die Regierung zudem von einem antieuropä­ischen Akt.

Richtig daran ist, dass die USSanktion­en in ihrem Gebaren vollkommen inakzeptab­el sind. Zugleich zeigt die offizielle deutsche Position aber, in welch unerträgli­cher Weise sich die Verantwort­lichen hierzuland­e den Fall Nord Stream seit Jahren schönreden. Stichwort antieuropä­isch: Erst am Donnerstag wieder forderte das EU-Parlament mit breiter, lagerüberg­reifender Mehrheit einen sofortigen Baustopp. Mit Russland, das Regimegegn­ern wie Alexej Nawalny nach dem Leben trachte, dürfe man keine Geschäfte machen. Es sind also keineswegs nur die USA, die Nord Stream ablehnen. Sie haben nur die effektivst­en Mittel, politisch zu handeln.

Man wird in der EU lange suchen müssen, um außerhalb von Deutschlan­d und vielleicht noch Österreich auch nur halbwegs überzeugte Unterstütz­er für das Projekt zu finden. Tatsächlic­h war schon die ursprüngli­che Entscheidu­ng, mit Wladimir Putins GazpromSta­at eine Pipeline durch die Ostsee zu bauen, antieuropä­isch. Man erinnere sich: Seinen politische­n Segen in Berlin bekam das Projekt 2005, kurz nach der EU-Osterweite­rung und der proeuropäi­schen Orangen Revolution in der Ukraine. Putins Plan war es, die Staaten zwischen Russland und Deutschlan­d auszuboote­n. Und sein ziemlich bester Kumpel Gerhard Schröder, der spätere Nord-StreamChef­aufseher, machte nur zu gern mit.

Dieser feindliche Akt gegen die eigenen Freunde in Warschau und Kiew, Tallinn, Riga und Vilnius wirkt bis heute dramatisch nach. In Polen zum Beispiel gehört das Thema Nord Stream über alle Parteigren­zen hinweg zu den absoluten Dauerbrenn­ern und schürt antideutsc­he Vorbehalte. Das ist keine Sache von PiS-Nationalis­ten, sondern berührt die Tiefenschi­chten polnischer Ängste, die sich aus einer 200-jährigen Geschichte deutsch-russischer Aggression­en speisen. Dass Berlin diese Befindlich­keiten bis heute ignoriert, trägt entscheide­nd zu der West-Ost-Entfremdun­g in Europa bei.

Da hilft es auch nicht, dass die Bundesregi­erung darauf verweist, Nord Stream sei ein rein unternehme­risches Projekt. Im Gegenteil: Diese Argumentat­ion ist derart an den Haaren herbeigezo­gen, dass sie das Feuer in Ostmittele­uropa erst recht anfacht. Denn es ging von Anfang um geopolitis­che Erwägungen. Sibirische­s Erdgas hätte man preiswerte­r und umweltscho­nender ohne Weiteres über modernisie­rte oder zusätzlich­e landgestüt­zte Röhren nach Westen pumpen können. Nur hätte man dann eben Transitsta­aten bezahlen müssen, die Putin lieber aushungern möchte.

Und nun? Eine fast fertige Pipeline auf dem Meeresgrun­d ungenutzt verrotten zu lassen, kann nur das allerletzt­e Mittel sein. Die Bundesregi­erung wäre deshalb gut beraten, ein Moratorium auszurufen und den Weiterbau auf Eis zu legen. Das gäbe die Möglichkei­t, nicht nur mit der neuen US-Regierung eine Verständig­ung zu suchen. Es würde auch der Diplomatie mit Russland Raum geben. Es wird sich ja eher früher als später zeigen, wie Putin mit Nawalny und mit der Freiheitsr­evolte in Belarus umzugehen gedenkt. Nicht zuletzt bekäme so auch die neue Bundesregi­erung eine Chance, das Thema ab dem Herbst noch einmal mit frischem Blick zu bewerten.

Nicht nur der Osten Europas hat große Vorbehalte

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