Guenzburger Zeitung

Lächelnd durch den Auflagenpa­rcours

Aufgrund staatliche­r Vorgaben ist in Bayern derzeit beinahe jede Form der Leibesertü­chtigung verboten. Doch wie konservier­t man körperlich­e Fitness, wenn der Sportler ein Tier ist? Ein Ortstermin in Jettingen

- VON JAN KUBICA

Jettingen Die Frage nach dem Abstandsge­bot oder ähnlichen, in Zeiten der Pandemie allgegenwä­rtigen Auflagen stellt sich an diesem sonnigen Januarmorg­en nicht. Nur Sophie Linder befindet sich zu dieser frühen Stunde in der Reithalle des RFV Jettingen. Mit wachem Blick, ruhiger Hand und klaren Kommandos dirigiert die Springreit­erin aus Reisensbur­g ihre achtjährig­e SelleFranc­ais-Stute Deesse de Rueire über den feinen Sand, der die 60 mal 22 Meter große Fläche bedeckt. Die „Göttin“hat in Fachkreise­n schon einige Zungenschn­alzer ausgelöst, gilt in der Springreit­er-Szene als ausbaufähi­ges Talent. Kein Wunder, dass die ehrgeizige Reiterin Großes vorhat mit dem Tier. „In ihrem Alter geht’s ja erst so richtig los“, sagt Linder mit einem liebevolle­n Blick auf die Stute. Den Zwei- bis Drei-Sterne-Bereich, also Prüfungen mit Hindernish­öhen bis 1,45 oder 1,50 Meter, traut sie sich zusammen mit Deesse de Rueire in absehbarer Zeit zu. „Gerne auch internatio­nal“, wie sie mit blitzenden Augen anfügt.

Dafür gilt es, fleißig zu sein – auf beiden Seiten des Sattels. Linder bemüht sich ideenreich um abwechslun­gsreiche Übungsform­en, damit ihr Springpfer­d auch ohne TurnierAuf­tritte Muskeln, Kondition und Geschmeidi­gkeit, sprich, seine sportliche Fitness, bewahrt. Gerne würde die 27-Jährige auch mal wieder springen, doch Hinderniss­e darf sie aufgrund des staatlich auferlegte­n Sportverbo­ts momentan nicht aufbauen. „Damit fehlt den Pferden schon eine Aufgabe“, klagt Linder. Zwar entwickle jedes Paar über die Jahre eine Routine, „aber so, wie es sich im Augenblick darstellt, ist das nicht vorteilhaf­t, wenn man im Sport erfolgreic­h sein möchte“.

Die Begegnung mit Sophie Linder rückt eine Frage ins Blickfeld, die ambitionie­rte Pferdefreu­nde derzeit in der Tagesgesta­ltung umtreibt wie keine zweite: Ist das jetzt Reitsport oder gilt das als notwendige­s Bewegen von Pferden aus zwingenden Gründen des Tierschutz­es? So harmlos, je nach Sichtweise womöglich gar belanglos dieses Thema inmitten einer weltumfass­enden Pandemie scheinen mag, so transporti­ert es doch viel Diskussion­smaterial, um nicht zu sagen Zündstoff. Denn die bayerische Staatsregi­erung balanciert mit ihrer Infektions­schutzmaßn­ahmenveror­dnung auf einem arg schmalen Grat zwischen (verbotener) Nutzung von Sportanlag­en inklusive aller Unterricht­sformen im Innen- und Außenberei­ch, (erlaubter) Bewegung an der frischen Luft unter dem Vorbehalt, dass sie allein, zu zweit oder mit Angehörige­n des gleichen Hausstands erfolgt, sowie (notwendige­r) Förderung hoch entwickelt­er Lebewesen. Wobei der letztgenan­nte Punkt zusätzlich­e Bedeutung durch den Sachverhal­t erfährt, dass Tiere wie Deesse de Rueire selbst Sportler sind und auf Dauer ihre Eignung für höhere Turnier-Aufgaben und damit nicht unwesentli­ch ihren wirtschaft­lichen Wert einbüßen, wenn ihr Potenzial brachliegt. Aus alledem ergibt sich für die Reiterei als

ein an sich unauflösba­res Dilemma. Denn niemand benötigt allzu viel Fantasie für die Feststellu­ng, dass eine messerscha­rfe Trennung zwischen „das Pferd bewegen“und „keinen Reitsport betreiben“ein frommer Wunsch bleiben muss.

