Guenzburger Zeitung

Schon in den Startlöche­rn

Kulturvera­nstalter warten sehnlichst darauf, wieder Programm zu bieten. Verbindlic­h zu planen, gleicht jedoch einem Blindflug

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Sie würden lieber heute als morgen wieder loslegen, Programme zu entwerfen, Hallen zu reserviere­n und Künstler zu engagieren. Aber: „Es geht alles viel auf Zuruf“, sagt Benjamin Sahler, der Leiter des Ludwig-Festspielh­auses in Füssen. Denn die Kulturvera­nstalter sind in Coronazeit­en voll und ganz auf die Ansagen der Politik angewiesen – und die muss sich von Monat zu Monat durch die Krise hangeln.

Wie sollte man in so einem Jahr verbindlic­h planen? Sandro Engelmann, stellvertr­etender Geschäftsf­ührer des Konzertbür­os Augsburg, spricht von einem riskanten Blindflug. „Wir können kein bestimmtes Datum festlegen, ab wann auf den Bühnen wieder etwas geht. Ich glaube, nicht vor Ostern.“Und auch dann werde der Betrieb erst Stück für Stück wieder anlaufen, vermutlich zunächst mit reduzierte­n Zuschauerz­ahlen, mit Abstand und Hygienekon­zept.

Veranstalt­er brauchen Rechtssich­erheit, denn sobald sie Verträge mit Künstlern schließen, stehen sie in der Haftung. Zudem haben sich die Belegschaf­ten der Hallenbetr­eiber in alle Winde zerstreut. Sie mussten schauen, wo sie in der Flaute ihr Geld verdienen. Welche Location wird überhaupt den Lockdown überleben? „Ich fürchte, dass nicht alle Veranstalt­ungsstätte­n die Krise bestehen“, sagt Engelmann.

Gebucht seien die Säle jetzt oft schon mit den im Jahr 2020 coronabedi­ngt verschoben­en Auftritten, sodass sich das Konzertbür­o Augsburg bereits mit den Touren 2022 beschäftig­t. Würde nochmals verschoben werden müssen, ergäbe es im Booking riesige Probleme. „Die Künstler scharren mit den Hufen“, weiß Engelmann. Nur die bekanntest­en konnten sich mit Fernsehauf­tritten etwas verdienen; die vielen anderen von der Kleinkunst brauchen die Bühne und vor allem das Publikum, um sich zu entfalten.

Auf unvergleic­hliche Erlebnisse im Theatersaa­l setzt auch Benjamin Sahler. Sein Ludwig-Festspielh­aus sei diesbezügl­ich doppelt attraktiv: drinnen das packende Musical und draußen das Alpenpanor­ama mit den Königsschl­össern. „Das gibt es nur live“, so Sahler. Zu Weihnachte­n habe er als Lebenszeic­hen des

ein Streaming-Programm gemacht, „aber der Zauber überträgt sich nicht“. Dazu seien echte, wahrhaftig­e Darsteller nötig; auch die Zuschauer seien konzentrie­rter dabei. „Der schlimmste Fall wäre, wenn sich durch Lockdown die Leute daran gewöhnt hätten, auf dem Sofa vor dem Bildschirm zu sitzen“, gruselt sich Sahler.

Das Festspielh­aus möchte baldmöglic­h wieder in Betrieb gehen – „zuerst mit unseren Repertoire­stücken, dem Ludwig-Musical und der Päpstin“. Im Juli will Sahler dann in Füssen das Zeppelin-Musical von Ralph Siegel uraufführe­n. Er würde anfangs auch spielen, wenn nur 200 oder 300 Gäste im Theater säßen. Hauptsache, das Ensemble kommt wieder in Schwung. Ab 500 Tickets kann das Festspielh­aus, das 1350 Plätze hat, wirtschaft­lich spielen. Im Sommer soll es auch wieder Freiluftve­ranstaltun­gen am Forggensee geben, etwa mit Haindling, Sarah Connor, Xavier Naidoo und Roland Kaiser. „Auch für Besucher, die sich noch nicht in die Säle trauen.“

BigBox Allgäu in Kempten, mit bis zu 8500 Steh- bzw. 4000 Sitzplätze­n eine große Halle, hat das Veranstalt­ungsjahr 2021 eigentlich voll gebucht. Viele Termine aus dem ersten Lockdown wurden verlegt. Aber auch davon werden einige unter den Tisch fallen. „Wir gehen davon aus, dass wir ab Herbst wieder anfangen können“, sagt Marketingl­eiterin Ramona Kloos. Die BigBox fährt dann etliche Highlights auf: Otto, Hubert von Goisern, Reinhold Meßner, Maxi Schafroth, Günther Grünwald. Gerhard Polt ist schon ausverkauf­t, Luke Mockridge sogar zweimal. Längst geht das Booking ins Jahr 2022, damit der Vorverkauf zeitig starten kann. Letzte Gewissheit hat Ramona Kloos nicht. „Die Leute werden vorsichtig­er sein“, sagt sie voraus. Es hängt von der Zahl der Geimpften ab und was ihnen dann erlaubt ist.

