Guenzburger Zeitung

Ein Palast am Meer

Ein Film des inhaftiert­en Kreml-Kritikers Nawalny zeichnet vom Präsidente­n das Bild eines krankhaft raffgierig­en Autokraten. Ein Russland-Experte hält das Video für schlüssig

- VON INNA HARTWICH UND SIMON KAMINSKI

Moskau Gerüchte gab es schon vor Jahren immer wieder. Der Präsident sei unermessli­ch reich, besitze eine prächtige Villa am Meer, wurde geraunt. Doch das könnte ein extremes Beispiel für Tiefstapel­ei sein. Die Kategorien Schloss oder Palast sind adäquater für das Anwesen am Schwarzen Meer, das in dem aktuellen Enthüllung­svideo des russischen Regierungs­kritikers Alexej Nawalny präsentier­t wird. „Es gibt einen Ort, der für all das steht, was man braucht, um Wladimir Putin verstehen zu können“, spricht der Macher des Films den Zuschauer direkt an. Das Dementi aus dem Kreml kam schnell: „Der Präsident besitzt keine Paläste.“

Weit über 25 Millionen Mal wurde das Video „Ein Palast für Putin. Geschichte der größten Bestechung“angeklickt. Über zwei Stunden wird ein korruptes Finanzsyst­em seziert, mit dem Putin derartige Reichtümer angehäuft haben soll, dass er sich einen Palast leisten kann, der auf umgerechne­t 1,1 Milliarden Euro taxiert wird. Der Film ist mit einer Flut von Daten, Interviews und Bildern gespickt. Einige Sequenzen vor Ort wurden offensicht­lich mit einer Drohne gedreht. Der im französisc­hen Stil gehaltene Prachtbau thront auf einem mehr als 17000 Quadratmet­er großen Grundstück direkt am Meer. Die

ist von viel Marmor, einer vorgelager­ten Austernfar­m, eigenen Weinbergen und einem Landeplatz für Helikopter. Ein animierter Rundgang zeigt Casino, Kinosaal und luxuriöse Schlafgemä­cher.

Der Erscheinun­gstermin des weitgehend während Nawalnys Zeit in Deutschlan­d produziert­en Videos erscheint mit Bedacht gewählt. Der Opposition­spolitiker wurde bei seiner Rückkehr am Flughafen in Moskau festgenomm­en. Seitdem sitzt er im Gefängnis. In Deutschlan­d hatte er sich von einer Vergiftung mit dem Kampfstoff Nowitschok erholt. Für das Verbrechen machen Experten im Westen den russischen Geheimdien­st verantwort­lich. Für diesen Samstag hat er seine Anhänger zu Protesten gegen die russische Regierung aufgeforde­rt.

Doch ist das Video auch seriös? „Ich halte das Video für weitgehend schlüssig. Es ist auch sehr gut gemacht. Man darf ja nicht vergessen, dass Nawalny ein sehr profession­elles, auch internatio­nales Recherchet­eam hinter sich hat. Manches basiert auf einem Enthüllung­sbuch der früheren Financial Times-Redakteuri­n Catherine Belton. Vieles ist ja auch schon vorher bekannt gewesen“, sagt der deutsche RusslandEx­perte Stefan Meister im Gespräch mit unserer Redaktion. Nawalny beschreibe ein System schwarzer Kassen sowie ein ausgeklüge­ltes Fondssyste­m, in das Oligarchen einzahlen und auf das er und sein Umfeld Zugriff haben. Nawalny selber nennt sein Werk im Film ein „psychologi­sches Porträt“, das zeigen solle, wie ein „einfacher Sowjetoffi­zier zu einem Irren wurde, der auf Geld und Luxus fixiert ist“.

Meister glaubt, dass sich der Westen zu lange Illusionen über die wirkliche Rolle gemacht hat, die Putin spielt. „In Deutschlan­d wird ja oft gesagt, Putin habe Oligarchen wie Chodorkows­ki entmachtet. Allerdings hat er ein neues Oligarchen-System

installier­t und ein globales Korruption­s- und Geldwäsche­system aufgebaut.“Ein Prozess, der sich über viele Jahre vollzogen habe. „Spätestens 2004 hatte Putin die Leute seines Vorgängers Boris Jelzin aus Schlüsselp­ositionen entfernt. Von da an kamen seine eigenen Leute aus Petersburg und dem Geheimdien­st an die Fleischtöp­fe“, sagt der Politikwis­senschaftl­er, der zurzeit das Kaukasus-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Georgien leitet.

Der Jurist und Blogger Nawalny thematisie­rt bereits seit Jahren Amtsmissbr­auch und Korruption ranghoher Regierungs­mitglieder. Prominente­stes Opfer war bisher im Jahr 2017 der frühere Premiermin­ister Dimitri Medwedew. Ebenfalls auf Youtube wurde der PutinRede

Vertraute als durch und durch korrupter Politiker attackiert, der Villen, protzige Jachten und weitere Reichtümer angehäuft hat.

Nun geht es um die Nummer eins, den Präsidente­n. Medien und Experten spekuliere­n seit Tagen, wie gefährlich Nawalny Putin tatsächlic­h werden könnte. Meister ist eher zurückhalt­end: „Nawalny ist jetzt zwar definitiv der wichtigste Opposition­spolitiker. Er würde in Moskau vielleicht 20 bis 30 Prozent erreichen, wenn die Wahlen wirklich frei wären. Ich sehe im Augenblick nicht, wie Nawalny Putin ernsthaft herausford­ern könnte. Der Sicherheit­sapparat hat die Lage im Griff.“Hinzu komme, dass nach wie vor eine große Mehrheit der Russen eher der staatliche­n Propaganda als Nawalny glauben würde. Gleichzeit­ig stehe Putin aber weit schlechter da als noch vor wenigen Jahren. „Seit 2010 sinken die Reallöhne. Die Reform der Pensionen von 2018 habe auch die treueste Klientel Putins – einfache Leute und Rentner – hart getroffen. Meister: „Die Unzufriede­nheit wächst.“

Die Staatsmach­t reagiert nervös und unsouverän. Nawalny wird durch die brutale staatliche Repression weiter aufgewerte­t. Für Stefan Meister geschehen die Fehler des Kremls fast zwangsläuf­ig: „Das sind, wie Putin, alles Sicherheit­sleute, die zu Paranoia neigen, wenn sie etwas nicht vollständi­g kontrollie­ren können.“

Putin schuf sein eigenes Oligarchen‰System

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Foto: Uncredited, Navalny Life, dpa Ein Schloss am Schwarzen Meer: Ist das wirklich das milliarden­schwere Refugium des russischen Präsidente­n Wladimir Putin? Der inhaftiert­e Kreml‰Kritiker Alexej Nawalny hat einen zweistündi­gen Film veröffentl­icht, der diesen Verdacht befeuert.

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