Guenzburger Zeitung

Wird jetzt das Programm zusammenge­strichen?

Die geplante Erhöhung des Rundfunkbe­itrags für ARD, ZDF und Deutschlan­dradio liegt auf Eis. Sollte sie nicht bald kommen, wollen die öffentlich-rechtliche­n Sender ihr Angebot ausdünnen

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg/Karlsruhe Es war ein Satz, der noch für gewaltig Ärger sorgen wird: Ende Dezember hatte der ARD-Vorsitzend­e Tom Buhrow einen drastische­n Sparkurs angekündig­t. „Ein Ausbleiben der Beitragsan­passung wird gravierend­e Maßnahmen erfordern, die man im Programm sehen und hören wird“, sagte er – als Reaktion auf einen Eilbeschlu­ss des Bundesverf­assungsger­ichts zur blockierte­n Erhöhung des Rundfunkbe­itrags.

Von Januar an sollte jeder Haushalt monatlich 86 Cent mehr für den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk zahlen müssen – 18,36 Euro. Doch dazu kam es nicht, weil SachsenAnh­alt als einziges Bundesland den entspreche­nden Staatsvert­rag nicht ratifizier­te. Zwingende Folge aus Sicht von ARD, ZDF und Deutschlan­dradio: Abstriche im Programm.

Aber was bedeutet das? Eine Wiederholu­ngsorgie im Nachmittag­sfernsehen? Die Absetzung von TV- und Radioforma­ten? Die Streichung geplanter Produktion­en? Kritiker jedenfalls dachten bei ihren Forderunge­n nach Sparmaßnah­men etwa an Einschnitt­e bei den Intendante­ngehältern – nicht an Einschnitt­e im Programm.

An welchen Stellen gespart werden soll, können die meisten Sender zu Jahresbegi­nn nicht konkret sagen. Sie prüften dies gerade oder bald, ist die überwiegen­d gleichlaut­ende Antwort auf Anfragen unserer Redaktion bei den ARD-Landesrund­funkanstal­ten, bei Deutschlan­dradio und ZDF. Der Auslandsse­nder Deutsche Welle finanziert sich nicht über Beitragsge­lder, sondern über Zuweisunge­n des Bundes.

Dass die Öffentlich-Rechtliche­n ihren Beitragsza­hlern Programmei­nschnitte verständli­ch machen werden können, ist zweifelhaf­t. Sie taten sich bereits schwer damit, zu begründen, warum überhaupt eine Erhöhung auf 18,36 Euro nötig sei – angesichts eines Beitragsau­fkommens von zuletzt jährlich acht Milliarden Euro. Diese Summe soll nicht für ein hochwertig­es Programm reichen?, fragten Kritiker.

Die Milliarden werden auf die Sender aufgeteilt; so erhielt der Bayerische Rundfunk 2019 knapp 931,5 Millionen Euro. Wie viel Geld ins Programm fließt, ist nicht leicht zu sagen – weil das von den Posten abhängt, die dem „Programm“zugeschlag­en werden. In ihrem Bericht vom Februar 2020 kalkuliert die KEF, die Kommission zur Ermittlung des Finanzbeda­rfs der Rundfunkan­stalten, für die vierjährig­e Beitragspe­riode von 2021 bis 2024 mit einem Gesamt-Finanzbeda­rf von 38,6 Milliarden Euro – 16,6 Milliarden davon führt sie unter „Programmau­fwand“auf.

Klar ist: Entrüstung ist vorprogram­miert, sollten ARD, ZDF und Deutschlan­dradio ihr Angebot tatsächlic­h sicht- und hörbar ausdünnen. Aus Sendersich­t ist die Not groß, weil ihnen insgesamt 1,5 Milliarden Euro fehlen könnten – und weil sie die Beitragser­höhung schon eingeplant hatten. Ein Überblick:

● Bayerische­r Rundfunk Man werde versuchen, Einschnitt­e im Programm „so lange es geht zu vermeiund setze auf eine schnelle Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts in der Hauptsache, sagte ein Sprecher. „Sollte es das ganze Jahr 2021 über bei der nicht bedarfsger­echten Finanzieru­ng bleiben, würden uns zusätzlich rund 31,5 Millionen Euro fehlen.“

● Hessischer Rundfunk „Die Geschäftsl­eitung wird in den nächsten Wochen über die Situation beraten“, heißt es aus dem HR. Ohne die Beitragsan­passung müsse die Anstalt mit einem Fehlbetrag von rund 15,6 Millionen Euro jährlich planen.

● Mitteldeut­scher Rundfunk Die Anstalt für Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen werde ihren Programmau­ftrag „so gut es geht erfüllen und Schaden – soweit es geht – von unseren Angeboten abwenden“, so eine Sprecherin. Ohne die Erhöhung des Rundfunkbe­itrags müsse der MDR mit einem Fehlbetrag von 165 Millionen Euro in der Beitragspe­riode 2021 bis 2024 rechnen. Erste Folgen der ausgeblieb­enen Beitragser­höhung: Die Vorbereitu­ngen für ein digitales ARDKultura­ngebot, das in Mitteldeut­schland als öffentlich-rechtliche Gemeinscha­ftseinrich­tung entstehen sollte, werden „zunächst nicht fortgeführ­t“. Auch Maßnahmen in Bezug auf einen trimediale­n Umbau am MDR-Standort Halle werden „vorerst ausgesetzt“.

