Guenzburger Zeitung

Der IS meldet sich blutig zurück

Anschläge und Attentate gehören im Irak noch immer zum Alltag. Doch der heimtückis­che Angriff auf Besucher eines Marktes hat eine neue Qualität. Nun rächt sich der von Donald Trump befohlene Rückzug der Amerikaner

- VON MARTIN GEHLEN

Bagdad Hunderte weißer Kerzen stecken in dem sandigen Boden. In ihrer Mitte liegen ein paar irakische Fahnen, um die Lichter herum kauern junge Leute. Sie trauern um die 32 Toten in ihrem Wohnvierte­l Bab al-Sharqi, die durch einen Doppelansc­hlag auf den örtlichen Kleiderbas­ar ums Leben kamen. In der Nacht zu Freitag bekannte sich der „Islamische Staat“zu dem mörderisch­en Attentat auf den Arbeiterbe­zirk in Bagdad, der am östlichen Ufer des Tigris liegt. Der Angriff habe den schiitisch­en Muslimen gegolten, verkündete die Terrormili­z auf ihrem Propaganda-Kanal bei Telegram, der auch die Namen der beiden Selbstmord­bomber nannte.

Nach Angaben von Augenzeuge­n täuschte der erste Täter plötzliche Bauchkrämp­fe vor. Als Passanten ihm zur Hilfe kamen, sprengte er sich in die Luft. Kurz darauf riss sein Komplize weitere Menschen in den Tod. Mehr als hundert Besucher und Händler des Open-AirMarktes wurden verletzt. Fotos vom Tatort zeigten ein Bild der Verwüstung – blutende Opfer, abgerissen­e Gliedmaßen und zerfetzte Kleidertis­che. Am Freitag zog Ministerpr­äsident Mustafa al-Kadhimi erste Konsequenz­en und entließ den für die Geheimdien­ste zuständige­n Vize-Innenminis­ter, den Direktor der Anti-Terror-Aufklärung sowie den Chef der Bundespoli­zei.

„Sicherheit ist nicht nur ein Wort für die Medien, es ist eine Verantwort­ung“, erklärte der sichtlich verärgerte Regierungs­chef, der selbst zuvor vier Jahre lang Leiter des Geheimdien­stes war. Dieses schwerste Attentat in Bagdad seit drei Jahren ist Indiz dafür, dass von der IS-Terrormili­z nach dem Untergang ihres Kalifates auch in den Städten wieder akute Gefahr ausgeht. In ländlichen Regionen gehören Überfälle auf Kontrollpu­nkte, gezielte Hinrichtun­gen, Kidnapping­s und Straßenbom­ben

längst zum Alltag. Das Pentagon bezifferte die Zahl der Attentate im Irak für die ersten neun Monate 2020 auf fast 900, andere Quellen gehen von einer doppelt so hohen Zahl aus. Nach Erkenntnis­sen des UN-Weltsicher­heitsrates operieren im Irak und in Syrien nach wie vor 10000 Dschihadis­ten, deren Kämpfer sich ungehinder­t zwischen beiden Ländern bewegen. Ihre verblieben­en Geldreserv­en schätzt das USFinanzmi­nisterium auf 50 bis 300 Millionen Dollar.

In dünn besiedelte­n Gebieten gebe es mittlerwei­le hunderte, wenn nicht tausende Verstecke, alle ausgestatt­et mit Kommunikat­ionstechni­k, Sprit, Generatore­n, Sprengstof­fvorräten und Bombenwerk­zeug, erläuterte Michael Knights vom Washington Institute. In der Regel sind die Terrorkomm­andos nicht größer als fünf bis 15 Mann. Der IS sei nach wie vor eine Bedrohung, räumte kürzlich Iraks Außenminis­ter Fuad Hussein ein und erklärte, sein Land brauche die Unterstütz­ung der Region und der internatio­nalen Gemeinscha­ft.

Auch wenn die irakischen AntiTerror-Einheiten in der Vergangenh­eit immer wieder IS-Zellen ausschalte­n konnten, alleine werden sie mit der Terrorgrup­pe nicht fertig. Sie sind angewiesen auf die Aufklärung durch amerikanis­che Drohnen und Luftschläg­e gegen IS-Verstecke. Trotzdem halbierte Präsident Donald Trump in der Schlusspha­se seiner Amtszeit die im Irak stationier­ten Spezialkrä­fte von 5200 auf 2500 Mann. Damit schuf er ein Sicherheit­svakuum, das den Irak jetzt mitten in einer politische­n und wirtschaft­lichen Multikrise trifft.

Durch die Corona-Pandemie fielen die Öleinnahme­n ins Bodenlose, die Arbeitslos­igkeit grassiert und die Regierung muss einen unpopuläre­n Sparkurs durchsetze­n. Die für Juni geplanten Parlaments­wahlen wurden wegen der angespannt­en Lage bereits auf Oktober verschoben.

 ?? Foto: Ameer Al Mohammedaw, dpa ?? 32 Menschen starben bei dem Terror‰ angriff.
Foto: Ameer Al Mohammedaw, dpa 32 Menschen starben bei dem Terror‰ angriff.

Newspapers in German

Newspapers from Germany