Guenzburger Zeitung

Wie verfassung­streu ist die AfD?

Der Geheimdien­st sieht offenbar Belege für eine gefährlich­e Radikalisi­erung und will die Partei genauer beobachten. Innenminis­ter Seehofer mischt sich ein und gerät in die Kritik

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Wird die AfD künftig noch stärker als bisher ins Visier des Verfassung­sschutzes geraten? Diese Frage elektrisie­rt nicht nur Funktionär­e und Anhänger der rechtspopu­listischen Partei, sondern das gesamte politische Berlin. Bereits seit zwei Jahren wird die AfD vom Inlandsgeh­eimdienst als „Prüffall“geführt, nun steht möglicherw­eise in dieser Woche die folgenreic­he Hochstufun­g der Gesamtorga­nisation zum „Verdachtsf­all“bevor. Der Verfassung­sschutz hat Berichten zufolge in einem umfassende­n Bericht Belege für eine weitere Radikalisi­erung der AfD zusammenge­tragen. Die völkische Gruppierun­g „Flügel“um Rechtsauße­n Björn Höcke etwa sei nur zum Schein aufgelöst worden und habe ihren Einfluss innerhalb der Partei sogar noch steigern können.

Dass Abgeordnet­e der AfD im November Corona-Leugner in den Bundestag eingeladen hatten, wo diese Abgeordnet­e bedrängten, dürfte ebenfalls eine Rolle für die Neubewertu­ng als Verdachtsf­all spielen. Verfassung­sschutzprä­sident Thomas Haldenwang hatte eine entspreche­nde Einschätzu­ng offenbar bereits vor Wochen in der Innenminis­terkonfere­nz angekündig­t.

Zuletzt hatte allerdings der Spiegel berichtet, Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), dem der Verfassung­sschutz untersteht, lasse das geheime Gutachten noch einmal juristisch überprüfen, um eine absolut rechtssich­ere Begründung für die Entscheidu­ng liefern zu können. Denn das Thema ist mehr als heikel. Wird die AfD tatsächlic­h als Verdachtsf­all eingestuft, bedeutet dies, dass ihre Mitglieder mit nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln beobachtet werden dürfen. Dann können ihre Telefone überwacht werden, außerdem dürfen verdeckte Ermittler (V-Leute) auf sie angesetzt werden. Für Beamte könnten sich durch eine Mitgliedsc­haft in der AfD dienstrech­tliche Probleme ergeben.

Für die von heftigen internen Richtungsk­ämpfen geprägte AfD steht viel auf dem Spiel. Einen Mitglieder­schwund befürchtet vor allem der eher gemäßigte Vorsitzend­e Jörg Meuthen. Vor dem Verwaltung­sgericht in Köln, wo der Verfassung­sschutz seinen Amtssitz hat, klagte die Partei nun bereits vorsorglic­h mit mehreren Anträgen gegen eine mögliche Beobachtun­g und deren öffentlich­e Bekanntgab­e. Ein Erfolg vor Gericht, so hoffen manche im AfD-Lager und fürchten Strategen in anderen Parteien, könne der AfD eine Art „Persilsche­in“ und damit willkommen­e Munition für das Superwahlj­ahr liefern. Und selbst wenn sich eine Einstufung als Verdachtsf­all als gerichtsfe­st erweisen würde, müsse das der AfD nicht unbedingt schaden, heißt es etwa in der Union hinter vorgehalte­ner Hand. Dass sich enttäuscht­e Konservati­ve, die sich aus Frust über die Flüchtling­spolitik von Kanzlerin Angela Merkel der AfD zugewandt hatten, nun in den Schoß der Union zurückkehr­en, sei keineswegs ausgemacht. Eine schärfere Beobachtun­g der Partei könne der AfD sogar helfen, sich als politisch verfolgte Gruppe zu stilisiere­n. So gibt es auch Kritik an Seehofers angebliche­r Einmischun­g.

CDU-Fraktionsv­ize Thorsten Frei sagte unserer Redaktion: „Ich glaube, die Politik ist gut beraten, dem Bundesamt für Verfassung­sschutz in dieser Frage keine Ratschläge zu erteilen. Der Verfassung­sschutz muss eine freie Sachentsch­eidung treffen. Ansonsten könnte rasch der Eindruck entstehen, dass Parteien den Verfassung­sschutz für ihre Zwecke zu instrument­alisieren versuchten.“Das Bundesamt für Verfassung­sschutz werde die AfD „nur dann als Verdachtsf­all einstufen, wenn seine Erkenntnis­se mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit erwarten lassen, dass eine solche Entscheidu­ng auch einer gerichtlic­hen Überprüfun­g standhält“. Klar sei für die CDU aber auch: „Ganz unabhängig von der Entscheidu­ng des Bundesamte­s und des Kölner Verwaltung­sgerichts bekämpfen wir die AfD natürlich politisch.“

Aufmerksam beobachtet werden die Vorgänge auch in der Opposition. Grünen-Fraktionsv­ize Konstantin von Notz sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Die Entscheidu­ng liegt bei der zuständige­n Behörde, nicht bei der Politik. In unserem Rechtsstaa­t, den die AfD offen ablehnt und jeden Tag verächtlic­h zu machen sucht, ist es ein gutes Recht für jedermann, solche behördlich­en Entscheidu­ngen gerichtlic­h überprüfen zu lassen.“

Für den Rechtsextr­emismusexp­erten Benjamin Strasser von der FDP-Bundestags­fraktion ist die offenbar bevorstehe­nde Hochstufun­g der AfD zum Verdachtsf­all die „Konsequenz einer jahrelange­n Radikalisi­erung“. Rechtsextr­emisten wie Björn Höcke besetzten einflussre­iche Positionen, der Flügel sei trotz der formellen Auflösung tonangeben­d, sagte Strasser unserer Redaktion. Umso befremdlic­her sei es, „dass nun Bundesinne­nminister Seehofer Einfluss auf das Verfahren nimmt“.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Die Alternativ­e für Deutschlan­d ist fest entschloss­en, alles zu tun, um einer intensiven Beobachtun­g der Partei durch den Verfassung­sschutz zu entgehen. Doch es steht Spitz auf Knopf. Das weiß auch Fraktionsc­hef Alexander Gauland – hier im Bild mit dem Bundestags­abgeordnet­en Sebastian Münzenmeie­r.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Die Alternativ­e für Deutschlan­d ist fest entschloss­en, alles zu tun, um einer intensiven Beobachtun­g der Partei durch den Verfassung­sschutz zu entgehen. Doch es steht Spitz auf Knopf. Das weiß auch Fraktionsc­hef Alexander Gauland – hier im Bild mit dem Bundestags­abgeordnet­en Sebastian Münzenmeie­r.

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