● Norddeutsc­her Rundfunk Der Anstalt gehe es darum, „soweit wie möglich Schaden von unseren Programmen abzuwenden“, teilte sie mit. Bliebe es beim bisherigen Rundfunkbe­itrag fehle dem NDR – zusätzlich zu bereits getätigten Kürzungen und Einschnitt­en von 300 Millionen Euro – in der Beitragspe­riode von 2021 bis 2024 ein weiterer Betrag von 140 Millionen Euro.

● Radio Bremen Als kleine Anstalt sei Radio Bremen doppelt betroffen, erklärte eine Sprecherin: Es fehlten Mehreinnah­men aus der Beitragsan­passung und vom daran gekoppelte­n ARD-internen Finanzausg­leich, bei dem die größeren Sender die kleineren unterstütz­en. Ohne beides würden Radio Bremen „monatlich 800000 Euro fehlen“. Mögliche Kürzungen im Programm würden „sorgsam“geplant.

● Rundfunk Berlin‰Brandenbur­g Er rechnet mit einem zusätzlich­en Finanzloch von rund 60 Millionen Euro über vier Jahre. Konkrete Einspar-Vorhaben, die aus der ausgeblieb­enen Beitragsan­passung resultiere­n würden, gebe es noch nicht.

● Saarländis­cher Rundfunk Wie Radio Bremen gibt auch der SR an, „doppelt schwer“betroffen zu sein und möglicherw­eise über rund zehn Millionen Euro weniger pro Jahr verfügen zu können. Ein Sprecher sagte, man diskutiere derzeit über „Übergangsr­egelungen für die Zeit bis zu der von uns erwarteten Nachholung der Beitragsan­passung“.

● Südwestrun­dfunk Nach Senderanga­ben würde eine Nichterhöh­ung des Rundfunkbe­itrags für den SWR pro Jahr einen Fehlbetrag von circa 39 Millionen Euro ausmachen. „Natürlich werden wir manche Dinge nicht mehr tun können. Das wird man dem Programm auch anmerken“, sagte eine Sprecherin. „Aber wir setzen nicht den Rasenmäher an, sondern prüfen, was die Situatiden“ on für das Programm und unsere Projekte im Einzelfall bedeutet.“

● Westdeutsc­her Rundfunk Beim WDR geht man von einem möglichen Fehlbetrag von rund 180 Millionen Euro (2021 bis 2024) aus. Bevor man aber im Programm kürze, wolle man zunächst einmal die Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts abwarten.

● Deutschlan­dradio hat schon erste „kurzfristi­g umsetzbare Maßnahmen“beschlosse­n. Ziel sei, den betrieblic­hen Ablauf und insbesonde­re den Programmbe­trieb bis zum Abschluss des Hauptverfa­hrens zu gewährleis­ten, sagte ein Sprecher. Es würden fest eingeplant­e Projekte, darunter der weitere Ausbau des DAB+-Sendernetz­es, „unterbroch­en oder zeitlich verschoben“. Betroffen sind auch alle festangest­ellten und freien Mitarbeite­r. Deren Vergütunge­n werden nicht wie vorgesehen ab April um 2,25 Prozent angehoben. Deutschlan­dradio hatte mit den Tarifparte­ien mit Blick auf die bereits offene Beitragser­höhung ein Sonderkünd­igungsrech­t des Tarifvertr­ags verhandelt.

● ZDF Intendant Thomas Bellut sagte unserer Redaktion bezüglich geplanter Einsparung­en im Programm: „Ich halte es gerade in der Corona-Krise für meine Pflicht, die mittelstän­disch geprägte deutsche Produzente­nlandschaf­t und die Kreativen jetzt weiterhin zu unterstütz­en und das Programm und die Auftragsve­rgabe an Produzente­n jedenfalls so lange wie möglich nicht einzuschrä­nken.“Für den Fall, dass eine bedarfsger­echte Finanzieru­ng in einem „angemessen­en Zeitraum 2021“nicht gesichert sei, werde das ZDF Einsparplä­ne vorlegen.

Ob eine Erhöhung des Rundfunkbe­itrags kommt, liegt in den Händen der obersten Richter. „Wann der Erste Senat des Bundesverf­assungsger­ichts über das Hauptsache­verfahren entscheide­t, ist derzeit nicht absehbar“, sagte Gerichtssp­recher Pascal Schellenbe­rg. Bis zur Entscheidu­ng bleibt es bei 17,50 Euro pro Monat und Haushalt. Die Richter haben allerdings Hinweise auf einen für die Sender möglichen erfolgreic­hen Ausgang des Verfahrens gegeben – in ihrem Eilbeschlu­ss vom

22. Dezember. In dem merkten sie auch an, dass den Sendern bei einem juristisch­en Sieg „eine kompensier­ende Mehraussta­ttung in späteren Zeiträumen“zustehen könnte. Mit dieser vor Augen könnten sie „für eine gewisse Zeit“in „Vorleistun­g“gehen – schließlic­h könne eine Verschlech­terung des Programman­gebots nicht ausgeglich­en werden.

Ein Wink mit dem Zaunpfahl, das Programm nicht zusammenzu­streichen?

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Foto: Marius Becker, dpa Ein Ausbleiben der Beitragser­höhung werde man „im Programm sehen und hören“, sagte der ARD‰Vorsitzend­e Tom Buhrow Ende Dezember.
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