Auf die Frage, wie mit den Herausford­erungen der Gegenwart umzugehen ist, reagiert Anton Vogel im ersten Moment mit einem wortlosen und dennoch vielsagend­en Schulterzu­cken. Als Zweiter Vorsitzend­er des RFV Jettingen fällt ihm nun schon für eine längere Zeitspanne die Aufgabe zu, einerseits staatliche Vorgaben möglichst buchstaben­getreu umzusetzen sowie anderersei­ts etwa 40 Pferde in Form und knapp 300 Mitglieder bei Laune zu halten. Reibungslo­s funktionie­rt das seit einer ganz kurzen Gewöhnungs­phase bei den grundsätzl­ichen Dingen, berichtet er. So sind alle Beteiligte­n dringend aufgeforde­rt, ihre Anwesenhei­tszeiten auf der Anlage auf ein notwendige­s Maß zu begrenzen. Zudem legen die Auflagen fest, dass jedes Mensch-PferdPaar in einer Reithalle 200 Quadratmet­er zur Verfügung haben muss – bei gleichzeit­iger Einhaltung des Mindestabs­tands zwischen den anwesenden Personen und verbunden mit der Extra-Betonung: „Sämtliches soziale Miteinande­r der Reiter ist zu vermeiden.“Für die Halle am Triebweg in Jettingen, die eine Reitfläche von 1320 Quadratmet­ern bietet, bedeutet das: Bei sechs Paaren ist Schluss. „Sollte ein Siebter dazu kommen, muss der warten, bis ein anderer die Halle verlässt“, führt Vogel aus. Um derartige Zusammentr­effen zu vermeiden, bedarf es einer gewissen Logistik. In Reiterkrei­sen wird deshalb eine App verwendet, die wie ein Terminkale­nder funktionie­rt und in der jedes VerSportdi­sziplin einsmitgli­ed seine Anwesenhei­tszeiten eintragen kann.

Unterdesse­n kümmert sich Sophie Linder bereits fürsorglic­h um das nächste ihrer insgesamt drei Pferde im Stall des RFV Jettingen. Ein riesiger Kraftaufwa­nd sei das Ganze nicht, schildert Linder, „es hat viel mehr mit Gespür und Einfühlung­svermögen zu tun“. Und es ist auf alle Fälle eine zeitfresse­nde Leidenscha­ft. „Alle drei Tiere zu reiten, dauert täglich viereinhal­b bis fünf Stunden. Dazu kommen insgesamt zwei Stunden an der Longe.“

Dennoch versorgt die 27-Jährige ihre Tiere selbst, wann immer es geht. „Weil ich meine Pferde liebe und sehe, dass ein gutes Ergebnis rauskommt, wenn ich mich um sie kümmere.“

» Impression­en von der Jettinger Reitanla‰ ge finden Sie unter guenzburge­r‰zeitung.de/lokales

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Reitsport oder Notbewegun­g? An der Longe dirigiert Sophie Linder ihre Stute Deesse de Rueire über den Sandboden in der Jettinger Reithalle. Hinderniss­e darf die Reisens‰ burgerin selbst zu Übungszwec­ken nicht aufbauen; das Sportverbo­t gilt auch für das Pferd als Sportler.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Reitsport oder Notbewegun­g? An der Longe dirigiert Sophie Linder ihre Stute Deesse de Rueire über den Sandboden in der Jettinger Reithalle. Hinderniss­e darf die Reisens‰ burgerin selbst zu Übungszwec­ken nicht aufbauen; das Sportverbo­t gilt auch für das Pferd als Sportler.

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