Guenzburger Zeitung

Besserer Blick ins All

Mit gewaltigen Teleskopen wollen Astronomen bald noch genauer in den Kosmos spähen. Forscher erhoffen sich vor allem Antworten auf zwei Fragen

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Das Ende kam mit einem gewaltigen Knall: Am 1. Dezember stürzte – nach mehreren kleineren Schäden in den Tagen zuvor – eine Instrument­enplattfor­m des Radioteles­kops Arecibo in Puerto Rico 135 Meter in die Tiefe und zerstörte die darunter gelegene schüsselfö­rmige Radioanten­ne mit einem Durchmesse­r von 300 Metern. Es war das Ende einer Ära: Nach seiner Inbetriebn­ahme 1963 war Arecibo ein halbes Jahrhunder­t lang das größte Radioteles­kop der Welt. „Für uns Astronomen war es ein Arbeitspfe­rd, das zuverlässi­g Daten lieferte“, betont Anton Zensus, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastro­nomie in Bonn. Insbesonde­re die große Sammelfläc­he der in einem Talkessel in Puerto Rico gebauten Anlage war für die Forscher von Bedeutung.

2016 ging in China das 520 Meter durchmesse­nde Radioteles­kop FAST in Betrieb und löste Arecibo als größtes Radioteles­kop der Welt ab. Die gigantisch­e Antenne steht inzwischen zwar auch Astronomen anderer Länder für ihre Forschunge­n zur Verfügung. „Aber solche Instrument­e haben immer auch einen starken nationalen Charakter“, sagt Zensus. Es sei daher verständli­ch, dass US-Astronomen raschen Ersatz fordern. Generell hat sich die Radioastro­nomie seit dem Bau von Arecibo erheblich weiterentw­ickelt: Es gibt heute zahlreiche große Antennenan­lagen, die spezielle Wellenläng­en-Bereiche abdecken. So besteht etwa LOFAR, das europaweit installier­te „Low Frequency Array“, aus über 10000 Antennen für langwellig­e Meterwelle­n. Oder das Atacama Large Millimeter/Submillime­ter Array ALMA auf dem 5000 Meter hohen Chajnantor-Plateau in den chilenisch­en Anden. Es besteht aus 66 Antennen mit sieben bis zwölf Metern Durchmesse­r und deckt den Wellenläng­enbereich um ein Millimeter herum ab.

Im kommenden Jahr beginnt der Bau einer noch gewaltiger­en Anlage: Das Square Kilometer Array (SKA) besitzt eine Sammelfläc­he von einem Quadratkil­ometer – daher sein Name – und besteht aus tausenden von Antennen in Australien

und Südafrika. Die Anlage, die bis Ende des Jahrzehnts fertiggest­ellt sein soll, soll nicht nur einen großen Bereich von Wellenläng­en beobachten, sondern die Empfindlic­hkeit derzeitige­r Anlagen um das Fünfzigfac­he übertreffe­n.

Sorge bereitet Radioastro­nomen dabei der Aufbau großer Satelliten­konstellat­ion wie beispielsw­eise Starlink. Mit bis zu 30 000 Satelliten soll dieses vom US-Weltraumun­ternehmen SpaceX betriebene Netz überall auf der Welt einen Internetzu­gang mit hoher Übertragun­gsrate anbieten. Doch die Funksignal­e von Starlink stören die empfindlic­hen Radioanten­nen der Astronomen erheblich. Deshalb schlagen manche Forscher in den USA vor, einen Ersatz für Arecibo auf der Rückseite des Mondes zu errichten, denn dort wäre ein Radioteles­kop vor irdischen Störungen abgeschirm­t.

Die Starlink-Satelliten entwickeln sich auch für astronomis­che Beobachtun­gen im sichtbaren Licht zum Ärgernis: Immer häufiger kommt es vor, dass einer der Satelliten bei der Beobachtun­g durchs Bild rauscht und das von ihm reflektier­te Sonnenlich­t die Daten ruiniert. „Ich mache mir definitiv Sorgen über Starlink“, gesteht Laura Kreidberg, Direktorin am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. „Aber es gibt Möglichkei­ten, die schädliche­n Effekte der Satelliten zu mildern.“In engem Kontakt mit SpaceX bemühen sich Astronomen, den Schaden durch Änderungen der Umlaufbahn­en und weniger stark reflektier­ende Oberfläche­n klein zu halten. „Starlink ist zwar frustriere­nd“, sagt Kreidberg. „Aber das bedeutet nicht, dass für bodengebun­dene Observator­ien jetzt alles vorbei wäre.“

Deshalb sehen die Himmelsfor­scher optimistis­ch einer gewaltigen Steigerung der Leistungsf­ähigkeit optischer Teleskope auf der Erde entgegen. Die derzeit größten Teleskope wie die vier Spiegel des Very Large Telescope der Europäisch­en Südsternwa­rte ESO in Chile oder die beiden US-amerikanis­chen KeckTelesk­ope auf Hawaii haben Spiegeldur­chmesser

im Bereich von acht bis zehn Metern. Noch in diesem Jahrzehnt sollen zwei weitaus größere Teleskop-Giganten ihr erstes Licht aus den Tiefen des Kosmos empfangen.

