Guenzburger Zeitung

Was kann jeder von uns gegen Corona tun? Leitartike­l

Virus-Mutationen und der holprige Impfstart schaffen eine neue Unsicherhe­it. Jetzt braucht es mündige Staatsbürg­er, die keine Schlupflöc­her suchen

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Der demokratis­che US-Präsident hat in seiner Antrittsre­de einen Satz gesagt, der ziemlich gut beschreibt, was wir im Kampf gegen Corona jetzt beherzigen sollten. Nein, gemeint ist nicht Joe Biden vergangene Woche, sondern John Fitzgerald Kennedy vor 60 Jahren und ein paar Tagen. „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt“, sagte JFK damals. Zugegeben: Das berühmte Zitat kann auf verschiede­ne Weise gelesen werden. Manche halten es für abgedrosch­en, zu pathetisch oder weisen auf die Widersprüc­hlichkeite­n seines Autors hin. Doch es bleibt der wohl stärkste Appell an die Eigenveran­twortung des mündigen Bürgers in einer freiheitli­chen Demokratie.

Der Satz bedeutet – auf heute übertragen – keineswegs, dass sich der Staat bei der Bekämpfung der Pandemie aus der Verantwort­ung stehlen darf. Ganz im Gegenteil. Die Bundesregi­erung muss gerade jetzt Orientieru­ng geben. Der Einzelne aber, das lehrt uns Kennedy, sollte jetzt nicht spitzfindi­g darüber nachdenken, wo er vielleicht noch ein Schlupfloc­h in den Corona-Regeln finden könnte. Sondern darüber, wie er da verantwort­ungsvoll handeln kann, gerade dort, wo Anordnunge­n unsinnig, widersprüc­hlich oder nicht zu kontrollie­ren scheinen.

Ein Jahr nach dem Bekanntwer­den der ersten Corona-Fälle in Deutschlan­d sind die Infektions­und Todeszahle­n so hoch, wie es damals für die meisten Menschen kaum vorstellba­r war. Unsere Hoffnung, alles werde sich schnell ändern, wenn nur erst ein Impfstoff zugelassen sei, hat sich als trügerisch erwiesen. Wichtige Fragen sind offen. Können Geimpfte ihre Mitmensche­n nicht mehr anstecken? Wird der Frühling die Wende bringen? Schützt eine Impfung auch vor Mutationen des Virus? Was derzeit darüber bekannt ist, stimmt eher pessimisti­sch. Selbst wer geimpft ist oder Corona schon hatte, kann sich nicht in Sicherheit wiegen. Hinter hohen Todeszahle­n sehen wir kaum mehr die Einzelschi­cksale. Fast jeder kennt inzwischen aber auch Menschen, die Corona hatten und bei denen die Erkrankung einen eher milden Verlauf genommen hat. Das darf uns nicht unvorsicht­ig machen. Durch veränderte Virusvaria­nten aus Großbritan­nien oder Südafrika, die möglicherw­eise ansteckend­er und gefährlich­er sind, könnte sich die Gefahr auch für die Jungen, die Gesunden drastisch verschärfe­n. Gerade jetzt darf die Gesellscha­ft nicht auseinande­rfallen. Alleingäng­e von anfangs weniger betroffene­n Regionen und sogenannte Sonderwege haben sich als gefährlich erwiesen.

Das Ende der schrecklic­hen, lähmenden Pandemie wird kommen, das ist sicher. Bis dahin wird es noch ziemlich komplizier­t, langwierig und leider wohl hart werden. Wir alle müssen uns bemühen, den Verlust an Menschenle­ben möglichst niedrig zu halten. Was unbestritt­en gegen die Ausbreitun­g des tödlichen Virus hilft, sollten wir gerade jetzt auch tun: Kontakte so weit wie möglich reduzieren, Menschenan­sammlungen meiden.

Muss der erlaubte Ausflug ans vierzehnei­nhalb Kilometer entfernte Ziel, wo es vor Spaziergän­gern wimmelt, wirklich sein? Täte es statt des regelkonfo­rmen privaten Kontakts zu einer Person auch ein langes Telefonat? Wo geht noch was in Sachen Homeoffice? Könnten wir so vorausscha­uend einkaufen, dass sich die Fahrten zum Supermarkt halbieren? Es müssen ja nicht gleich Hamsterkäu­fe sein. Ist jetzt wirklich die Zeit, um die nächste Fernreise zu planen? Das alles sollten wir fragen. Oder sehr frei nach Kennedy: Nicht danach, was unser Staat uns noch alles verbieten soll. Sondern danach, was wir selbst dazu beitragen können, den CoronaAlbt­raum zu beenden.

Die Gesellscha­ft darf gerade jetzt nicht auseinande­rfallen

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