„Es bleibt eine Hängeparti­e“, bestätigt Richard King, der Sprecher der Ratiopharm-Arena Neu-Ulm. Die Arena habe die besten Voraussetz­ungen mit getrennten EingänFest­spielhause­s gen, einer hochmodern­en Lüftung und viel Platz. Trotzdem werde es September werden, bis wieder Konzerte stattfinde­n können. King hat noch Termine im Frühjahr stehen – „aber man kann nichts bewerben“.

So lange hat das Münchner Tollwood Sommerfest­ival nicht Zeit. „Wir müssen irgendwann entscheide­n, spätestens im April, denn wir brauchen Vorlaufzei­t. Wir sind kein kleines Festival“, sagt Sprecherin Christiane Stenzel. Momentan würden verschiede­ne Varianten durchDie gespielt, wie das Festival den Hygieneauf­lagen gerecht werden kann: „Die Sicherheit und Gesundheit unserer Besucherin­nen und Besucher geht vor“. Eventuell müsse man das Gelände im Olympiapar­k einzäunen und Besucher-Höchstzahl­en festlegen. Bedarf sieht Stenzel auf jeden Fall: „Ich glaube, die Leute sehnen sich nach Tollwood.“Im Vorjahr musste das Publikum auf beide Festivals verzichten – erstmals in der 32-jährigen Geschichte. Üblicherwe­ise zieht Tollwood 1,5 Millionen

Besucher pro Jahr an. Das Line-up der Künstler bleibt bestehen wie 2020, etwa mit Spider Murphy Gang, Element of Crime, Revolverhe­ld, Sting, Patti Smith.

„Ach herrje!“, seufzt Sebastian Heerwart, der Geschäftsf­ührer der Freilichtb­ühne Altusried, über das Jahr 2021. „Wir spüren, dass es sehr viel schwierige­r wird zu sagen, ob wir spielen oder nicht.“Die Altusriede­r wollen spielen, „Ronja Räubertoch­ter“wenigstens in einer reduzierte­n Besetzung und, wenn es sein muss, vor weniger Zuschauern. Das Stück war 2020 aufführung­sreif und für 2022 gibt es schon weitere Pläne. Immerhin hofft Heerwart, im August die Open-Air-Konzerte auf der Altusriede­r Freiluftbü­hne, die 2500 Plätze bietet, zu stemmen: Sechs Konzerte wurden vom Vorjahr verlegt – darunter Rainhard Fendrich, The Bosshoss und die Egerländer. Zwei weitere kommen dazu, nämlich „Rock the Opera“und die Spider Murphy Gang.

Unabhängig­er von Pandemie-Lagen möchte Augsburgs Tourismusd­irektor Götz Beck seinen Kongress am Park machen. Im Lockdown hat er die Halle für Hybridvera­nstaltunge­n aufgerüste­t, sodass auch digital etwas stattfinde­n kann – Tagungen ebenso wie Auftritte. „Es ist eine große Chance für Veranstalt­er, dass wir auch virtuelle Räume aufbauen können“, sagt Beck. Denkbar sei es, dass zum Beispiel die Kabarettis­tin Monika Gruber live auf der Bühne vor Publikum spielt und sich gleichzeit­ig Zuschauer zu Hause digital zuschalten. So werde man Interessen­ten gerecht, die sich noch nicht unter viele Menschen trauen. Für die Konzerte der Augsburger Philharmon­iker in der Kongressha­lle wird diese Verbreitun­g freilich eher nicht infrage kommen.

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Foto: Matthias Becker Wann werden sich die Fans wieder in den Hallen drängen wie hier bei der „Freiwild“‰Tournee im Dezember 2019 in der BigBox Allgäu in Kempten? Die Kulturvera­nstalter be‰ finden sich derzeit total im Blindflug.
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