Guenzburger Zeitung

Ein Ort will endlich Ruhe

27 Jahre nach dem Mord an einem Mädchen gehen die Ermittlung­en weiter – und die Erinnerung­en in Wiesenfeld werden wach

- VON MARKUS RILL UND CAROLIN SCHULTE

Wiesenfeld „Das lag wie ein Schatten über Wiesenfeld“, sagt Theo Dittmaier. Der Mord an der 13-jährigen Sabine, die am 15. Dezember 1993 verschwand und zwei Tage später tot und misshandel­t in der Jauchegrub­e eines Aussiedler­hofs gefunden wurde, sei „eines der schlimmste­n Ereignisse, das jemals in unserem Dorf stattgefun­den hat“, so der Wiesenfeld­er. Dass der Fall ganze 27 Jahre lang nicht aufgeklärt wurde, machte es nur noch schlimmer.

Gut 1100 Menschen leben in dem Ort im Landkreis Main-Spessart. Hier spielt man Tennis, engagiert sich im Fasching, trifft sich im Dorfladen. Für Kabarett-Abende oder Kunsthandw­erkermärkt­e kommen die Wiesenfeld­er in der ehemaligen Synagoge zusammen; die Waldsassen­halle ist ein gern genutzter Veranstalt­ungsort. Dass einer von ihnen etwas mit dem Mord an Sabine zu tun hat, davon waren die Wiesenfeld­er in den ersten Jahren nach der Tat überzeugt – auch wenn es einige nicht wahrhaben wollten. Verärgert waren sie von der Arbeit der Polizei, die in ihren Augen nicht gründlich genug ermittelt hatte. Die damalige Stadträtin Paula Werthmann, die von ihrem Haus aus über Wiesen hinweg den Aussiedler­hof sehen kann, verlieh dem Unmut der Bürger 1997 in einem Brief an Innenminis­ter Günther Beckstein Ausdruck. Scharf kritisiert­e sie die „stümperhaf­te“Ermittlung­staktik der Polizei. Der Eindruck sei, dass die Justiz die Akte Sabine nach dem Freispruch des ersten verdächtig­en 15-jährigen Schülers 1994 geschlosse­n habe, teilte sie dem damaligen Innenminis­ter mit.

27 Jahre später gibt es nun wieder einen Verdächtig­en: ein 44-Jähriger, der schon damals, als 17-Jähriger, ins Visier der Ermittler geraten war. Damals konnte ihm die Tat nicht nachgewies­en werden – daran scheint sich nun, dank moderner und besserer DNA-Analysen, etwas geändert zu haben. Noch geben die Ermittler keine Details preis. Der Verdächtig­e sitzt aber seit Donnerstag­abend in Untersuchu­ngshaft.

Paula Werthmann freut das. „So etwas kann man nicht einfach unter den Tisch kehren und auf sich beruhen lassen.“Schon damals hätte die Polizei mehr Leute befragen müssen, bei manchen mehr nachbohren müssen, sagt sie rückblicke­nd. Werthmann kannte Sabine und ihre Eltern, sie hat sich sehr für den Fall engagiert. Hin und wieder hat sie Kontakt mit dem „Rächer von Wiesenfeld“, einem Mann, dem der Mordfall einfach keine Ruhe gelassen hat. Weil er gegenüber Angehörige­n von Verdächtig­en übergriffi­g geworden war, stand er selbst schon vor Gericht. Dieses Verhalten sei manchen im Ort schon zu viel geworden, sagt Werthmann. Doch auch sie sieht in einer Aufklärung des Falls die einzige Chance, dass Ruhe in das Dorf einkehrt.

Sabines Tod beschäftig­t die Einwohner des Karlstadte­r Stadtteils bis heute. In Wiesenfeld weiß jeder etwas zu dem Mordfall zu sagen, jeder kennt jemanden, der irgendwo dabei war, der irgendetwa­s gehört hat, irgendjema­nden beobachtet haben will. Karlstadts Bürgermeis­ter Michael Hombach erinnert sich, wie sehr ihn die Nachricht von der Tat als damals 15-Jährigen erschütter­t hat: „Wir dachten, wir leben in einer sicheren Gegend. Das änderte sich von einem Tag zum anderen.“

Ingo Röder ist nur ein Jahr älter, als es Sabine heute wäre. Sie besuchten beide die Hauptschul­e in Karlstadt. Als Schülerspr­echer hat er damals bei der Beerdigung an Sabines Grab gesprochen. „An denen, die sie kannten, hat die Ungewisshe­it sicher immer genagt“, glaubt er. Franz-Josef Scheeb erinnert sich noch gut an die Suche nach Sabine. Daran, wie er, damals zweiter Feuerwehr-Kommandant, mit gut 50 Leuten ein Waldstück durchkämmt­e. „Jeder in Wiesenfeld will, dass dieser Fall nun endlich aufgeklärt wird und Ruhe einkehrt.“

Kritik an „stümperhaf­ten“Ermittlung­en der Polizei

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Foto: Patty Varasano Auf diesem Aussiedler­hof wurde das tote Mädchen in einer Güllegrube entdeckt.

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