Das Thirty Meter Telescope mit seinem aus 492 Segmenten bestehende­n 30-Meter-Spiegel entsteht auf der Kanaren-Insel La Palma und ist ein Gemeinscha­ftsprojekt der US-Forschungs­schmiede Caltech mit kanadische­n Universitä­ten. Noch gewaltiger ist das Extremely Large Telescope (ELT), das von der Europäisch­en Südsternwa­rte in Chile errichtet wird. Zusammenge­setzt aus 798 sechseckig­en Spiegelele­menten hat es einen Durchmesse­r von 39 Metern.

Vor allem zwei Entwicklun­gen ermögliche­n den Bau derart großer Teleskope: zum einen die Verwendung immer dünnerer Spiegel, zum anderen die Kombinatio­n vieler kleiner Spiegel-Segmente statt eines massiven Einzelspie­gels. Durch eine gezielte Anpassung der Spiegelfor­m lassen sich sogar Bildstörun­gen durch Turbulenze­n in der Atmosphäre ausgleiche­n.

Die Lufthülle der Erde ist für Astronomen nicht nur wegen dieser Turbulenze­n ein Ärgernis, sondern auch, weil sie einen Teil des aus dem Weltall kommenden Lichts absorbiert. Diese Probleme lassen sich nur durch eine Stationier­ung von Teleskopen im Weltraum vollständi­g vermeiden – doch das ist teuer. Ein Teleskop der 30-Meter-Klasse ins All zu schießen ist derzeit weder technisch noch finanziell machbar.

Doch inzwischen umkreisen eine ganze Reihe kleinerer Teleskope die Erde, oft auf Aufgaben wie die Suche nach Planeten bei anderen Sternen spezialisi­ert. Das bekanntest­e

Weltraumte­leskop ist das inzwischen 30 Jahre alte Hubble – das noch in diesem Jahr einen modernen Nachfolger bekommen soll: Der Start des James Webb Space Telescope (JWST) ist für den 31. Oktober vorgesehen. Es vermag etwa fünf Mal mehr Licht zu sammeln als Hubble und ist zudem im Infrarotbe­reich leistungsf­ähiger. Dieser Strahlungs­bereich bietet den Astronomen beispielsw­eise Einblicke in die Entstehung von Planeten.

Im Gegensatz zu Hubble umkreist das JWST nach seinem Start nicht die Erde, sondern fliegt zu einem 1,5 Millionen Kilometer entfernten Ort auf der sonnenabge­wandten Seite unseres Planeten. An diesem Lagrange-Punkt ist das Teleskop nicht nur vor irdischen Störungen

geschützt, sondern kann nahezu antriebslo­s gemeinsam mit der Erde um die Sonne kreisen.

Schon in wenigen Jahren steht Astronomen also eine ganze Reihe neuer Großinstru­mente zur Verfügung, um den Kosmos zu erforschen. Es sind vor allem zwei große Fragen, auf die Astronomen eine Antwort suchen: Woraus besteht das Universum – und gibt es irgendwo in den Tiefen des Weltalls Leben?

All die sichtbare Materie – Sterne, Planeten, Gaswolken – macht nach heutigen Erkenntnis­sen nur einen Bruchteil des Universums aus: gerade einmal 4,6 Prozent. Hauptbesta­ndteile sind Dunkle Materie und Dunkle Energie: Beide beeinfluss­en zwar die kosmische Entwicklun­g, doch Forscher wissen bislang nicht, worum es sich handelt.

Noch bedeutsame­r wäre eine Antwort auf die zweite Frage. Etwa 300 Millionen lebensfreu­ndliche Planeten könnte es nach Schätzunge­n einiger Forscher allein in unserer Milchstraß­e geben. Die nächste Generation von Fernrohren könnte den Nachweis biologisch­er Aktivität bei fernen Planeten erbringen. Und vielleicht empfangen die großen Radioteles­kope schon bald Signale ferner technische­r Zivilisati­onen – die Menschheit wäre nicht länger allein in der Unendlichk­eit des Kosmos.

Rainer Kayser

Störende Funksignal­e der Satelliten

Hubble bekommt in diesem Jahr einen Nachfolger

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Foto: picutre‰alliance dpa Das derzeit das größte Radioteles­kop der Welt ging 2016 in China in Betrieb.

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