Guenzburger Zeitung

„Ich konnte Bilder erzeugen“

Ihr Name ist allen ein Begriff, die Fußballspi­ele am Radio verfolgen: Sabine Töpperwien. Nun hört sie auf. Ein Gespräch über Pioniergei­st und den Verein ihres Herzens

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Sabine Töpperwien, am Donnerstag hat der WDR Ihren Rückzug aus dem Berufslebe­n verkündet. Welche Reaktionen sind bei Ihnen eingelaufe­n? Töpperwien: Vor allem sind es so viel mehr, als ich erwartet hatte – mit einem derart überwältig­enden Feedback habe ich nicht gerechnet. Ob auf dem Handy, per Mail oder in den sozialen Netzwerken – Kolleginne­n, Kollegen, Zuhörerinn­en und Zuhörer haben sich gemeldet und Erinnerung­en geteilt, meistens in Zusammenha­ng mit der Bundesliga-Konferenz. Und das Schönste: 99,5 Prozent waren positiv. Mir ist das Herz aufgegange­n.

Als Sie vor über 35 Jahren in den Beruf einstiegen, waren die Reaktionen bestenfall­s geteilt. Frauen, die über Fußball berichtete­n, hatten es schwer in der Öffentlich­keit, aber auch bei den männlichen Kollegen.

Töpperwien: Das kann man wohl sagen. Ich kann mich noch gut an meine erste Konferenz beim NDR erinnern. Ich wurde als neue freie Mitarbeite­rin gefragt, über welche Sportarten ich gern berichten würde. Ich sagte „Fußball“– und ich werde nie vergessen, wie mich zwölf Augenpaare entgeister­t ansahen. Der Chef sagte dann: „Aber Sie sind doch eine Frau!“In dem Moment war mir klar, dass der Weg zu meinem Traumziel härter werden würde als gedacht.

Man hat Ihnen dann rhythmisch­e Sportgymna­stik angeboten … Töpperwien: … aber das habe ich abgelehnt, weil ich keine Ahnung davon hatte. Wir haben uns dann erst mal auf Hockey geeinigt, aber ich habe immer auf meine Chance gelauert. Als dann im September 1987 keiner für einen dreiminüti­gen Telefonber­icht mit Schlusspfi­ff zum Amateurobe­rligaspiel zwischen Concordia Hamburg und TSV Havelse gehen wollte, kam ich zu meinem ersten Live-Einsatz. Trainer in Havelse war übrigens Volker Finke, mit dem ich später über dieses Spiel gesprochen habe. Ein paar Wochen später gab ich mein Debüt als Live

Reporterin in der 2. Bundesliga – im Hindenburg­stadion des SV Meppen, der gerade aufgestieg­en war. Es drängte die Kollegen in Hamburg nicht mit Macht in die emsländisc­he Provinz. Irgendwie passte das ja: Weder der SV Meppen noch die Reporterin wurden damals mit offenen Armen empfangen. Ich habe mich dort jedenfalls sehr wohlgefühl­t.

1989 waren Sie wieder die Erste – der NDR nominierte Sie für das Bundesliga­spiel FC St. Pauli gegen den Hamburger SV am 16. September. Bis dahin hatte noch nie eine Frau ein Bundesliga­spiel live im Radio kommentier­t.

Töpperwien: Ja, aber das war letztlich nur ein PR-Gag und keine Anerkennun­g meiner Arbeit. Ich hatte bereits beim WDR unterschri­eben, weil man mir dort zusicherte, über Fußball berichten zu können – Bundesliga inklusive. Die verantwort­lichen Herren beim NDR ahnten, dass es um einen Eintrag ins Bundesliga-Geschichts­buch ging und wollten sich diese Premiere noch schnell ans Revers heften. Das Spiel endete 0:0 – mein erster Bundesliga­Torschrei war also im WDR zu hören …

Im Gegensatz zu vielen Kollegen, für die der Hörfunk ein Sprungbret­t zur TV-Karriere war, hat es Sie nie mit Macht zum Fernsehen gezogen. Warum blieben Sie dem Hörfunk treu? Töpperwien: Ganz einfach: Ich liebe das Medium Radio! Gerade im Sport bietet es die einmalige Möglichkei­t, sich zu hundert Prozent einzubring­en. Ich habe es genossen, nicht nur ein Bild begleitend zu kommentier­en, sondern für den Zuhörer alles zu sein: Ich konnte Bilder erzeugen, Stimmungen transporti­eren, Fachliches und Emotionen verbinden – mit meinem Wissen, meiner Empathie und meiner Stimme. Diese Faszinatio­n – für Reporter und Hörer – bietet nur das Radio.

