Der IS meldet sich blutig zurück
Anschläge und Attentate gehören im Irak noch immer zum Alltag. Doch der heimtückische Angriff auf Besucher eines Marktes hat eine neue Qualität. Nun rächt sich der von Donald Trump befohlene Rückzug der Amerikaner
Bagdad Hunderte weißer Kerzen stecken in dem sandigen Boden. In ihrer Mitte liegen ein paar irakische Fahnen, um die Lichter herum kauern junge Leute. Sie trauern um die 32 Toten in ihrem Wohnviertel Bab al-Sharqi, die durch einen Doppelanschlag auf den örtlichen Kleiderbasar ums Leben kamen. In der Nacht zu Freitag bekannte sich der „Islamische Staat“zu dem mörderischen Attentat auf den Arbeiterbezirk in Bagdad, der am östlichen Ufer des Tigris liegt. Der Angriff habe den schiitischen Muslimen gegolten, verkündete die Terrormiliz auf ihrem Propaganda-Kanal bei Telegram, der auch die Namen der beiden Selbstmordbomber nannte.
Nach Angaben von Augenzeugen täuschte der erste Täter plötzliche Bauchkrämpfe vor. Als Passanten ihm zur Hilfe kamen, sprengte er sich in die Luft. Kurz darauf riss sein Komplize weitere Menschen in den Tod. Mehr als hundert Besucher und Händler des Open-AirMarktes wurden verletzt. Fotos vom Tatort zeigten ein Bild der Verwüstung – blutende Opfer, abgerissene Gliedmaßen und zerfetzte Kleidertische. Am Freitag zog Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi erste Konsequenzen und entließ den für die Geheimdienste zuständigen Vize-Innenminister, den Direktor der Anti-Terror-Aufklärung sowie den Chef der Bundespolizei.
„Sicherheit ist nicht nur ein Wort für die Medien, es ist eine Verantwortung“, erklärte der sichtlich verärgerte Regierungschef, der selbst zuvor vier Jahre lang Leiter des Geheimdienstes war. Dieses schwerste Attentat in Bagdad seit drei Jahren ist Indiz dafür, dass von der IS-Terrormiliz nach dem Untergang ihres Kalifates auch in den Städten wieder akute Gefahr ausgeht. In ländlichen Regionen gehören Überfälle auf Kontrollpunkte, gezielte Hinrichtungen, Kidnappings und Straßenbomben
längst zum Alltag. Das Pentagon bezifferte die Zahl der Attentate im Irak für die ersten neun Monate 2020 auf fast 900, andere Quellen gehen von einer doppelt so hohen Zahl aus. Nach Erkenntnissen des UN-Weltsicherheitsrates operieren im Irak und in Syrien nach wie vor 10000 Dschihadisten, deren Kämpfer sich ungehindert zwischen beiden Ländern bewegen. Ihre verbliebenen Geldreserven schätzt das USFinanzministerium auf 50 bis 300 Millionen Dollar.
In dünn besiedelten Gebieten gebe es mittlerweile hunderte, wenn nicht tausende Verstecke, alle ausgestattet mit Kommunikationstechnik, Sprit, Generatoren, Sprengstoffvorräten und Bombenwerkzeug, erläuterte Michael Knights vom Washington Institute. In der Regel sind die Terrorkommandos nicht größer als fünf bis 15 Mann. Der IS sei nach wie vor eine Bedrohung, räumte kürzlich Iraks Außenminister Fuad Hussein ein und erklärte, sein Land brauche die Unterstützung der Region und der internationalen Gemeinschaft.
Auch wenn die irakischen AntiTerror-Einheiten in der Vergangenheit immer wieder IS-Zellen ausschalten konnten, alleine werden sie mit der Terrorgruppe nicht fertig. Sie sind angewiesen auf die Aufklärung durch amerikanische Drohnen und Luftschläge gegen IS-Verstecke. Trotzdem halbierte Präsident Donald Trump in der Schlussphase seiner Amtszeit die im Irak stationierten Spezialkräfte von 5200 auf 2500 Mann. Damit schuf er ein Sicherheitsvakuum, das den Irak jetzt mitten in einer politischen und wirtschaftlichen Multikrise trifft.
Durch die Corona-Pandemie fielen die Öleinnahmen ins Bodenlose, die Arbeitslosigkeit grassiert und die Regierung muss einen unpopulären Sparkurs durchsetzen. Die für Juni geplanten Parlamentswahlen wurden wegen der angespannten Lage bereits auf Oktober verschoben.