Je mehr Sie beim WDR Management­aufgaben und 2001 die Leitung der Hörfunkred­aktion Sport übernahmen, desto weniger konnten Sie Ihrer Leidenscha­ft Live-Reportage folgen. Haben Sie das mal bereut? Töpperwien: Es stimmt, meine Leidenscha­ft gehört dem Job im Stadion. Aber es war auch eine Herausford­erung, die Redaktion als Teamplayer zu führen. Höhepunkt war sicherlich die Aufgabe, bei der WM 2006 das gesamte ARD-Hörfunktea­m zu koordinier­en und zu steuern. Da musste ein bundesweit­es Puzzle gelegt werden. Dass ich als ARD-Teamchefin auf diese Weise am legendären Sommermärc­hen beteiligt war, hat viel Spaß gemacht. Wir hatten im Team ein tolles WirGefühl, wie eine Sportmanns­chaft. Mein Credo war immer: Erst, wenn das letzte Glied in der Kette motiviert ist und gut arbeitet, ist auch das Gesamtprod­ukt gut.

Ein ganz anderer Ritterschl­ag Ihrer Laufbahn war wohl, dass Otto Rehhagel Sie als Gesprächsp­artnerin akzeptiert hat – obwohl für ihn ja lange Frauen nur in der Rolle der Spielerfra­u im Fußball einen Platz hatten. Wie haben Sie das hinbekomme­n? Töpperwien: Es lag an seiner Frau Beate. Sie hatte mich im Radio gehört und ihrem Mann gesagt: „Da gibt es jetzt eine, die macht das richtig gut – mit der kannst Du ruhig reden.“Geholfen hat mir auch der Name, denn mein Bruder Rolf hatte ja lange einen sehr guten Draht zu Otto.

Nun ist also Schluss, und zwar abrupt. Schon an diesem Wochenende sind Sie nicht mehr im Einsatz. Warum gönnen Sie sich kein Abschiedss­piel? Töpperwien: Weil das in diesen Corona-Zeiten einfach überhaupt keinen Spaß machen würde – das wäre trostlos. Sich sozusagen ganz offiziell in einem leeren Stadion von diesem Beruf verabschie­den, in dem ich es immer ganz besonders genossen habe, mich von der Atmosphäre und der Stimmung in einem vollen Stadion packen zu lassen und das dann an die Zuhörer weiterzuge­ben – nein, das wollte ich nicht.

Vielleicht gibt es ja ein Kurz-Comeback, wenn alle wieder ins Stadion dürfen. Welches Spiel hätten Sie denn gern?

Töpperwien: Ja, über diese Möglichkei­t habe ich auch schon nachgedach­t. Ich habe meinen Kolleginne­n und Kollegen zum Abschied gesagt: „Wenn ihr mich nicht vergesst und mir was Gutes tun wollt, dann würde ich gern das Spiel des 1. FC Köln gegen Bayern München kommentier­en“– Köln ist meine zweite Heimat, hier lebe ich seit 31 Jahren und der FC Bayern ist seit Kindertage­n der Verein meines Herzens. Es würde auch in anderer Hinsicht passen, denn das war auch die letzte Paarung, die ich vor Corona kommentier­en durfte – 1:4 am 16. Februar 2020.

Zum Abschluss eine Frage, die Sie vor fast neun Jahren mit „Absolut ausgeschlo­ssen“beantworte­t haben: Glauben Sie, dass wir es noch erleben, dass eine Frau das Finale einer WM oder EM im TV kommentier­t?

Töpperwien: Nein, zu meinen Lebzeiten wird es das nicht geben. Die Entscheidu­ngsträger werden auch dann noch durchweg Männer sein …

„Diese Faszinatio­n bietet nur das Radio.“

Interview: Harald Pistorius

 ?? Foto: Witters ?? Sabine Töpperwien gibt samstags nicht mehr zurück in die angeschlos­senen Funkhäuser. Die 60‰Jährige war die erste Frau, die regelmäßig in der Bundesliga­konferenz im Ra‰ dio zu hören war. Die Aufnahme datiert aus dem Jahr 1989. Mit 60 Jahren verabschie­det sie sich in den vorzeitige­n Ruhestand.
Foto: Witters Sabine Töpperwien gibt samstags nicht mehr zurück in die angeschlos­senen Funkhäuser. Die 60‰Jährige war die erste Frau, die regelmäßig in der Bundesliga­konferenz im Ra‰ dio zu hören war. Die Aufnahme datiert aus dem Jahr 1989. Mit 60 Jahren verabschie­det sie sich in den vorzeitige­n Ruhestand.

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